Die Londoner Regierung hat vor wenigen Wochen eine Arbeitsgruppe geschaffen, in der Minister und Spitzenbeamte der Regierung sowie Vertreter von britischen Kirchen und der Evangelischen Allianz Einsitz nehmen. Der multireligiösen Vielfalt trägt die Regierung dadurch Rechnung, dass sie auch Vertreter der anderen grossen Religionsgemeinschaften (Muslime, Sikhs, Hindus, Juden) beruft. Bereits haben Linke, Freidenker und auf die strikte Distanz des Staats zur Religion bedachte Gruppen gegen ihren ‚Ausschluss‘ aus der Gruppe protestiert. Die Steuerungsgruppe soll laut ihrer Leiterin Fiona Mactaggart „die wirksamsten Mittel prüfen, um eine grössere Beteiligung der Religionsgemeinschaften in der Gestaltung der Politik und ihrer Durchführung in Whitehall (dem Sitz der britischen Regierung; Red.) zu erwirken und die Politikbereiche bestimmen, in denen diese Mitwirkung am wertvollsten wäre.“ Mactaggart schrieb, Tony Blair messe dieser Arbeitsgruppe grosse Bedeutung für die Entwicklung des britischen Gemeinwesens und seiner Werte (civic renewal) zu. Spitz vermerkt der Observer im Bericht, Blair sei ein „entschiedener Christ, der die Bibel auf seinem Nachttisch hat“. Tony Blair, seit kurzem der am längsten amtierende Labour-Premier der britischen Geschichte, gehört dem Christian Socialist Movement an. Die Zeitschrift sieht im Vorgehen des Regierungschefs, der damit die zentrale Rolle des persönlichen Glaubens für seine Politikauffassung offenlege, ein Risiko. Blair wisse, dass vielen seiner Chefbeamten unwohl sei angesichts „der zentralen Rolle, die Gott in seinem Leben spielt“. Als der Premier gefragt wurde, wem er für den Tod seiner Soldaten im Irak Rechenschaft ablege, antwortete er: „Meinem Schöpfer“. Dies habe Konsternation ausgelöst, schreibt der Observer. Seine Berater hätten ihn davon abgebracht, seine Rede an die Nation und ihre Soldaten zum Kriegsbeginn im März mit dem Wunsch ‚Gott segne euch‘ zu beenden. Laut dem Observer sind manche Berater an der Downing Street 10 darauf bedacht, dass das Wahlvolk Blair nicht zu nahe bei George Bushs Religiosität ansiedelt. Der Gruppe gehören unter anderem die frühere Bildungs- und jetzige Kunstministerin Estelle Morris und William Chapman, der für Ernennungen zuständige Mitarbeiter von Tony Blair an. Angesiedelt im Innenministerium, soll sie die Ministerien für Bildung, Kultur, Medien und Sport sowie Handel und Industrie beraten. Das Ziel laut Mactaggart: „Die Perspektiven und Bedürfnisse der religiösen Gemeinschaften“ sollen in der gesamten Regierungstätigkeit zum Tragen kommen. Tony Blair hatte im letzten Wahlkampf versprochen, Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften mehr Gehör im öffentlichen Leben zu verschaffen. Laut dem Observer bedeutet die Schaffung der Gruppe, dass „die Anerkennung von Religion als Faktor in der Regierungstätigkeit auf eine neue Ebene gehoben“ wird. Die Regierung wolle religiöse Gruppen „in jedem Bereich des öffentlichen Lebens einbeziehen“, schreibt die Zeitschrift und bewertet dies als Schlag gegen die säkulare Prägung des britischen Staats. Dabei verschweigt sie nicht, dass weiterhin vier von fünf Einwohner des Landes einer der grossen Religionen angehören.Spitzenleute aus Whitehall und Vertreter der grossen Religionen
Die Bibel auf Blairs Nachttisch
Die Bedürfnisse der Religionsgemeinschaften wahrnehmen
Datum: 14.08.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch