Wenn die Bundeskanzlerin über Glauben spricht
So zu hören in der aktuellen Videobotschaft der Kanzlerin auf ihrer Internetseite. Zweifellos ist diese Veröffentlichung auch Teil des beginnenden Wahlkampfes, um christliche und konservative Wähler wieder stärker an die CDU heranzuführen.
Dennoch ist es ein Novum, das sich eine deutsche Regierungschefin so eindeutig und ausführlich zum Glauben äussert Angela Merkel sagte weiter: «Mein Vater war Pfarrer und insofern kenne ich das kirchliche Leben sehr gut. Ich finde es sehr befreiend, dass man als Christ Fehler machen darf. Dass man weiss, es gibt etwas Höheres als den Menschen, und dass wir aufgerufen sind, die Welt zu gestalten in Verantwortung für Andere. Dies ist ein Rahmen für mein Leben, den ich sehr wichtig finde.»
Merkel zeigte sich überzeugt, dass das Evangelium Christen dazu anhalte, über ihren Glauben zu reden. Christen könnten sagen «woher wir unsere Kraft für unsere Entscheidungen haben». Vor diesem Hintergrund trete sie für den Religionsunterricht an deutschen Schulen ein, auch für Moslems.
Viele verstehen die Frage nach Gott nicht
Die zunehmende Bedeutung der Religion in der Politik ist allerdings kein Beleg dafür, dass die deutsche Gesellschaft gläubiger geworden wäre – ganz im Gegenteil. Der Vorsitzende der EKD-Synode, Präses Nikolaus Schneider, beobachtet vielmehr eine verbreitete «Unkenntnis Gottes in zweiter und dritter Generation». Begriffe des Glaubens muteten für viele wie eine Fremdsprache an, so Schneider in seinem Bericht vor der 11. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Timmendorfer Strand. Selbst die Frage nach Gott würden immer mehr Menschen nicht verstehen, geschweige denn eine Antwort dazu haben.
Aufgabe der Kirche
Wörtlich sagte Schneider: «Die Frage nach Gott aufrichtig zu stellen und die Sehnsucht nach Gott wach zu halten – das ist und bleibt eine zentrale Aufgabe unserer Kirche. Dabei gibt es allerdings auch die Gefahr einer Selbstsäkularisierung in unserer Rede von Gott, wenn das theologische Reden einen immer freundlichen, nur harmlosen, kumpelhaften Gott verkündigt. Das führt dazu, dass Menschen in Krisen und Grenzsituationen ihres Lebens an Gott zweifeln und verzweifeln. Die Gotteskrise ist auch die Krise eines verharmlosenden Gottesbildes.»
Globalisierung und Religion
Woran liegt es nun, dass das Thema «Religion» in der Politik an Bedeutung gewinnt? Zum einen liegt es an militanten Gläubigen, vor allem Moslems, die mit Gewalt für ihre Ziele kämpfen. Dazu kommen Konflikte über Verunglimpfungen oder die jüngste Diskussion über die Beschneidung von Kindern in Deutschland.
Es ist tatsächlich so, dass die Globalisierung nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht auf Deutschland zurückschlägt. In der Aussenpolitik spielt das Thema «Religionsfreiheit» eine immer grössere Rolle. Man denke nur an die Kriege in Irak und Syrien, an die Diskussionen um die Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union, an die Konflikte in Nigeria und Mali etc.
Gradmesser der Freiheit
Dass das Thema «Religion» stärker präsent ist, ist auch dem beharrlichen Wirken des CDU-CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder zu verdanken. Der weist zu Recht darauf hin, dass Religionsfreiheit, auch die für den Glauben zu werben oder sich einem anderen Glauben anzuschliessen, ein Gradmesser für Freiheit und Demokratie einer Gesellschaft sind. In Frankfurt wies Kauder jüngst darauf hin, dass es zur Praxis der Regierungskontakte gehöre, auch auf die Frage der Religionsfreiheit und der Christenverfolgung zu sprechen zu kommen. Er selbst habe jüngst seinen Standpunkt gegenüber ausländischen Regierungsvertretern so klar gemacht: «Ihr dürft nicht glauben, dass massenhaft Menschen bei euch zu Besuch kommen, wenn ihr vielen Menschen die elementarsten Rechte (wie das der Religionsfreiheit) vorenthaltet.»
Kein Schulterschluss
Doch im Blick auf die wachsende Bedeutung der Religion in der Politik sei auch darauf hingewiesen, dass Christen diese Entwicklung mit Zurückhaltung wahrnehmen sollten. Es gibt in manchen christlichen Kreisen eine Haltung, die solche Entwicklungen nicht nur begrüsst, sondern geradezu den Schulterschluss mit Vertretern der Politik – wo immer möglich – sucht. Das steht in der Tradition des Luthertums, dass dazu neigt die politische Herrschaft – Luther sprach vom weltlichen «Regiment» – als ein Werkzeug Gottes zu verstehen.
Dass sich daraus eine unrühmliche Verbindung zwischen Kirche und Politik entstand – dazu gibt es in der Geschichte viele Beispiele. Das ist aber um so erstaunlicher, als der Reformator Martin Luther gerade damit angetreten war, gegen das ungebremste Macht- und Besitzstreben der römisch-katholischen Kirche seiner Zeit anzugehen.
Datum: 07.11.2012
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet