Diskussionsrunde im SF

„Gott ist ein riesiges Thema“

Rauscht die neue religiöse Offenheit an den Kirchen vorbei? Sind sie verkopft, so dass nicht auf Herzenswünsche eingegangen wird? Im Schweizer Fernsehen brachte eine Diskussionsrunde Facetten der religiösen Lage zur Sprache.
Diskutierte über leere Kirchen: Der „Club“ auf SF1 unter der Leitung von Christine Maier.
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Als müsste man mit dem Klischee ansetzen, stand der „Club“ auf SF1 am Dienstagabend unter dem Thema „Leere Kirchen – warum laufen die Gläubigen davon?“. Abt Martin Werlen von Einsiedeln bezeichnete die religiös Ungebundenen – bereits 11 Prozent der Schweizer Bevölkerung – als grösste Herausforderung für die Kirchen. Und räumte ein, dass viele Gläubige mit ihrem Personal frustrierende und verletzende Erfahrungen machen. Die grossen Kirchen hätten sich mit sich selbst beschäftigt, statt auf die existentiellen Bedürfnisse der Menschen einzugehen, äusserte der reformierte Pfarrer Jürg Rother.

Bei den Leuten sein

Die Ex-Katholikin Vera Kaa outete sich als emanzipierte, für religiöse Erfahrungen offene Frau und fürsorgliche Mutter: „Gott ist ein riesiges Thema – die Auseinandersetzung mit ihm ist nicht vorbei.“ Christliche Gemeinden leben laut der christkatholischen Diakonin Karin Schaub auf, wenn sich die Angestellten während der Woche um die Leute kümmern und auf sie zugehen. Der engagierten Baslerin widersprach niemand, als sie die (miteinander konkurrierenden) Kirchen auf die eine Botschaft des Evangeliums bezog: „Wir, das Christentum, haben das Beste.“ Einen gottlosen Freidenker hatte die Moderatorin Christine Maier nicht geladen.

Leos Rezept: Evangelium neu verpacken

Leo Bigger, Gründer und Hauptleiter der Freikirche ICF, mochte die Harmonie nicht stören. Für verschiedene Menschen brauche es unterschiedliche Kirchen. Der katholischen verdanke er den Glauben an Gott und seine Mutter sei weiterhin in ihr aktiv. Ausgetreten sei er wegen des Geldes; er habe es für die eigene Kirche einsetzen wollen, die die alte Botschaft des Evangeliums für Junge neu verpacke. Entschieden unzufrieden gab sich der Senior der Runde, der pensionierte Ökonomieprofessor Hans Schmid. Der Autor des Buchs „Kirchen im Wettbewerb – Kirchen mit Zukunft“ kritisierte, das Niveau der reformierten Verkündigung sei in den letzten vier Jahrzehnten deutlich gesunken. Die Predigten holten die Leute nicht ab, wo sie seien, und würden häufig ohne inneres Feuer abgelesen (die komplizierte Theologie blieb unerwähnt). Die Erwartung des anspruchsvollen Predigthörers, der Volkskirche noch als etwas Selbstverständliches erlebte, erfüllt sich zu selten: „Man müsste nach dem Gottesdienst einen Schritt weiter sein.“

Ist die Kirche noch Heimat?

Was tun? Der Wunsch nach einer gehaltvollen Predigt ist das eine. Wie können eingewurzelte Kirchen anderseits die neue freischwebende Offenheit für Religiöses (namentlich bei jüngeren Menschen) aufnehmen? Reformierte, die sich dem rationalistischen Geist der Moderne ergeben haben, bekunden damit enorme Mühe; Rother sprach von „Kühlschrank-Gottesdiensten“. Der Katholizismus scheint mit seiner sinnlichen Feier des Heiligen besser positioniert, doch stehen ihm Geschichte und Prägung (Reichtum, Machtgehabe, Unfehlbarkeitsanspruch, Männer) im Weg. Abt Martin stellte die wesentliche Frage: „Nehmen die Menschen die Kirche noch als Heimat wahr?“ Antworten sind ihm das österreichische Dorf, deren Bewohner einander so unterstützen, dass noch keiner ins Altersheim musste, und die volle Barockkirche im Wallfahrtsort Einsiedeln – zu Weihnachten.

Wer macht Hausbesuche?

In der Boomregion Zug, wo Reformierte zuziehen (und ihre tiefe Geburtenrate nicht durchschlägt), gestaltet Jürg Rother monatlich Gottesdienste für verschiedene Zielgruppen. Einmal fühlten sich Eltern mit ihren Kindern aufgehoben und ein andermal jene, die einen ruhigen Wortgottesdienst wünschen. Karin Schaub ergänzte: Wer durch die Woche bei den Leuten ist und sie ernst nimmt, kann am Sonntag aufnehmen, was sie beschäftigt. Für Schmid braucht es dafür Hausbesuche – diese habe die Pfarrschaft sträflich vernachlässigt. Er lobte Gemeinden, die Fördervereine gründen, um weitere Pfarrer anzustellen. Leo Bigger betonte, dass junge Schweizer heute die grossen Fragen aufwerfen („Sag mir: Wer ist Gott?“) und simple Antworten ohne Wenn und Aber wünschen. Früher habe man die Bibel gelesen, heute stecke der ipod-Stöpsel im Ohr. Ja, gab der Abt auf die Frage der Moderatorin zu, in der Kirche müsse es Formen geben, zu denen junge Menschen Zugang finden, auch für ‚Party’ müsse Raum sein.

Entchristlichung – oder ‚bloss’ Entkirchlichung?

Christine Maier suchte die Runde herauszufordern mit der Frage, ob die Nachfrage nach den Angeboten der Kirchen vielleicht doch nicht so gross sei wie letzthin behauptet. Dann würde die Entchristlichung der Gesellschaft weitergehen, und die Kirchen hätten ihr nichts entgegenzuhalten. Für Schaub steht die Gefahr der Entkirchlichung im Vordergrund – „wir müssen einander beistehen und ethische Werte vermitteln“. Laut Vera Kaa, der Kirchendistanzierten in der Runde, wäre es „fatal, wenn man an nichts glaubt“. Es gehöre zum Leben, dass man „mit Gott und dem Teufel konfrontiert“ werde, meinte die Sängerin. Der reformierte Pfarrer Rother warnte dagegen, mit der Individualisierung sei ein „kaum fassbarer Prozess der Entchristlichung“ in Gang gekommen. Junge Eltern müssten in den Stand gesetzt werden, ihren Kindern Glauben zu vermitteln.

Kommentar

Gott dienen?

Von Peter Schmid

„Was mached ihr falsch?“ Auf die Frage der Club-Moderatorin gaben die Gäste vor allem eine Antwort: Den Bedürfnissen der Mitglieder wird zuwenig Rechnung getragen. Die Kirchen als Bedürfnisanstalten? Mit der Pluralisierung der Lebenswelten und der verbreiteten Ich-Bezogenheit ergeben sich Wünsche an die Kirchen in einer Vielfalt, die sie überfordert. Zwar war vielfach von Gottesdiensten die Rede – aber Gott dienen? Das war kein Thema.

Kaum einmal blitzte in der Diskussion das befreiende Potenzial des Evangeliums auf. Jesus Christus kann Menschen von innen heraus verwandeln, gibt ihnen Boden unter den Füssen, eine positive Perspektive und Kraft, sich für andere einzusetzen. In Jesus Christus – und durch die gesamte Bibel – spricht Gott uns als Sterbliche direkt an, um uns zu retten und für die Ewigkeit bei ihm wiederherzustellen.

Davon haben die Kirchen zu reden. Diese Worte in die Mitte zu legen, sie der Gottesdienstgemeinde wie der Öffentlichkeit ungefiltert auszudeutschen und anzutragen, ist das Vorrecht und die Aufgabe zuerst der Geistlichen. Werden die Worte gehört, verstanden und im Alltag umgesetzt, entfalten sie eine einzigartige heilsame Dynamik. Ein kurzer Satz des Apostels Paulus (1. Timotheus 1,5) mag genügen, um sie anzudeuten: „Das Ziel aller Weisung ist die Liebe, die aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben kommt.“ – Peilen wir dieses Ziel an?

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Datum: 17.01.2008

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