Adventskranz entstand in der Not
Im Hamburger Kinderheim «Rauhe Haus» spielte das Weihnachtsfest eine grosse Rolle. Das «Rettungshaus» für die Betreuung von verwahrlosten Kindern entstand 1833 durch den evangelisch-lutherischen Theologen und Begründer der Evangelischen Diakonie Johann Hinrich Wichern (1808–1881). Das Haus besteht noch heute und betreut mit 1330 Mitarbeitenden Hunderte von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen und Ausbildungsstätten.
In der Vorweihnachtszeit von 1839 fragten die Kinder Johann Hinrich Wichern immer wieder, wann denn nun endlich Weihnachten sei. Um dieser Frage zuvorzukommen und den Kindern das Warten leichter zu machen, bastelte er eine Art Weihnachtskalender. Er nahm ein Wagenrad und befestigte darauf 24 Kerzen, vier davon grösser und prominenter in weiss für die vier Adventssonntage, alle restlichen kleiner und rot. 24 Kerzen, weil es so viele Tage vom ersten Advent bis zum Heiligen Abend waren. Johann Hinrich Wichern wollte den Kindern damit die Wartezeit bis Weihnachten verkürzen und ihnen dabei gleich das Zählen beibringen.
Vom Betsaal in die Welt
Anfang des 19. Jahrhunderts leben im Stadtstaat Hamburg (der heutigen Innenstadt) 100’000 Menschen, 60 Prozent davon in Armut. In den Elendsvierteln sind soziale und hygienische Verhältnisse katastrophal. Besonders betroffen sind die Kinder: Verwahrlosung, Kriminalität und Prostitution sind für sie alltäglich. Nur die wenigsten haben das Nötige zum Leben. Viele sind körperlich unterentwickelt und krank. Johann Hinrich Wichern war ein grosser evangelischer Sozialreformer und Kirchenvater des 19. Jahrhunderts. Seine pädagogischen, vor allem aber seine missionarischen und sozialpolitischen Ideen und Aktivitäten zogen über Hamburg hinaus Kreise. Sie gaben 1848 auf dem Wittenberger Kirchentag den Anstoss zur Gründung der «Inneren Mission», dem Vorläufer all dessen, was heute als Diakonie bekannt ist.
Seinen Adventskranz hängte Johann Hinrich Wichern damals im Betsaal des Waisenhauses auf und an jedem Tag wurde eine neue Kerze angezündet. Vom Betsaal des Hamburger Waisenhauses hat der Adventskranz die ganze Welt erobert. Um 1860 wurde der Kranz mit Tannengrün geschmückt und setzte sich in den evangelischen Kirchen durch. Den Einzug in Privathaushalte schaffte der Adventskranz Anfang des 20. Jahrhunderts. 1925 hing erstmals ein Kranz in einer katholischen Kirche.
Symbolischer Lichtblick in dunklen Zeiten
Die kleinen roten Kerzen wurden zu grossen, denn diese Farbe ist noch heute die weit verbreitetste für die Lichter. Denn Rot steht für die Liebe und das Licht. Daneben gibt es allerdings gerade im katholischen Raum auch die Farben Violett und Rosa. Denn die liturgische Farbe des Advents ist Violett. Die ursprüngliche Symbolik des Adventskranzes ist die Zunahme des Lichtes als Ausdruck der steigenden Erwartung auf Weihnachten und die Ankunft von Jesus Christus – dem wahren Licht, das seit seiner Geburt die Welt erleuchtet. Auch die vier Himmelsrichtungen werden gerne mit dem Adventskranz assoziiert. Und die Farbe Grün, also die Tannenzweige, symbolisiert die Hoffnung. Die Kreisform des Kranzes symbolisiert auch die mit der Auferstehung gegebene Ewigkeit des Lebens, weil der Kranz keinen Anfang und kein Ende kennt.
Kein Wunder, dass Johanna Gollnhofer, Professorin für Marketing an der HSG St. Gallen, im «St. Galler Tagblatt» sagt: «Weihnachten ist eines der stärksten emotionalen Rituale unserer Kultur. Warme Lichter, sanfte Musik, Kindheitssymbole. Diese Signale treffen genau das, wonach sich Menschen ohnehin sehnen.»
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Dienstagsmail Nr. 901.
Zum Thema:
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Datum: 03.12.2025
Autor:
Markus Baumgartner
Quelle:
Dienstagsmail