Kein Gift mehr aus Moskaus Kelch
«Wo sind die Divisionen der Kirche?», hatte einst Stalin höhnisch gefragt. Heute sieht sich der postkommunistische Hausherr im Kreml, Vladimir Putin, sehr wohl in der Ukraine von einer kirchlichen Strategie überspielt. Sie wertet gleichzeitig seine Militäraktionen auf der Krim, im Donbass und Asowschen Meer ab.
Denn in Kiew hat Präsident Petro Poroschenko mit der Gründung der vom Patriarchat Moskau befreiten Ukrainischen Orthodoxen Kirche auch politisch enorm an Gewicht gewonnen. Die enge staatliche Verwicklung der russischen Orthodoxie von den Zaren und schliesslich ab 1943 auch mit der Sowjetunion und weiterhin nach der Wende war für die «russländischen» Interessen wichtig.
Machtpolitik auf Kosten der Kirche
Osteuropäische Machtpolitik wurde schon immer weitgehend auf dem Boden der Kirchen geführt. Für den Aufstieg der Moskowiter-Grossfürsten zu Zaren von «ganz Russland» war die Gründung des Moskauer Patriarchats 1590 die entscheidende Weichenstellung. Im Gegenzug unterstellte Polen seine orthodoxen Untertanen gleich sechs Jahre darauf dem Papst. Der späteren Gewinnung ihrer Wohngebiete durch die Russen folgte bald die Wiedervereinigung mit der Orthodoxie. Zuletzt 1946 im altösterreichischen Galizien.
In dieser Westukraine wurde die «Griechisch-katholische Kirche» 1989 durch Michail Gorbatchow wieder zugelassen. Von da an führte eine gerade Linie 1991 zur politischen und jetzt zur kirchlichen Verselbständigung Kiews von Moskau. Evangelische Christen, besonders aus Süddeutschland und der Schweiz, waren in der Ukraine als fleissige Bauern und geschickte Handwerker schon lange willkommen, auch noch im Kommunismus.
Verbesserung für evangelische Christen
Die moskautreue Ukrainische Orthodoxe Kirche nahm aber eine klar protestantenfeindliche Haltung ein, besonders gegen Baptisten und Pfingstgemeinden. Das dürfte sich nun für diese evangelischen 3 Prozent der ukrainischen Gesamtbevölkerung spürbar bessern. Der neue Kirchenführer, Metropolit Epiphanij Dumenko, hat sie bereits für 2019 zu einem gemeinsamen Osterfest eingeladen.
Ein Bumerang droht
Allerdings könnte sich Staatschef Poroschenko mit seiner Ächtung der moskautreuen Orthodoxen Kirche auch einen Bumerang eingehandelt haben. Ihre Anhänger sind nicht nur Russophile, sondern auch frömmelnde Traditionalisten. Die Beschimpfung durch ihren Präsidenten, sie würden bei der Kommunion «Gift aus Moskaus Kelch» trinken, verwandelt ihre Kirchentreue in erbitterte politische Gegnerschaft. Das dürfte sich bei den Wahlen 2019 auswirken!
Gewaltbereite russlandtreue Mönche
Als Zeitbombe inneren Zwiespalts könnte sich zudem das enge Verhältnis der neuen Kirche zum ukrainischen Staat erweisen. Dieser ist Eigentümer aller Kirchen und Klöster. Nach der Wende war es den moskautreuen Orthodoxen unter den noch kremlhörigen Präsidenten und Regierungen gelungen, sich den Löwenanteil am Kirchenbesitz unter den Nagel zu reissen: An der Spitze das berühmte Höhlenkloster von Kiew und die Lawra von Potschajiw in der Westukraine.
Diese Marienabtei hat der Staat jetzt von der Moskauer an die neue autokephale Kirche übergeben. Abtbischof Vladimir Moroz mit seinen Mönchen ist aber entschlossen, auch Gewalt nicht zu weichen. Die vielen unterirdischen Gänge von Potschajiw rund um die Höhle des Klostergründers Hiob sind wie geschaffen zu zähem Widerstand. Potschajiw könnte zum Fanal der Moskauer Beharrlichkeit in der Ukraine werden...
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Datum: 22.12.2018
Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet