Von den Enden der Erde

Den Fremden an sich herankommen lassen

Menschen aus über 60 Ländern finden sich in einer Gemeinde in der finnischen Hauptstadt Helsinki zum Gottesdienst ein. «Sie kommen aus allen sozialen Schichten», sagt Pastor Timo Keskitalo, «von Diplomaten und Nokia-Kaderleuten bis zu Asylbewerbern, Sans Papiers und Obdachlosen, Bettlern und Prostituierten».
Grenzen überschreiten: Timo Keskitalo an einer Konferenz in Südeuropa

Die International Evangelical Church (IEC) hält sonntags in verschiedenen Stadtteilen drei englischsprachige Gottesdienste mit insgesamt 300 bis 400 Besuchern. Finnen stellen ein Viertel von ihnen. Der Pastor der Kirche übt in der Gemeindearbeit den Dauer-Spagat: «Wir erfüllen nicht alle Erwartungen. Die einheimischen Nordeuropäer empfinden unsere Gemeinschaft als warm und fürsorglich. Aber Menschen aus gemeinschaftsorientierten südlichen Kulturen empfinden das Gegenteil! Für sie ist die Gemeinschaft überhaupt nicht so herzlich, wie sie es wünschen, sondern kühl und distanziert; sie möchten anders aufgenommen werden.»

Auf dem Mittelweg

Die IEC, eine 1976 gegründete unabhängige Freikirche, geht einen Mittelweg. Die Gottesdienste sind nach traditionellem Muster mit einer westlichen Liturgie gestaltet. «Damit fühlen sich Orthodoxe, Katholiken und Anglikaner wohl.» Zwischendurch singt die Gemeinde ein altes englisches Kirchenlied. Die Predigt dauert eine gute halbe Stunde.

Gar nicht finnisch

Nicht typisch finnisch ist die Unpünktlichkeit. Keskitalo: «Wenn wir den Gottesdienst beginnen, ist manchmal weniger als die Hälfte der Leute da.» Der Pastor nahm dies kürzlich in einer Predigt auf und meinte, Jesus wäre wohl erst am Ende des Gottesdienstes aufgetaucht. Jesus hatte die Tendenz, wenn nicht gar die Gewohnheit, zu spät zu kommen, sagt Keskitalo und verweist auf die Evangelien. «Einige Menschen starben, weil er ‚zu spät‘ kam.»

Wie fördert die International Evangelical Church die kulturübergreifende Gemeinschaft unter ihren Besuchern? «Die Leute sprechen miteinander und verbringen nach dem Gottesdienst auch Zeit zusammen. Sie sind am Ergehen des Anderen interessiert und laden einander ein.» Manche liessen sich auch geistlich von Menschen aus anderen Kulturen in Frage stellen; dies sei für nordische Verhältnisse ganz ungewöhnlich.

Gastfreundlich

Zu den Schwerpunkten des Gemeindelebens gehört die soziale Hilfstätigkeit. Jeden Montag und Donnerstag erhalten 200 Bedürftige nach Andachten (16.30, 18.30)  Nahrungsmittel. Timo Keskitalo vermutet, dass so 700 Personen zu essen bekommen. Die Gemeinde sucht Unterkünfte. Manche Gemeindeglieder liessen vorübergehend Bedürftige auf dem Küchenboden schlafen, ergänzt der Pastor. «So kann es sein, dass Sie morgens zu uns in den Gottesdienst kommen und am Abend jemand bei sich in der Wohnung haben…»

Sprachkurse, Rechtsberatung

Weiter bietet die IEC vierwöchige Finnisch-Intensivkurse an. Sie beschäftigt zwei Lehrpersonen vollzeitlich und hat aktuell 50-60 Ausländer in den Kursen. Die Gemeinde hat sich mit einem Netzwerk von Ärzten zusammengetan, um eine Klinik für jene aufzubauen, die die (günstigen) Dienste des finnischen Gesundheitswesens nicht in Anspruch nehmen können.

Juristen stehen bereit, um unentgeltlich Auskünfte zu geben. «Von Zeit zu Zeit kommen wir in die Schlagzeilen. Manchmal kritisieren wir die Einwanderungspolitik der Regierung oder wenden uns gegen Ausschaffungen in Staaten, die die Menschenrechte nicht achten.»

Migrantengemeinden vernetzen

Zusätzlich zu den üblichen Zweigen der Gemeindearbeit (Hauskreise, Kinder, Ehepaare, Musik etc.) dient die IEC auch in Gefängnissen. Sie führt einen englischen Buchladen. Sie gewährt in ihren Räumlichkeiten einer äthiopischen, einer chinesischen und einer indischen Gemeinde Gastrecht. Timo Keskitalo pflegt Beziehungen zu den Pastoren. Die Gemeinde führt auf ihrer Website die Gottesdienste zahlreicher Migrantengemeinden auf.

Die Internationalität der Gemeinde, die mit ähnlichen Kirchen im übrigen Europa vernetzt ist, fordert sie besonders heraus, Gott mit einem familiären Miteinander zu ehren. Dies geschieht dadurch, dass die Menschen der IEC «Jesus kennen, zusammen wachsen und Gottes Liebe ausleben».

Datum: 23.10.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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