Katholische Jugendkirche Zürich: Mitten drin und zugleich «jenseits»

Die Gewölbe aus roh behauenen Steinen stimmen. Ansonsten haben die beiden Räume der katholischen Kirche für junge Leute im Zürcher Lettenviadukt nicht viel mit einer herkömmlichen Kirche zu tun. Im Begegnungsbogen soll bald Wohnzimmeratmosphäre einziehen, im andern Bogen grosse Vorhänge das Gestalten des Raumes für Gottesdienste ermöglichen. Ein Augenschein in einem Sakralraum, der in mancherlei Hinsicht «jenseits» ist.
«jenseits im Viadukt 11/12»: Die katholische Kirche für junge Leute liegt mitten im Ausgehquartier.
Ein Ort, um sich zu treffen: Tischchen im Freien sollen die Räume Richtung Josefswiese hin öffnen.

In den Scheiben, die die Bögen des Lettenviadukts im Kreis 5 füllen, spiegelt sich das grosse Graffiti von der Wand gegenüber. Auf der anderen Seite lockt die Josefswiese mit für die Grossstadt überraschender Idylle. Darüber braust alle paar Minuten ein Zug Richtung Flughafen, Winterthur, Ostschweiz. Die Kirche für junge Leute im Kanton Zürich hat sich einen Platz ausgesucht, der widersprüchlicher, vielfältiger, lebendiger kaum sein könnte. Mitten im Leben. Und mitten im Ausgehquartier.

400 Meter lang ist das Viadukt mit den 36 Bögen. Die Stiftung PWG, die sich für günstigen Gewerbe- und Wohnraum in Zürich einsetzt, füllt sie mit Leben: Restaurants, Läden, Kunsthandwerker, Trendlabels, Non-Profit-Institutionen. Der Mix soll möglichst breit, möglichst bunt sein. Bereits sind erste Mieter eingezogen, Anfang Juni werden die Räumlichkeiten der Kirche eröffnet.

Sofaatmosphäre, für alle zugänglich

Zurzeit befindet sich hier noch eine Baustelle, man kann aber schon erkennen, wie es gedacht ist: Im Bogen 11 soll es gemütlich werden, ein Café, Sofaatmosphäre, ein Ort, wo man sich trifft. Tischchen im Freien sollen die Räume Richtung Josefswiese hin öffnen. Eine Galerie wird eingebaut, oben befindet sich eine Art futuristisch beleuchteter ovaler Seelsorgeraum und unter einem riesigen runden Oberlicht Büroplätze für den Leiter Peter Kubikowski und sein Team. Alles wird rollstuhlgängig und mit Gehörlosenschleife versehen sein, niemand soll ausgeschlossen sein.

Nebenan im Bogen 12 ist der Sakralraum im Bau, der mit Vorhängen variabel gestaltet werden kann. Für Meditationen, Wort-Gottesdienste, Kerzenatmosphäre à la Taizé, Konzerte und vieles mehr. Der Vorhang erinnert an das biblische Nomadentum und an die Mobilität besonders der jungen Leute, die «dorthin ziehen, wo etwas los ist», wie Kubikowski sagt. Der Vorhang wird dank einer Rafftechnik eine spezielle Raumwirkung erzielen.

An den Wänden werden liturgische Objekte hängen: Als Skulptur, die zum Ambo, zum Altar, zum Taufbecken, zur Kerzenburg wird, wenn man sie abnimmt und auf einen Tisch legt. «Kirchen-Kit» nennt sich das Konzept der beiden Industriedesign-Studenten Cédric Steiner und Sebastian Marbacher, die unter Leitung ihrer Dozentin Nicole Kind den Wettbewerb unter 40 Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste gewonnen haben. «Das ist alles abgesegnet», beantwortet Kubikowski erstaunte Blicke.

Neue Gefässe und Sprache

Sowohl die liturgischen Geräte wie auch den Raum samt Vorhang haben junge Designer gestaltet. Design und Kirche? Verträgt sich das? Ja, findet Kubikowski. «Liturgie feiern, das findet nicht mehr im Leben statt, ist nicht mehr selbstverständlich. Das muss zurück ins Leben.» Design, das habe viel mit der heutigen Schnelllebigkeit zu tun. «Die Kirche hat einen bestimmten 'Groove', den ändert man nicht mit Lichtern, sondern mit neuen Gefässen und einer Sprache, welche die jungen Leute verstehen», sagt er. Sie seien ein anspruchsvolles Publikum: «Das funktioniert nur, solange es echt ist.» Und sie würden Althergebrachtes hinterfragen: Warum muss da ein Kreuz hängen? Kubikowski findet das spannend.

Der «andere» Ort

Für das Café steht das Design noch nicht fest. Kubikowski spricht etwa von falsch zusammengeschraubten Ikea-Möbeln, von «jenseitigen Geschichten». Und spielt damit auf den Namen des Projekts an: «jenseits im Viadukt 11/12». «Im Viadukt», weil so alle Mieter gemeinsam auftreten. Und «jenseits» kleingeschrieben und daher vieldeutig: «jenseitig» im umgangssprachlichen Sinn - ausserhalb aller Kategorien stehend. Dieser Ort soll sich abseits des Alltäglichen befinden, ein Raum jenseits des Konsums, des Stresses, des Konkurrenzdrucks. Und Jenseits als Bild für das andere, auf das Kirche stets verweist. Das Jenseits im traditionellen Sinn lässt sich allerdings nicht genau lokalisieren: Hier will man offen sein für den Dialog, es soll nicht gleich schon auf alles eine Antwort geben.

«Wie findet mich das Glück?»

Nach Anfangsschwierigkeiten ist die frühere «Jugendkirche Zürich» nun mit einem neuen Konzept unterwegs. Es sieht nun nicht mehr vor, dass die Jungen das Programm machen, sondern das tut das Leitungsteam. «Wir bieten eine Plattform, auf der wir über das Thema Kultur die Jungen erreichen wollen», sagt Kubikowski. Ab September werden Veranstaltungen zum Beispiel Themen wie «Wie findet mich das Glück?» positiv aufgreifen. Ein Angebot soll geschaffen werden, in dem sich die Jungen zu Hause fühlen.

An der Cramerstrasse, wo Kubikowski und sein Team bisher ein provisorisches, viel zu kleines Lokal betreiben, funktioniere das schon, sagt Kubikowski. «Flohschau» (Schaufenster werden vermietet, der Erlös der verkauften Objekte geht zur Hälfte an die Ausstellenden, zur Hälfte an ein soziales Projekt) oder «Brot und Wein» (ein Essen und Informationen zu einem Projekt, danach Diskussion) ermöglichen ganz niederschwellig das Knüpfen von Kontakten. Konzerte, Tanz, Improvisationstheater, Kurse mit Werkstattcharakter, kulturelle und soziale Projekte werden am neuen Ort dazu kommen.

Einfach mit offener Hand

Und was ist der Unterschied zur Jugendarbeit? «Wir sind mitten im Markt, müssen uns behaupten gegen andere Angebote», sagt Kubikowski. «Wir missionieren nicht, sondern gehen direkt dahin, wo junge Menschen feiern und in den Ausgang gehen und bieten Raum für Gespräch, Dialog, Beziehungen und Begegnungen.» Ganz im Sinne einer Geh-hin-Kirche. Die Jungen können kommen, ohne sich engagieren zu müssen. Es gibt auch keinen Konsumzwang. «Wir halten einfach die Hand offen. Für mich sind alle Leute gleich.» Zielpublikum sind vor allem junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren, unabhängig von Nationalität oder Religionszugehörigkeit.

Geh-hin-Kirche nennt sich das - eine Kirche, die mit einer verständlichen Sprache da ist, wo das Leben stattfindet. Das ist einzigartig für eine Kirche für junge Leute in der Schweiz. Die übrigen sind entweder stark liturgisch ausgerichtet oder arbeiten vor allem mit Events.

Ausserdem kann hier jeder reinkommen. Vermutlich auch abends, zur Ausgehzeit, dann, wenn in den Viaduktbögen eben Leben ist. Die Diskussion über eine Harmonisierung der Öffnungszeiten unter den Mietern ist noch im Gang.

Datum: 19.05.2010
Quelle: Kipa

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