Der Sonntag – reif fürs Museum?

Sonntagsarbeit

Bonn. Die Sonderausstellung “Am siebten Tag. Geschichte des Sonntags“ ist im Bonner “Haus der Geschichte” eröffnet worden. Mehr als 800 Besucher schon am ersten Abend zeigten, dass die Verantwortlichen der Stiftung offenbar ein gesellschaftlich bedeutsames Thema getroffen haben.

“Ist es schon so weit gekommen”, mag sich mancher beim Ausstellungstitel fragen, “dass Sonntag und Sonntagsheiligung reif fürs Museum sind?” Zumindest ist das Thema höchst brisant vor dem Hintergrund immer neuer wirtschaftlicher Begehrlichkeiten, die mit Argumenten wie Wettbewerbsfähigkeit und Erhalt von Arbeitsplätzen den ohnehin schon an vielen Stellen ausgehöhlten gesetzlichen Sonntagsschutz in Frage stellen. Da ist es eine kleine Sensation, wenn in einer Zeit, da die Stimme der Kirchen im gesellschaftlichen Chor an Einfluss und oft auch an Klarheit verloren hat, sich eine Einrichtung wie das Bonner “Haus der Geschichte” eines solchen Themas annimmt. Noch dazu mit dem erklärten Ziel, die christlichen Wurzeln des Sonntags als “Herrentag” und “Tag der Auferstehung Christi” sowie der damit verbundenen Rituale neu bewusstzumachen.

Unübersehbar begrüsst den Besucher im Eingangsbereich der Schau eine Kirchenkanzel. Sie steht – symbolisch für die Spannung, welche die ganze Ausstellung durchzieht – vor einer Bildwand mit unzähligen Fotos: Menschen bei der Arbeit, bei Freizeit und Vergnügen. Begleitet wird der “Einstieg” in die Schau mit dem Schöpfungsbericht – aus dessen Abfolge der Tage sich auch der Ausstellungstitel ergab. Mit beeindruckender inhaltlicher und präsentationstechnischer Vielfalt gehen die Ausstellungsmacher der Frage nach, welche Rolle der Sonntag im Leben der Menschen spielte und spielt, welchen Einflüssen er ausgesetzt war und ist.

Bloss keine Nostalgie!

Es ist gut, sich bewusst zu machen, dass unser heutiges, mit allgemeiner Arbeitsruhe verbundenes Feiertagsverständnis so alt noch nicht ist. Zwar setzte sich in der ersten Christenheit sehr bald der Sonntag als Tag des Gottesdienstes und vor allem des Abendmahles durch. Doch wurde er bewusst nicht in der Tradition des jüdischen Sabbat gesehen und die entsprechenden Gesetze des Alten Bundes nicht auf ihn übertragen.

Staatliche Arbeitsruhe seit dem Jahr 321

Eine die biblische Schöpfungsordnung mit ihrem Wechsel von Arbeit und Ruhe umsetzende staatliche Arbeitsruhe gibt es – ausser für Landwirte – seit Kaiser Konstantin im Jahr 321. Den nostalgischen Rückblick auf die “gute, alte Zeit”, in der Gottes Gebote noch das Leben bestimmten und der Sonntag dem Kirchgang sowie der sittlichen Erbauung diente, stellt die Schau allerdings in Frage: Dokumente und Bilder aus vergangenen Jahrhunderten zeigen, dass Männer auch früher oftmals lieber beim Kartenspiel als unter der Kanzel sassen, oder dass, wenn sich die bürgerliche Familie zum Kirchgang oder sonntäglichen Spaziergang aufmachte, das Hausgesinde derweil zu arbeiten hatte.

Wochenend und Sonnenschein und dann ...

Eindrücklich zeigt die Schau die Feiertagsbedrohung durch die Industrialisierung. Der ökonomische Griff nach dem Sonntag begann im 19. Jahrhundert. Erst dem gemeinsamen Kampf kirchlicher, gewerkschaftlicher und sozialistischer Sozialreformer gelang es, am Ende des 19. Jahrhunderts die Sonntagsruhe in Deutschland gesetzlich für alle zu verankern.

“Wochenend und Sonnenschein, und dann mit dir im Wald allein ...” – einer der bekanntesten Schlager der legendären Comedian Harmonists aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts klingt leise aus Lautsprechern und begleitet die Dokumentation eines radikalen Umbruchs: Die 1919 erstmals erfolgte und bis heute bestehende verfassungsrechtliche Verankerung des Schutzes des Sonntags wird paradoxerweise zugleich zum Verstärker seiner bis heute anhaltenden Säkularisierung. Es entwickelt sich eine ausgeprägte ausserkirchliche Freizeitkultur: Sport- und Geselligkeitsvereine, Laubenpieper und Wandervögel reklamieren den Sonntag als “ihren” Tag.

Individualisierung des Feiertage

Fernsehen und Konsum, Freizeitindustrie und “gleitende Arbeitswoche” führen zur Individualisierung des Feiertages. Eine wichtige Rolle spielt in Ost und West die Einführung der Fünf-Tage-Arbeitswoche: Der Sonntag verliert dadurch im Bewusstsein der Menschen seine einzigartige Rolle. Mit dem aktuellen “Sonntagskampf” und den kirchlichen Aktionen (“Ohne Sonntag gibt´s nur noch Werktage”) endet die Schau. Die Ausstellung fordert den Besucher in einzigartiger Weise zum Überdenken seines eigenen Sonntagsverständnisses heraus. Die Ausstellung ist noch bis zum 21. April 2003 zu sehen.

Datum: 12.11.2002
Quelle: idea Deutschland

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