Es begann mit zwei hochbegabten Erfindern. Im Jahr 1894 stellten die Gebrüder Lumière ihren „Kinematographen“ vor, ein Gerät zur Aufnahme bewegter Bilder. Drei Jahre später drehten sie den ersten Jesusfilm der Geschichte: „Das Leben und die Passion Christi“. In den Anfängen zögerte man, den Messias direkt darzustellen. Man zeigte ihn stattdessen aus der Entfernung, als Schatten oder Silhouette. Dies änderte sich 1927 mit dem Stummfilm „König der Könige“ von Cecil B. DeMille. In epischen zweieinhalb Stunden erzählt der stilbildende Bibelfilm die Jesusgeschichte aus der Perspektive von Maria Magdalena – und wurde zu einem der dauerhaftesten Erfolge der Filmgeschichte. Einmal auf den Geschmack gekommen, inszenierte Hollywood immer grössere Monumentalproduktionen, die ihren Höhepunkt in den späten Fünfzigerjahren erreichten. Obwohl es sich dabei meist um biblische oder frühchristliche Stoffe handelte, standen die Schlachtszenen und Romanzen im Vordergrund. Auf diese Erfolgszutaten zurückgreifend, brachte der Regisseur Nicholas Ray 1961 ein Remake von „König der Könige“ in die Kinos. Spannende Actionse-quenzen sollten die „erbaulichen“ Teile des Films aufpeppen und ihn für die Zuschauer attraktiver machen. Trotz grossen Investitionen blieb der Erfolg aus – der Film war ein Flop. Nur zwei Jahre später versuchte es der angesehene Regisseur George Stevens nochmals – diesmal aber ohne die gängigen Erfolgsgaranten. 1963 kam „Die grösste Geschichte aller Zeiten“ in die Kinos, ein bedächtig-feierlicher Film, der sich stark am Johannesevangelium orientierte. Der Film scheiterte – die ideologischen Umbrüche der Sechzigerjahre riefen nach einem anderen Jesusbild. Mit „Das 1. Evangelium – Matthäus“ kam 1964 die Antwort. Im Wortlaut des Matthäusevangeliums zeigte der italienische Regisseur Pier Paolo Pasolini – erklärtermassen ein homosexueller Marxist – einen rebellischen, furchtlosen Jesus, der gegen Materialismus und Scheinheiligkeit ankämpft. Selbst seine Gegner mussten zugeben, dass Pasolini den biblischen Stoff mit grossem Taktgefühl behandelt hatte. So hiess es bei der Verleihung des Spezialpreises von Venedig: „Der Autor, von dem gesagt wird, dass er unseren Glauben nicht teilt, hat […] einen schönen Film gemacht, einen christlichen Film, der einen tiefen Eindruck hinterlässt.“ Doch die revolutionäre Jesusfigur blieb nicht lange bestehen. Mit den Musicalverfilmungen „Jesus Christ Superstar“ (1972) und „Godspell“ (1973) folgte in den frühen Siebzigerjahren die kommerzielle Ausschlachtung des Phänomens. Auch „Jesus von Nazareth“, der 1976 erschien, suchte trotz spürbaren religiösen Respekts nicht mehr eine heilsame Beunruhigung, sondern präsentierte vielmehr eine Ansammlung schöner Stars und Show-Arrangements. Von der Welt des Showbusiness wenig beachtet, kam 1979 „Jesus“ heraus – der eigentliche „Jesusfilm“, der in 846 Sprachen synchronisiert und weltweit als Evangelisationsmittel verwendet wurde. Abgesehen davon waren die anbrechenden Achtzigerjahre geprägt von einer Dekonstruktion des Religiösen. So präsentierte etwa Regisseur Martin Scorsese in „Die letzte Versuchung Christi“ einen Jesus, der seine Identität als Messias ablegt und stattdessen mit Maria Magdalena eine Familie gründet. Der Film löste weltweite Protestwellen aus, noch bevor er 1988 erschien. Mehr Lob erntete das Drama „Jesus von Montreal“, das 1989 in die Kinos kam. Der kanadische Regisseur Denys Arcand zeigte darin den Schauspieler eines Passionsspiels, der immer mehr die Züge der dargestellten Jesusfigur annimmt. Die intellektuell geschliffene und trotzdem unterhaltsame Auseinandersetzung mit der Botschaft Jesu stiess auch auf christlicher Seite auf grosse Anerkennung. Und wie sieht die Gegenwart aus? Im Nachzug der Diskussionen um Mel Gibsons „Die Passion Christi“ veröffentlichte der päpstliche Medien- und Kulturrat im September das Buch „Christus im Kino: ein kinematographischer Kanon“. In Israel, wo das Passionsdrama in diesem Dezember erstmals in die Kinos kommt, läuft zeitgleich eine Reprise älterer Jesus-Klassiker. Als Reaktion auf den jüngsten Jesusfilm – so scheint es – greift die Gesellschaft von heute auf Vergangenes zurück – entweder, um das Gesehene zu relativieren, vielleicht aber auch, um sich ein umfassenderes Bild dessen zu verschaffen, was auf der Leinwand wohl nie vollends dargestellt werden kann. Wo jede Generation ihr eigenes (filmisches) Christusbild entwirft, wird es gerade deshalb umso wichtiger, sich zurück auf die biblischen Quellen zu besinnen. Hier findet sich der wahre Jesus, der jegliche Vorstellungskraft übersteigt – und sich auf keine Leinwand bannen lässt.
Vom Schattenspiel zum Monumentalfilm
Jesus, der RevolutionärDie Dekonstruktion der Achtziger
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Datum: 31.01.2005
Autor: Jonas Bärtschi
Quelle: idea Schweiz