Ist Bush zu christlich - oder zu wenig christlich?

Präsident George W. Bush vor dem Krieg noch in guter Stimmung
Bush

Washington. Die Vereinigten Staaten werden von einem gefährlichen religiösen Fanatiker regiert. So beschreiben viele Verfasser von Meinungsartikeln im In- und Ausland Präsident George W. Bush.

Für Georgie Anne Geyer, die einen Artikel in der “Chicago Tribune” schrieb, “beruht die Idee des Präsidenten, den Irak anzugreifen, hauptsächlich auf einer religiösen fixen Vorstellung und auf persönlichem Grössenwahn“. “Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika”, behauptet sie, “sieht sich als Teil des heiligen Planes Gottes.”

“Newsweek” widmete ihre Titelseite der Religiosität Bushs. Und in einem eigenen Meinungsartikel erkennt Martin E. Marty zwar an, dass “wenige bezweifeln, dass Bushs Glaube aufrichtig ist”, macht sich aber Sorgen über die “offensichtliche Überzeugung des Präsidenten, Gottes Willen zu tun”.

Ähnlich besorgt äussert sich Jackson Lears in einem Meinungsartikel für die “New York Times” darüber, dass Bushs Gewissheit, “göttlichen Absichten” zu dienen, gefährliche Vereinfachungen fördern und unversehens in Selbstgerechtigkeit abgleiten kann.” Wie Lears es am Weissen Haus sieht, befreie “einen der Glaube an die Vorsehung davon, die Rolle eventueller Entwicklungen im bewaffneten Konflikt, dem am wenigsten voraussagbaren Vorkommnis unter Menschen, in Betracht ziehen zu müssen. Es gilt das Motto: “Vom göttlichen Willen bis zum amerikanischen Know-how, wir haben alles unter Kontrolle”.

Geoffenbarte Bestimmung?

In der “London Times” schrieb Stephen Plant: “Die Anhänger Bushs haben die Idee einer geoffenbarten Bestimmung geerbt. Für sie geht es beim Krieg gegen den Irak nicht ums Öl, der Krieg ist für sie Amerikas nächste Verabredung mit der Erlösung.”

Diese und ähnliche Kritiken blieben nicht unangefochten, selbst von Bushs Gegnern. In der “New York Post” bemerkte E.J. Dionne, dass er keine Probleme habe, den Präsidenten zu kritisieren. Aber er fügte hinzu: “Hören wir doch bitte auf damit, vorzugeben, dass Bushs regelmässige Berufung auf den Allmächtigen ihn zu einer Art fremdartigen religiösen Fanatiker machen. Darin ist er in viel typischerer Weise der Präsident der Vereinigten Staaten als er, besonders von unseren Freunden im Ausland, dargestellt wird.

In einem “Business Week” Online-Kommentar gab Stan Crock einerseits zu, dass ihm die Art, wie der Präsident sich der religiösen Sprache bediene, nicht immer gefalle, stimmte jedoch nicht der Auffassung zu, dass hinter der Strategie des Weissen Hauses religiöser Fanatismus stecke. Einer der führenden Strategen für den Irak in der US-Administration ist, so bemerkt er, der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, ein Jude. Und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld “’spricht nicht in Zungen’, wenn er mit General Tommy Franks über Kriegspläne redet.”

Fred Barnes erklärte im “Weekly Standard”, dass Bush sich zwar gern auf Gott beruft, dass er es jedoch vermeidet, Jesus Christus zu erwähnen und dass er Toleranz für alle Glaubensrichtungen fordert. “Seine Erklärungen beschränken sich auf vier bestimmte Gebiete: Menschen in Leid Mut zu machen, darauf hinzuweisen, dass der Glaube das Leben besser machen kann, über die geheimnisvollen Wege der Vorsehung zu sprechen und über Gottes Fürsorge für die Menschheit.”

Bush glaubt an göttlichen Auftrag

US-Präsident George W. Bush ist nach Auffassung des Bremer Publizisten und Religionswissenschaftlers Geiko Müller-Fahrenholz davon beseelt, im göttlichen Auftrag zu handeln. Die religiöse Sprache von Bush zeige seine Überzeugung, dass er im Namen Gottes dem Bösen den Garaus machen müsse. Dieses Gefühl ergänze und befestige seinen "messianischen Sendungsglauben".

Für Bush habe der Satz, Krieg dürfe nach Gottes Wille nicht sein, keine Bedeutung, sagte Müller-Fahrenholz. Der US-Präsident glaube fest an die biblische Apokalypse. Deshalb gehörten für ihn Leid, Gewalt und Krieg zum "gottgewollten Inventar" seines Präventivkrieges. Sein Denken in endzeitlichen Kategorien verstärke die Akzeptanz von Zerstörung und Gewalt, sein fundamentalistischer Sendungsglaube "immunisiere gegen Kritik".

Auch der Weltkirchenrat (ÖRK) hat den "Missbrauch religiöser Sprache" bei US-Präsident George Bush beklagt. Es gebe eine wachsende Tendenz des US-Präsidenten, "sich auf eine religiöse, ja sogar göttliche Legitimation für seine Absicht zu berufen, den Irak mit Gewalt zu entwaffnen", sagte Generalsekretär Konrad Raiser.

Schwierige Situation für die Predigt

Jeri-Lynne Bouterse, Pfarrerin der West Alexander Presbyterian Church in Pennsylvania, bedauert, dass diese Verbindung von Patriotismus mit moralischem Absolutismus ihre Arbeit derzeit sehr kompliziert macht. Es sei schon schwierig genug, die richtigen Worte zu finden, um für den Frieden zu beten, ohne diejenigen zu verletzen, die Freunde oder Angehörige in den Streitkräften haben. "Ich muss mich an die Wahrheit in der Bibel halten und gleichzeitig denjenigen beistehen, die sich Sorgen um geliebte Menschen machen", erklärt sie. "Alles was ich tun kann, ist für einen schnellen Frieden beten, aber damit bete ich doch für Mord." Sie sieht, dass alle Christen zu Gott beten und ihn um Erleuchtung bitten, alle versuchen "das Gute" zu suchen, aber so wie Bush redet, "vermittelt er den Eindruck, nur er alleine würde Gottes Willen kennen".

Eine Strassenkarte für die Staatskunst

Einige Kommentare jedoch vertreten die Auffassung, dass Bush einen gefährlichen Präzedenzfall schaffe, indem er es seinem Glauben erlaube, die Aussenpolitik zu beeinflussen. Aber, auch wenn christliche Prinzipien hinter seinen Entscheidungen stehen, so wäre dies nichts Neues für das Land.

Religion und Aussenpolitik sind in der Tat in den Vereinigten Staaten seit langem miteinander verflochten, hebt Leo P. Ribuffo in einer Sammlung von Essays, “Der Einfluss des Glaubens: Religiöse Gruppen und US-Aussenpolitik”, hervor. Ribuffo, Geschichtsprofessor an der George Washington Universität, schreibt, dass aussenpolitische Debatten durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch religiöse Themen enthielten, wie zum Beispiel ein Bestreben, das Christentum auszubreiten und die Besorgnis über einen übermässigen katholischen Einfluss.

In 1898 habe Präsident William McKinley vor dem Kongress gesagt, das Eingreifen in Kuba würde den Zielen Amerikas als eines christlichen friedliebenden Volkes dienen”, schreibt Ribuffo. Im ersten Weltkrieg seien zwei prominente Presbyterianer -- Präsident Woodrow Wilson und Aussenminister William Jennings Bryan -- “überzeugt gewesen, dass die Vereinigten Staaten einen besonderen Auftrag in der Welt” hätten, heisst es in dem Essay.

Auch in den aussenpolitischen Debatten während des zweiten Weltkriegs und auch noch darüber hinaus spielte die Religion eine Rolle. Aber Ribuffo glaubt, dass die Religion eher einen indirekten und keinen entscheidenden Einfluss auf die Aussenpolitik hatte.

In einem anderen Essay betont Harvard-Professor Samuel Huntington, dass “Politik und Religion nicht voneinander losgelöst werden können.” Er hebt den engen Zusammenhang zwischen Christentum und Demokratie hervor. In vielen christlichen und nicht christlichen Ländern, bemerkt er, ist die Religion zentral für die Identität einer Nation, in sowohl positiven als auch negativen Formen.

In den vergangenen Jahrzehnten galt es allgemein als klug, dafür einzutreten, dass die Aussenpolitik der USA eine Liaison mit der Religion vermeiden sollte, schreibt Mark Amstutz, Professor für Politikwissenschaft am Wheaton College. Aber Religion und religiöse Institutionen, bemerkt er, spielen immer noch eine entscheidende Rolle im Leben der Menschen. Kirchen und auf religiösen Glauben gegründete Organisationen spielten ebenfalls eine, wenn auch indirekte, Rolle in der Aussenpolitik. Dadurch dass sie ethische Perspektiven und moralische Werte anböten, könnten Kirchen und religiöse Organisationen dabei helfen, eine Art “Strassenkarte” für die Aussenpolitik zu formulieren.

Eine frühere Sammlung von Essays, die im Jahr 1994 veröffentlicht wurde, vertritt einhellig die Auffassung, dass es ein grosser Fehler ist, die Aussenpolitik der USA auf einer rein materialistischen und säkularen Grundlage aufzubauen und dabei die Bedeutung ausser Acht zu lassen, welche die Religion in vielen Ländern hat. In “Religion, die fehlende Dimension der Staatskunst” fordern Experten wie Edward Luttwak und Barry Rubin von den für aussenpolitische Entscheidungen Verantwortlichen, die Rolle religiöser Faktoren genauer zu betrachten.

Bush und seine Kirche

Wenn man sagt, dass Präsident Bush teilweise von seinem christlichen Glauben motiviert wird, bedeutet das nicht, dass er eine Politik verfolgt, die von den Kirchen diktiert wird. Der Präsident gehört der methodistischen Kirche an. Aber Bischof Melvin Talbert, der oberste Vertreter für die Ökumene bei den Vereinigten Methodisten, äusserte in einem Online-Interview von “Newsweek”: “es ist uns klar, dass er nicht der Lehre seiner eigenen Kirche oder der Lehre der Kirchen folgt, welche die ‚Lehre vom gerechten Krieg‘ vertreten.”

Genau so wenig bedeutet Bushs religiöser Glaube, dass Christen sich notwendigerweise über politische Strategien einig sein werden. Der frühere Präsident Jimmy Carter, wohl bekannt für seine Berufung auf christliche Prinzipien, als er an der Macht war, brachte seine heftige Ablehnung der US-Politik hinsichtlich des Iraks am 9. März in einem Artikel der “New York Times” zum Ausdruck.

Paradoxerweise wird Bushs Irakpolitik heftig kritisiert, weil er moralische Prinzipien ignoriere, während ihn gleichzeitig Reporter mit säkularer Einstellung angreifen, weil er ihrer Meinung nach ein religiöser Fanatiker ist.

Aussenstehende Beobachter können nur darüber spekulieren, wie viel Gewicht bei den Entscheidungen des Präsidenten die Religion hat. Deutlich ist bei ihm jedoch, dass er in seinem Glauben eine Quelle persönlicher und moralischer Ermutigung und Stärkung findet, zusammen mit einer Reihe von Prinzipien, die ihm bei seinem Handeln zur Orientierung dienen. Natürlich spielen auch andere Überlegungen -- politische, militärische, wirtschaftliche, etc. -- bei den Entscheidungen eine Rolle.

Dafür einzutreten, dass ein Politiker politische Entscheidungen in einem religiösen und moralischen Vakuum treffen sollte, würde bedeuten, langjährige amerikanische Traditionen seiner Präsidenten und politischen Führer zu ignorieren, die häufig eine religiöse Sprache benutzt haben.

Der Versuch, die Berechtigung eines Christen, sich in die Politik einzumischen, wegen seiner Überzeugung über das Gemeinwohl zu leugnen ist eine Form “intoleranten Säkularismus”, hiess es in dem Lehrschreiben über Religion und Politiker, das kürzlich vom Vatikan veröffentlicht wurde. Das Christentum zu marginalisieren würde die spirituellen und kulturellen Grundlagen der Zivilisation bedrohen“, hiess es in dem Dokument. Tatsächlich kann die unentbehrliche berufliche Kompetenz politischer Führer keine Legitimation finden, wenn sie nicht mit starken moralischen Überzeugungen verbunden ist. Viele christliche Führer - die der Auffassung sind, dass die US-Politik gegenüber dem Irak mehr religiösen “Input” braucht, nicht weniger - könnten sich über diesen Punkt einigen.

Quelle: ZENIT/Kipa/Livenet

Datum: 31.03.2003

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