Mystiker

Gott tiefer erfahren

Sie scheinen zu Gott oder der letzten Wirklichkeit einen Draht zu haben. Mystiker glauben intensiv und leben anders. Gibt es Mystik für jedermann und jedefrau?
Mit dem Gott in Beziehung, der die sichtbare Wirklichkeit übersteigt: Mystiker faszinieren

Ein Schleier des Geheimnisses umgibt Mystik und ihre Anhänger. Im christlichen Magazin «P&S für Psychotherapie und Seelsorge» (Ausgabe 2 2012) wird er ein wenig gehoben. Was ist Mystik? Der Theologe Manfred Seitz spricht von «fragloser Ergriffenheit im Gegensatz zu kühler Distanz», von Erfahrung, die jedem zugänglich ist, Erfahrung, «Gott im Wort der Bibel, der Verkündigung in vielerlei Formen und im kirchlich sakramentalen Leben zu begegnen».

Im Christentum nennt man jene Mystiker, die Gott in ausserordentlicher Weise berührt oder anredet. Laut Seitz sind es Menschen, die vor Gott leben, die mit der Bibel vertraut sind – und dann «für kurze Zeit von einer durch den Glauben vermittelten und über sie gekommenen grossen Erfahrung über sich selbst hinaus in Gott hineingerissen werden».

Mit Gott verbunden – oder eins mit kosmischen Kräften?

In einer Zeit, die bei den Religionen Ähnlichkeiten sucht, ist die Neigung gross, so genannte mystische Erfahrungen in anderen Religionen als Wegweiser zu einem «allgemeinen, natürlichen Gottesbewusstsein» zu werten. Da wird Mystik für Esoterik instrumentalisiert: Der Einzelne will sich mit dem Kosmos als Ganzem verbunden fühlen. Manfred Seitz betont dagegen, dass Christus die Mitte der Mystik ist: Er war Gott und ist Mensch geworden. Nur wenn wir uns an ihn halten, begegnen wir in der Mystik nicht bloss uns selbst, sondern dem, der uns das Leben gegeben hat.

Gott stillt den Hunger

Allerdings wirkt Gottes Geist, wo er will – nicht nur innerhalb der Kirche. Der Psychologe und Weltanschauungsexperte Michael Utsch verweist auf die Milliarden, die allein in Deutschland mit Heilungs- und Heilversprechen umgesetzt werden. Er beobachtet, dass «Vereine und Verbände des Geistigen Heilens gezielt an Kirchen herantreten, um ihre Gedanken unter dem Dach der Kirche zu verbreiten». Jesus ging es aber, so Utsch, in erster Linie um die Wiederherstellung der Beziehung zu Gott.  Die Kirche solle sich dem aktuellen Gesundheitswahn und dem «Trend zu grenzenloser Selbstoptimierung» widersetzen. Die Wellness-Kultur habe Spiritualität für sich entdeckt. Doch christlich ist Spiritualität nur, wenn der Hunger nach tiefen Erfahrungen bei dem Gott von Jesus gestillt wird.

Mystik – in der Beziehung zu Jesus Christus

Der Theologe Peter Zimmerling zeigt im Magazin P&S Wege zu einer «Mystik für jedermann und jedefrau». Mystische Spiritualität gebe es «nicht an sich, sondern jeweils nur als Intensivform der Religion, in der sie beheimatet ist». Protestanten haben in Sachen Mystik Aufholbedarf – über mehrere Jahrhunderte wurden tiefe Erfahrungen abgewertet; es kam aufs Glauben und Tun an. Demgegenüber hob der evangelische Mystiker Gerhard Tersteegen (1697-1769) den Wert des «wahren, inwendigen Lebens» hervor. Es sei nichts Neues, sondern «das christliche Leben in seiner Schönheit und eigentlichen Gestalt».

Tersteegen sah ausserordentliche Erfahrungen, Visionen und Offenbarungen nicht als das Wesentliche der Mystik an. Für ihn und andere evangelische Mystiker ging es um eine «intensive, ja intime Glaubensbeziehung zu Jesus Christus». Zimmerling plädiert für niederschwellige Angebote, die «mystische Erkenntnisse und Entdeckungen im Alltag ermöglichen».

Website
Magazins «P&S für Psychotherapie und Seelsorge»

Datum: 23.07.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet / P&S

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