Auf der Berlinale feierte der Film "Jesus liebt Dich" Premiere. Er handelt von Christen aus den USA, Europa und Afrika, die während der Fussball-WM in Deutschland missionarisch unterwegs waren.
Wie das Medienmagazin „pro“ berichtet, wurden auf der diesjährigen Berlinale 384 Filme aus aller Welt gezeigt. Darunter hatte auch der deutsche Dokumentarfilm "Jesus liebt dich" Premiere. Die Macher begleiteten vier "Evangelikale auf WM-Mission", wie der Untertitel der Dokumentation verrät.
Globale Gruppe auf WM-Mission
Fussball-WM 2006: Die Welt ist zu Gast in Deutschland. Auch über 10.000 evangelikale Christen sind unterwegs, um einheimische wie ausländische Fans zu missionieren. Unter ihnen ist Scott Rourk, Pastor einer schnell wachsenden Kirche in New York. Er reist mit einigen Gemeindemitgliedern zur WM. Mit dabei sind auch Gershom Sikaala, ausgebildeter Missionar aus Afrika, der frisch Bekehrte Cody Mui und der Deutsche Tilman Pforr, Mitarbeiter in der Deutschlandzentrale von "Jugend mit einer Mission".
Die Regisseure Lilian Franck, Matthias Luthardt, Michaela Kirst und Robert Cibis haben die vier Christen während ihres Einsatzes sowie eine Woche vor und nach der WM begleitet. Mehrere Teams drehten parallel, wobei sich jeder Regisseur auf einen Protagonisten konzentrierte. Aus etwa 200 Stunden Filmmaterial wurde nach über einem Jahr Postproduktion schliesslich die 80-minütige Dokumentation "Jesus liebt dich – Evangelikale auf WM-Mission", die am 13. Februar auf der Berlinale Premiere feierte.
Statt Sprengstoff – Mission
Im Presseheft zum Film werden Inhalt und Intention so zusammengefasst: "Religion. Viele Menschen verbinden mit diesem Wort Krieg und Terror, westliche Aufklärung gegen islamistische Fundamentalisten. Dass das Christentum selbst fundamentalistische Strömungen hat, wird häufig ausgeblendet." Die "fundamentalistischen Christen" aus den USA, Afrika und Europa hätten als "Waffe nicht Sprengstoff, sondern Mission". "Um möglichst viele Menschen zu erreichen, nutzen die Evangelikalen gezielt sportliche Massenevents wie die Weltmeisterschaft oder die bevorstehende Olympiade."
Zwischen kritischem Abstand und Identifikation
"Die beobachtende Kamera fängt absurde und lustige Begegnungen ein: ‚Ich glaub an Deutschland’ ist die Antwort der Fans, wenn sie nach Gott gefragt werden", heisst es im Presseheft zum Film. Die Amerikaner machen auch nicht Halt, wenn es darum geht, türkische Moslems in Berlin Kreuzberg zu bekehren.
Für Regisseur Robert Cibis sei der evangelikale Glaube der Protagonisten ein Versuch, das menschliche Bedürfnis nach Orientierung und Geborgenheit zu stillen, jedoch sagt er: "Für mich ist ihr Glaube eine Entfremdung von der Wirklichkeit, der sie durch seine Radikalität von 'den anderen' isoliert." Dennoch wollten die Filmemacher keine "zu einfache Autorenhaltung einnehmen und sie verurteilen, ohne uns mit ihnen auseinander zu setzen". Die Dokumentation über Evangelikale sollte vielmehr "die Balance zwischen kritischem Abstand und verständnisvoller Identifikation bei der Erzählführung" wahren, so Cibis.
"Unterschwelliger Fundamentalismus"
In einem Interview mit dem WDR sprach die Regisseurin Lilian Franck über ihre Missions-Doku. Zusammen mit Cibis und Kirst hat sie bereits zwei Filme mit ähnlichem Thema gedreht. "Im Laufe unserer Recherchen haben wir dann erfahren, dass die Evangelikalen während der Fussball-WM 2006 einen riesigen Einsatz in Deutschland planen."
Über lange Zeit im Vorfeld haben die Regisseure das Vertrauen ihrer Protagonisten gewonnen, sodass der Film sehr intime Einblicke gibt. "Wir haben ihnen gesagt, dass wir zwar selbst nicht religiös seien, uns aber dennoch für ihre Sache interessieren würden. Und dass wir versuchen würden, sie so darzustellen, wie sie sind." Zwar als Pfarrerstochter aufgewachsen, bezeichnet sich die Regisseurin selbst als Agnostikerin. Franck glaube zwar, "dass es eine höhere Macht gibt", gehe jedoch nicht zur Kirche und fühle sich keiner Religion zugehörig.
Auf die Frage, ob sie die Evangelikalen für gefährlich halte, antwortet Franck: "Sie sind keine Selbstmordattentäter und wenden auch keine Gewalt an. Aber ihren unterschwelligen Fundamentalismus sollte man dennoch nicht unterschätzen - vor allem, wenn er mit modernen Marketingstrategien gekoppelt ist." Neben professioneller Werbung und der Präsentation im Internet nutzen Evangelikale "ganz gezielt sportliche Grossereignisse" für Missionszwecke, wie im Film zu sehen sei.
Image bewahren?
Als Mitarbeiter von "Jugend mit einer Mission" den Film sahen, hätten sie andere Dinge kritisiert, als sie vermutet hätte, berichtet die Regisseurin. Zum Beispiel die Szene, in der zwei afrikanische Missionare über eine SOS-Notrufsäule an einer U-Bahn-Station dem Mann am anderen Ende sagen: "Jesus liebt dich." Offenbar wollten Missionare so nicht gezeigt werden, weil es "schlecht fürs Image", sei, mutmasst die Filmemacherin.
Das Urteil der Filmemacher
Robert Cibis
„Ich finde Religion an sich ein spannendes Thema. Es zeigt, dass auf dieser Welt nicht nur die Vernunft regiert, sondern genauso die Gefühle. Dieser Film zeigt das Bedürfnis vieler Menschen nach Orientierung und Geborgenheit.
Es ist immer leicht, über andere zu urteilen. Mich reizt an diesem T hema natürlich auch, dass ich meine Weltsicht durch die Herstellung des Films hinterfragen kann. Denn ich will auch wissen, was für mich richtig oder falsch ist. Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn ein Protagonist plötzlich fragt: „Wie sieht eigentlich Deine Beziehung zu Gott aus?“
Lilian Franck
„Meine Fragen wurden nicht beantwortet, obwohl ich als Pfarrerstochter aufgewachsen bin. Im Lauf der Zeit hat sich mein Vater dann vom evangelischen Theologen zum Psychologen entwickelt, der immer wieder gerne in indischen Ashrams betet.
Mir ist wichtig, dass die Evangelikalen nicht einfach nur schnell als Spinner abgetan werden. Das würde bedeuten, dass man sich nicht mit ihnen beschäftigt. Aber dafür sind sie inzwischen zu einflussreich geworden. Ich will etwas dagegen tun, weil ich ihre Überzeugungen nicht teile. Deswegen muss ich sie ernst nehmen und durchaus sehr kritisch betrachten: Überlegen wer sie sind, wie sie funktionieren und warum. Wir müssen über sie aufklären und wir müssen debattieren.“
Michaela Kirst
„Jesus liebt Dich“ ist mein dritter Film über evangelikale Christen. Gemeinsam mit Lilian Franck und Robert Cibis habe ich in den letzten Jahren schon zwei Filme über das Thema gedreht. Ich finde die Thematik sehr wichtig, weil der christliche Glaube evangelikaler Prägung im letzten Jahrzehnt gerade in den USA, Lateinamerika und Afrika einen immer grösseren Einfluss gewonnen hat. Obwohl auch mir die evangelikalen Glaubenssätze nach wie vor fremd sind, finde ich es wichtig zu verstehen, warum sich so viele Menschen weltweit von dieser spezifischen Art der Religiosität angezogen fühlen.
Evangelikale Christen sehen prinzipiell jeden Menschen als bekehrungswürdig an – davon ist niemand ausgenommen. Ich habe noch nie in meinem Leben so ausdauernd und häufig Gespräche über meine eigenen moralischen Grundsätze und Vorstellungen geführt. Zum Teil waren diese G espräche – für mich persönlich – sehr furchtbar“
Matthias Luthardt
„In den letzten Jahren ist in unserer aufgeklärten westlichen Welt ein wachsendes Bedürfnis nach Spiritualität und R eligiosität zu beobachten. Dieses Phänomen interessiert mich
Die Begegnung mit den Evangelikalen hat mich dazu gezwungen, mein protestantisch geprägtes Weltbild zu hinterfragen: Wo liegen die Grenzbereiche zwischen Glauben, Ideologie und Selbstbetrug? Wo kippt der Glaube ins Irrationale? Was macht Menschen zu Glaubenseiferern und wie positioniere ich mich dazu?
Der unbedingte Wille unserer Protagonisten, Menschen im Fussballfieber zu Jesus Christus zu bekehren – und das in aller Öffentlichkeit - erschien mir von Anfang an als „Mission Impossible“. Es drängte sich die Frage auf, wo eine Bekehrung beginnt und was geschehen muss, damit sie in den Augen der Missionare als erfolgreich verbucht wird.“
Quelle: pro/Presseheft „Jesus liebt dich“