Engagement zieht an

Der Erfolg der Freikirchen unter der Lupe

In 30 Jahren hat sich die Zahl der freikirchlichen Christen in der Schweiz verdreifacht. Das Magazin L’Hebdo widmet dem «Phänomen» eine Titelgeschichte.
Unter den wachsenden Freikirchen die auffälligste: Celebration des ICF Zürich (Bild von 2006).

Zu den evangelischen Freikirchen zählt eine von vier örtlichen religiösen Gemeinschaften des Landes. Ihre Mitglieder unterscheiden sich erheblich vom Durchschnitt: Verheiratet sind 72,5 Prozent der Freikirchler (47,1 Prozent der Schweizer), und sie haben deutlich mehr Kinder. Die Religionssoziologen Jörg Stolz von der Uni Lausanne und Olivier Favre, Pastor in Neuenburg, sind die Hauptautoren der eben als Buch veröffentlichten Studie «Le phénomène évangélique». Sie belegt etwa, dass die Hälfte der Mitglieder von charismatischen und Pfingstgemeinden nicht in diesen Gemeinden aufgewachsen sind.

Gründe für den Erfolg

Was bringt Freikirchen, namentlich den charismatisch ausgerichteten, Erfolg in einem Umfeld stark individualisierter Glaubenspraxis? Die Forscher sehen alle Kirchen im verschärften Wettbewerb mit säkularen Anbietern, von Psychologen über Coaches und Ritualbegleiter bis zu Event-Veranstaltern und Sportvereinen. Moderne Freikirchen punkten zum einen, indem sie die Herausforderungen der Konkurrenz annehmen.

Zweitens fällt den Soziologen an Freikirchen der starke Gemeinsinn auf, der auf dem Engagement vieler gründet: 87 Prozent der Freikirchler gehen wöchentlich mindestens einmal zum Gottesdienst, und 71 Prozent übernehmen freiwillig Dienste. Von Durchschnittsschweizern heben sie sich weiter ab durch evangelistische Aktivitäten. Das Magazin L’Hebdo zählt diese auf, erwähnt aber auch, dass neun von zehn Freikirchen in den letzten Jahren soziale Projekte (von Hilfe an Bedürftige bis zu Waldreinigung) ins Werk gesetzt haben.

Wachsende Polarität?

Laut dem Magazin könnten die Freikirchen anderen Kirchen des Landes künftig als Vorbild dienen. Jörg Stolz schliesst nicht aus, dass sie künftig vermehrt offizielle Anerkennung fordern. In der Westschweiz sind Vorbehalte gegenüber den évangéliques grösser, was der Lausanner Religionssoziologe mit dem offiziell religionslosen Nachbarstaat Frankreich in Verbindung bringt.

Jörg Stolz meint, dass das Wachstum der Freikirchen anhalten wird – sofern sie «die Geburtenrate hoch halten» und weiter Aussenstehende anziehen könnten. Die Schweizer Gesellschaft werde kontrastreicher, da den bekennenden Christen ein wachsender Bevölkerungsteil gegenüberstehe, «der sich säkularisiert und wenig oder gar nichts glaubt». Aufgrund ihrer demokratischen Einstellung könnten aber die Schweizer diese Polarität bewältigen.

Das Buch «Le phénomène évangélique, Analyses d’un milieu compétitif» von Jörg Stolz, Olivier Favre, Caroline Gachet und Emmanuelle Buchard (Editions Labor et Fides, Genf, 2013, ISBN 987-2-8309-1468-9) soll im Herbst auf Deutsch erscheinen.

Datum: 18.01.2013
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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