Offener Brief an Emanuel Macron

«Heute fühle ich mich durch unsere Gesetze bedroht»

Viele französische Christen fühlen sich von den aktuellen Gesetzen Frankreichs bedroht.
70'000 Personen unterzeichneten den offenen Brief von Samuel Peterschmitt, Pastor in der «Porte Ouverte» in Mulhouse, an Präsident Emanuel Macron. Darin steht unter anderem: «Heute fühle ich mich durch die Gesetze meines Landes bedroht.»

«Laizität bedeutet die Neutralität des Staates und garantiert die Gleichheit aller vor dem Gesetz, ohne Unterscheidung von Religion oder Überzeugung. Sie garantiert Gläubigen und Nicht-Gläubigen das gleiche Recht auf Meinungsfreiheit ihrer Überzeugungen», zitiert Pastor Samuel Peterschmitt, Pastor in der Freikirche «Porte Ouverte» in Mulhouse die französische Regierung und fragt: «Warum also wird mein Glaube nicht als gleichwertig zu den aktuellen Strömungen angesehen? Warum habe ich das Gefühl, dass das Aussprechen meiner Überzeugungen sensibler ist als das Propagieren anderer – die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären?»

Er bedauert im Schreiben weiter: «Früher fühlte ich mich geschützt, heute fühle ich mich durch die Gesetze meines Landes bedroht.»

Auslöser waren Olympische Spiele

Bei der Eröffnung der Olympischen Spiele 2024 in Paris schockte «La grande Nation» die Weltöffentlichkeit durch eine Herabsetzung der Abendmahlszene. «Deshalb haben wir reagiert», sagt Samuel Peterschmitt. Im öffentlichen Raum in Frankreich werde die Neutralität hochgehalten. «In einem Krankenhaus, darf man nicht vom Glauben sprechen. Ein Lehrer in der Schule darf nicht über seinen Glauben reden.»

Man könne verstehen, dass im öffentlichen Raum jeder die Freiheit des anderen zu respektieren und nicht die anderen zu bekehren versuche. «Das wurde nun aber wörtlich zum Kampf gegen die Christenheit gemacht.»

Im Brief an Präsident Macron ist unter anderem festgehalten, dass Christen für ihr Land beten, dass Christen unter anderem Mediziner und andere Berufsleute sind, die das Land reicher machen. – Und dass man nicht will, dass man aufgrund des Glaubens anders behandelt wird als andere Bürger.

Auch Muslime unterzeichneten

Samuel Peterschmitt

Nicht weniger als 70'000 Menschen unterzeichneten den offenen Brief. «Wir haben keine Antwort von Elysee erhalten. Wir haben keine Antwort vom Präsidenten bekommen», bilanziert Samuel Peterschmitt.

«Uns war wichtig, zu sagen: Wir als gläubige Menschen werden an unserem Glauben festhalten.» Zu den Unterzeichnern gehören auch Muslime. Auch sie können nicht viel anfangen mit der Wokeness, die zuletzt in Westeuropa Einzug gehalten hat. «Auf dieser Seite sind wir näher bei ihnen als bei der säkularen Gesellschaft», erklärt Samuel Peterschmitt. Bis heute ist in Mulhouse keine Antwort aus Paris angekommen. 

Schon einmal in der facettenreichen Geschichte Frankreichs sind protestantische Christen unter Druck geraten. Niemand Geringeres als der Sonnenkönig Louis XIV. verfolgte seinerzeit Frankreichs Protestanten. «Der Wokeismus ist nun viel schärfer und böser», so Peterschmitt.

Wer jetzt schweigt, darf sich später nicht beklagen...

Samuel Peterschmitt betont: «Wenn wir nichts sagen, dann können wir uns auch nicht beklagen, wenn wir eines Tages nichts mehr sagen dürfen.» Es gehe nicht darum zu politisieren, sondern das Recht wahrzunehmen. «Für Sachen, die wir auf der Bühne sagen, könnten wir gestraft werden. Ich könnte eine Gefängnisstrafe erhalten.» Der Brief sollte dem Staat auch zeigen, dass man die Freiheit behalten und den christlichen Glauben ausleben wolle. «Es geht darum, in Freiheit zu sprechen.»

Wenn man in Frankreich eine biblische Einstellung zur Familie hat, ein Mann und eine Frau als solche benennt oder ein Ehepaar mit Kindern befürwortet, «dann sagt man, dass man rechtsextrem ist, ein Faschist. Uns ist es egal, wenn ein Mann mit einem Mann zusammen ist… das ist seine Freiheit, aber dass man uns zwingt, ‘Ja’ zu sagen oder unsere Kinder entsprechend zu lehren, damit sind wir nicht einverstanden. Sie haben die Freiheit, das ist keine Frage, aber dass man uns zwingt, in den Gemeinden unsere Art des Predigens zu verändern und inklusiv zu sein, ist etwas anderes… Wir wollen nicht das Wort Gottes ändern.»

Eine Reaktion sei, dass die Regierung die Finanzen noch mehr überprüfe, «so weit ist es heute. Es ist nicht frontal, aber es geht um die Steuern und andere Sachen, die uns das Leben zu erschweren.»

Redefreiheit steht im Zentrum

«Es geht darum, unsere Freiheit und unser freies Wort behalten und öffentlich machen zu können. Die Frage ist: Was ist unsere Mission als Kirche? Meine Mission ist es, das Evangelium zu verkünden. Wir haben uns immer verboten, Politik zu machen. Wir gehen davon aus, dass das Evangelium zu allen Menschen gelangen muss, egal was ihre politische Meinung ist. Vertritt man eine Meinung, schliesst man die Türe zu vielen anderen. Jesus tat dies nicht und die Apostel auch nicht. Unser Brief steht nicht für eine politische Einstellung, sondern er steht ein für die religiöse Freiheit im Ausdruck des Glaubens.»

Lesen Sie hier den Brief in die deutsche Sprache übersetzt. Den Brief im französischen Wortlaut finden Sie hier.

Herr Präsident der Republik,

In Ihrer Eigenschaft als Vertreter des Staates, als Garant der öffentlichen und individuellen Freiheiten, wende ich mich an Sie. Es ist zur Verteidigung meiner Freiheit des Denkens, des Gewissens, der Religion, der Meinung und der Meinungsäusserung, dass ich mich heute zu Wort melde (Artikel 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 sowie Artikel 18 und 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948).

Frankreich, auf das anlässlich der Olympischen und Paralympischen Spiele in Paris 2024 alle Augen gerichtet sind, hat sich entschieden, sich der Welt als offen heidnische Nation zu präsentieren, die dem christlichen Glauben ablehnend gegenübersteht. Diese öffentliche, überlegte und bewusste Demonstration erscheint als natürliche Folge ethischer, moralischer und gesellschaftlicher Entscheidungen, die weniger deutlich, aber weitaus nachhaltiger in ihrer Wirkung sind.

Als französischer Staatsbürger, Christ und Gläubiger in Frankreich danke ich für die mir gewährte Freiheit, meinen Glauben zu leben – und dennoch bin ich besorgt über die Zukunft dieser Freiheit.

Ich suche weder Konfrontation noch Zwietracht, sondern im Gegenteil Frieden und Eintracht. Mein Glaube führt mich zu einer persönlichen, familiären und sozialen Haltung im Einklang mit dem «Zusammenleben». Ich respektiere die Autorität des Staates und seiner Vertreter, auch wenn ich Entscheidungen akzeptiere, die ich nicht gutheisse.

Ich verkünde eine gute Nachricht, Herr Präsident, ich erlasse sie nicht.

Gläubige wie ich nehmen aktiv am Leben der Nation teil. Wir arbeiten in allen Bereichen der französischen Gesellschaft, bemühen uns, die uns übertragenen Aufgaben bestmöglich zu erfüllen, Impulse zu geben und Zusammenhalt zu fördern. Wir halten unser Land am Leben – seine Fabriken, Krankenhäuser, Schulen, Unternehmen – und lassen Frankreich weit über seine Grenzen hinaus erstrahlen.

Wir leben eine gute Nachricht, Herr Präsident – wir zwingen sie niemandem auf.

Die Gläubigen Frankreichs sind Bürger, auf die die Nation stolz sein kann.

Trotzdem möchte ich Ihnen, Herr Präsident, in einem Geist der Offenheit und des Respekts meine Besorgnis über die Freiheit äussern, die grundlegenden Werte meines Glaubens zu leben und zu verteidigen.

Denn während sich die politischen Leitlinien unseres Landes zunehmend von den ethischen und moralischen Prinzipien des christlichen Glaubens entfernen, sehe ich mich zunehmend gezwungen, diese Prinzipien im Namen einer Toleranz zu verschweigen, die meinen Glauben nicht toleriert. Ich sehe mich gezwungen, meine kostbarsten Überzeugungen in einen so intimen Raum zu verbannen, dass sie mir selbst fast beschämend erscheinen.

Und doch: «Laizität bedeutet die Neutralität des Staates und garantiert die Gleichheit aller vor dem Gesetz, ohne Unterscheidung von Religion oder Überzeugung. Sie garantiert Gläubigen und Nicht-Gläubigen das gleiche Recht auf Meinungsfreiheit ihrer Überzeugungen.» (Quelle: info.gouv.fr)

Warum also wird mein Glaube nicht als gleichwertig zu den aktuellen Strömungen angesehen? Warum habe ich das Gefühl, dass das Aussprechen meiner Überzeugungen sensibler ist als das Propagieren anderer – die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären?

Warum scheint es mir gewagt, eine Frau zu ermutigen, das Kind zu behalten, das sie erwartet, statt es töten zu lassen? (Gesetz Nr. 2017-347 vom 20. März 2017 über die Ausweitung des Straftatbestands der Behinderung eines Schwangerschaftsabbruchs)

Warum scheint es mir gefährlich, meinen Kindern offen zu vermitteln, welches Verhalten laut Bibel moralisch ist und welches als Sünde gilt? Und warum wäre es inakzeptabel, wenn ein Mann oder eine Frau von diesen Werten hört, überzeugt wird und seine Meinung ändert? (Gesetz Nr. 2022-92 vom 31. Januar 2022, das Praktiken verbietet, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Person zu ändern, sowie der nationale Plan für Gleichheit gegen Hass und Diskriminierung gegenüber LGBT+-Personen [2023–2026])

«Offiziell wurden sie zwar nicht wegen ihres Glaubens verhaftet und verurteilt, sondern weil sie ihre Überzeugungen laut ausgesprochen und ihre Kinder in diesem Geist erzogen haben.» (A. Solschenizyn, Dissident des sowjetischen Regimes, Essayist und Literaturnobelpreisträger)

Ihre Rede in Les Mureaux vom 2. Oktober 2020 sowie das Gesetz Nr. 2021-1109 vom 24. August 2021 zur Stärkung der Achtung der Grundsätze der Republik «mit dem Ziel, die Republik gegen jede Form des Separatismus zu wappnen und unser republikanisches Modell zu schützen», werfen Fragen auf in Bezug auf die Gemeinschaften, gegen die sich diese rechtlichen Mittel richten. Nicht alle bedrohen das republikanische Modell – es sei denn, man sieht im christlichen Glauben eine Bedrohung. Früher fühlte ich mich geschützt, heute fühle ich mich durch die Gesetze meines Landes bedroht.

Wie Sie selbst es im Zusammenhang mit der inklusiven Sprache treffend sagten, muss man manchmal «dem Zeitgeist nicht nachgeben» (30.10.2023) – oder, wie der Apostel Paulus schreibt: «[...] damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch das trügerische Würfeln der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. 15 Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.» (Epheser Kapitel 4, Vers 14–15)

Herr Präsident, ich kann bei meinen moralischen Überzeugungen keinen Kompromiss eingehen, ohne mich selbst zu verleugnen. Ich kann die Botschaft, an die ich glaube, nicht verändern, ohne den zu verleugnen, an den ich glaube.

Diese Haltung möchte ich mit diesem Schreiben respektvoll bekräftigen.

Ich bekräftige, dass ich die Botschaft von Liebe, Hoffnung und Gerechtigkeit, die die Menschheit durch die Jahrhunderte bewegt hat und die mich heute erfüllt, nicht verschweigen werde.

Ich bekräftige, dass ich die Überzeugungen anderer weiterhin respektieren werde, aber niemals eine Botschaft übernehmen kann, die dem Evangelium Jesu Christi widerspricht.

Alle, die sich in diesem Schreiben wiedererkennen, wünschen das Beste für unser Land und unsere Mitbürger. Wir werden weiterhin beten und handeln in diesem Sinne. Doch vor allem wollen wir Gott gefallen. Wir werden auch in Zukunft in diesem Geist denken, sprechen und handeln.

Bitte nehmen Sie, Herr Präsident, den Ausdruck meiner hohen Achtung entgegen.

Unterzeichnet: ein Christ und französischer Staatsbürger

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Datum: 21.07.2025
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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