Was hindert eigentlich Menschen am meisten daran, Christ zu werden? Und was bereitet Christen die grössten Probleme, überzeugend zu leben? Nach dem Neuen Testament ist es das Geld. „Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels“ (1. Timotheus 6,10). Jesus Christus selbst bringt es auf den Punkt, wenn er feststellt: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ (Matthäus 6,24). Es hat in der Kirchengeschichte immer wieder Versuche gegeben, mit diesem Problem fertig zu werden. Am radikalsten durch Mönche und Nonnen, im evangelischen Bereich durch Diakonissen und Kommunitäten, deren Mitglieder geloben, in Armut zu leben, auf Besitz zu verzichten. Daneben gibt es Zwischenformen, wie sie beispielsweise die Offensive Junger Christen (OJC, Reichelsheim im Odenwald) praktiziert, in der jedes ihrer über 100 Mitglieder nur ein Taschengeld erhält. Doch nur wenige können sich Orden oder Kommunitäten anschliessen, wollen aber trotzdem für sich und andere ein Zeichen setzen, wie man mit Geld anders als üblich – eben biblischer – umgeht. Ein ungewöhnliches Modell praktizieren seit 18 Jahren zwei Schweizer Familien, die in Stäfa, einem grösseren Dorf südlich von Zürich, leben. Da ist Hans Lendi. Ihm ist immer wieder aufgefallen, dass die Warnung, sich an Materielles zu hängen, in der Bibel eine wesentlich stärkere Bedeutung hat (2.084 Verse handeln davon) als das Thema Glaube (215 Verse). Für ihn wurde es zu einem Lebensziel, nicht von Materiellem abhängig zu werden. Gleichzeitig wollte er möglichst viel Zeit, aber auch Geld für das „Reich Gottes“ haben, wie er es nennt: Gemeinde, diakonische und missionarische Projekte. Schon als Assistent an der Technischen Hochschule Zürich wurde das Motto des Begründers der methodistischen Kirche, John Wesley, zu seinem Lebensprinzip: „Verdiene, soviel du kannst – Spare, soviel du kannst – Gib, soviel du kannst.“ Im gemeinsamen Gebet mit seiner Frau Ruth schloss er mit Gott so etwas wie einen „Vertrag“: „50% meiner Zeit möchte ich Geld verdienen und 50% für das Reich Gottes wirken.“ Das ist nicht einfach für einen Diplom-Ingenieur, der ein eigenes Büro eröffnet und auf Aufträge anderer angewiesen ist. Doch das Ehepaar nahm das Wort Jesu „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“ (Matthäus 6,33) wörtlich – auch in beruflicher Hinsicht: „Wenn Gott will, dass ich mich zu 50% direkten Aktivitäten des ‚Reiches Gottes’ widme, dann wird er auch dafür sorgen, dass ich so viele und so gute Aufträge bekomme, dass wir davon leben können.“ Und hat es geklappt? Der 60-jährige hat in den 24 Jahren, seit er sein Ingenieurbüro hat, zwar oft mit seiner Familie um Aufträge gebetet, aber er hat tatsächlich genug bekommen. Um sich so wirkungsvoll wie möglich neben seiner Berufsarbeit für anderes einsetzen zu können, überlegten er und seine Frau, zusammen mit einer weiteren Familie so etwas wie eine „christliche Wohngemeinschaft“ zu bilden: „Denn wenn Christen zusammen leben und arbeiten, entstehen Synergien.“ Im Hauskreis ihrer landeskirchlichen Gemeinde lernten sie ein Ehepaar kennen, das ähnlich dachte. Vier Jahre trafen sich die vier alle 14 Tage, um Pläne zu schmieden. Beide Ehepaare haben heute je drei erwachsene Kinder. Erwin Grau (59) und seine Frau Vreni (52) sind Lehrpersonen, ebenso Ruth (60). Beide Frauen sind nicht erwerbstätig. Neben den Aufgaben als Hausfrauen kümmern sie sich um Menschen, die in schwierigen Umständen leben (Ältere, Kranke, Tageskinder und Schüler mit Problemen). Zu viert leiten sie verschiedene Kreise (Hauskreise, Frauengruppen und Männergebetskreise). Hans Lendi ist ferner in den Vorständen der evangelikalen Intermission ebenso wie von ideaSpektrum Schweiz. Erwin Grau verfasste bibeltreues Unterrichtsmaterial für das Fach Religion. Ein besonderes Anliegen ist ihnen die aus 19 Häusern bestehende Siedlung, in der sie wohnen. Vreni Grau: „Man sieht genau hin, wie wir als Christen leben.“ Eine Buddhistin, die sie besonders intensiv beobachtete, ist inzwischen eine engagierte Christin geworden. Erwin Grau: „In unserer Siedlung gibt es kaum grosse Auseinandersetzungen, es herrscht eigentlich eine friedliche Stimmung. Ob es daran liegt, dass soviel gebetet wird?“ Die beiden Familien ziehen 1985 in zwei aneinander gebaute Reihenhäuser und sorgen für einen direkten Durchgang im Keller. Sie waschen miteinander ihre Wäsche, benutzen das Auto zusammen und haben einen gemeinsamen Vorratsraum. Dann trafen sie eine Vereinbarung: Wenn eine Familie etwas anschaffen will, was mehr als 500 Franken (322 Euro) kostet, wird die Sache mit dem anderen Ehepaar zusammen vor Gott geprüft. Beide betonen: „Wir haben bisher immer einen Konsens gefunden.“ Alles, was bei ihrer eher einfachen Lebensweise an Geld übrig bleibt, kommt diakonischen und missionarischen Projekten zugute. Darüber wird am Anfang eines jeden Jahres gemeinsam entschieden. Und was läuft nun tatsächlich besser durch das gemeinsame Leben? Hans Lendi: „Wenn man sich lange und intensiv kennt, weiss man, wo die Stärken und Schwächen des anderen liegen. Wenn jeder mit seinen Stärken zum Zuge kommt, kann man wirkungsvoller tätig sein.“ Das erleben sie in der Gemeindearbeit, z. B. bei den gemeinsamen Weihnachtsfeiern, zu denen sie Alleinstehende, ältere Menschen oder auch Asylsuchende einladen. Vreni Grau: „Wo würden wir heute glaubensmässig wohl stehen, wenn wir nicht eine enge Gemeinschaft mit anderen hätten? Vieles wäre abgeflaut, und ob wir in Durststrecken durchgehalten hätten, wissen wir nicht.“ Erwin Grau: „Wir hätten uns vermutlich schon das eine oder andere geleistet, was eigentlich überflüssig ist, wenn wir uns nicht gegenseitig immer wieder hinterfragen würden.“ Ruth Lendi: „Wenn man sich beim Geld reinreden lässt, dann werden viele positive Kräfte für anderes freigesetzt. Denn Geld und Geist hängen eng zusammen. Wir müssen lernen, unsere Einstellung zu ändern, die bestimmt ist von ‚ich’, ‚mein’, ‚mir’, ‚mich’.“ Wollten sie eigentlich schon immer viel Gemeinschaft? Ruth Lendi: „Für mich ist so viel Gemeinschaft gar nicht selbstverständlich. Von meiner Prägung her wollte ich immer lieber allein und mit meinem Mann zusammen meinen Glauben leben. Aber ich habe viel über mich gelernt, besonders was meine Schwachstellen anbetrifft. Ein gutes Übungsfeld sind zum Beispiel die gemeinsamen Vorräte, über die wir nicht Buch führen (wer gerade einkauft, bezahlt alles).“ Vreni Grau: „Ich hatte Angst vor einer zu grossen Enge. Aber mir wurde im Gebet klar, dass ich auf diese verbindliche Gemeinschaft eingehen sollte.“ Geht man sich bei so viel Enge zwischen zwei Familien nicht gegenseitig auf den „Wecker“? Nein – betonen beide Seiten. So respektiere jede Familie die intimen Lebensbereiche der anderen. Wer beim anderen über den Wohnzimmerbereich hinaus in ein Zimmer will, muss vorher fragen. Die Erziehung der Kinder geschah in jeder Familie selbst. Wollten die Kinder Gemeinschaft, konnten sie sie haben, wenn nicht, wurde das respektiert. Jeden Abend treffen sich die Ehepaare zu einem gemeinsamen, etwa 20-minütigen Gebet. Beide Familien essen einmal pro Woche gemeinsam. Alle vier betonen: „Wir möchten mit allem Gott dienen. Dabei ist uns die Gemeinschaft eine grosse Hilfe, werden wir doch bei Falschem gebremst und bei Gutem motiviert. Das gemeinsame Leben ist für uns ein heilsamer Prozess gewesen, ganz ehrlich zu werden, Differenzen auch wirklich auszusprechen und Vergebung zu praktizieren. Dadurch wurden und werden wir demütiger und wachsen so im Glauben.“ Internet: www.idea.de; www.ideaschweiz.ch 50% für das Reich Gottes
Wenn Christen einig sind
Eine Buddhistin wurde Christin
Was läuft besser?
Ein gutes Übungsfeld
Datum: 01.10.2003
Autor: Helmut Matthies
Quelle: idea Schweiz