ARD zeigt Film über Scientology
Freundliche Herren in dunklen Anzügen empfangen die Pressevertreter in der Hamburger Scientology-Zentrale. Mit persönlicher Begleitung geht es hinab in die «Kapelle», einen Konferenzraum mit Stuhlreihen. Im Vorraum wartet ein Büfett, gegenüber ein Tisch mit Werbematerial. Gut vorbereitet lud Scientology Deutschland kurz vor der heutigen Ausstrahlung des ARD-Spielfilms zur Pressekonferenz ein.
Die Organisation ist verärgert. Der Film über das Schicksal eines Aussteigers aus der Organisation, der heute Mittwoch im Ersten läuft, sei eine «Kampagne mit Informationen, die nicht stimmen», sagt Sprecher Jürg Stettler, Sprecher von Scientology Deutschland. Ein juristisches Vorgehen gegen den ARD-Film sei zwar nicht geplant. Scientology fordert den Senderverbund jedoch auf, die Ausstrahlung des Films «gemäss eigener Kontrollinstanzen» zu überprüfen.
«Pflicht zur Aufklärung»
«Bis nichts mehr bleibt» handelt vom Schicksal einer Familie, die von Scientology zerrissen wird. Der Fernsehfilmchef des bei dem Projekt federführenden SWR, Carl Bergengruen, betont: «Als öffentlich-rechtlicher Sender ist es unsere Pflicht, auf gesellschaftliche Probleme und Missstände aufmerksam zu machen.» Der Film sei keine «eins zu eins»-Umsetzung eines Einzelschicksals, sondern eine fiktive Geschichte, die die Methoden von Scientology authentisch darstelle.Monatelange Recherchen
Drehbuchautor und Regisseur Niki Stein stützt sich laut Bergengruen auf sehr genaue und monatelange Recherchen, bei denen er mit Aussteigern, Zeugen und Experten gesprochen habe. «Es ist unser Ziel, das Bewusstsein von Millionen Zuschauern für die Scientology-Problematik zu schärfen.» Um zu verhindern, dass die Organisation vorab Informationen über den Film in Erfahrungen bringt, sei der gesamte Drehprozess geschützt worden.Scientology mit eigener Variante der Geschichte
Offenbar weiss Scientology trotzdem genau, worum es in dem Film geht. Laut Stettler hat die Organisation die nötigen Informationen Medienberichten entnommen. In einem eigenen, rund 40-minütigen Dokumentationsfilm, der den Journalisten in Hamburg präsentiert wurde, erzählt sie ihre Variante der Geschichte, auf der «Bis nichts mehr bleibt» zum Teil beruht.Vom Bundesverfassungsschutz beobachtet
Ursula Caberta, Leiterin der Hamburger Arbeitsgruppe Scientology, wirkte an dem ARD-Film beratend mit. «Er stellt die Methoden Scientologys realistisch dar», sagt die Expertin und betont, dass die Organisation seit der Innenministerkonferenz 1997 als eine neue Form des politischen Extremismus gilt und deshalb vom Bundesverfassungsschutz beobachtet wird.Schadensersatzklage
Scientology stört sich schon länger an Caberta. Statt die Organisation selbst zu befragen, hätten sich die Autoren des ARD-Filmstoffes von der Hamburger Sektenexpertin manipulieren lassen. Stettler kündigte deshalb jetzt eine Schadensersatzklage gegen die Stadt Hamburg an.Kritiker wie Caberta werfen Scientology unter anderem vor, durch teure Psychokurse ihre Mitglieder in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen. Durch die Seminare soll das unsterbliche Wesen jedes Menschen, der «Thetan», wiederhergestellt werden.
Sektenexperten fordern Scientology-Verbot
Sektenexperten fordern ein Verbot der umstrittenen Organisation. Ein Land müsse den Anfang machen und couragiert gegen Scientology vorgehen, sagte der frühere Direktor von Scientology Österreich, Wilfried Handl.Als Argumentationshilfe für die Behörden stellte Scientology-Aussteiger Handl einen Band über das Innenleben der Organisation vor. Unter dem Titel «Das wahre Gesicht von Scientology» enthält das Buch auf 284 Seiten originale Scientology-Dokumente, die weitgehend auch als Faksimile abgedruckt sind. Handl will damit einen Einblick in die Kommando-Strukturen und die Ideologie der Organisation geben.
«Richtlinien und Methoden»
Das Buch beinhaltet auch einen als «vertraulich» zu behandelnden «Richtlinienbrief» von 1968. Darin nennt Scientology-Gründer L. Ron Hubbard folgende Ziele: «Kontrollübernahme oder Ergebenheit wichtiger politischer Persönlichkeiten», «Kontrollübernahme oder Ergebenheit der Leiter oder Eigentümer aller Nachrichtenmedien». Auch die Absicht, «den Feind bis zum Punkt der völligen Auslöschung seiner Popularität berauben», gehört dazu.Der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Thomas Gandow, sagte, die Dokumentation sei kein «normales Aussteigerbuch», sondern ein Sachbuch über ein «menschenfeindliches faschistisches System». Er kritisierte zugleich die «ständige Verharmlosung Scientologys in den Medien» und die Unentschlossenheit der deutschen Politik, ein Verbotsverfahren zu prüfen.
Der Film wird heute Mittwoch, 31. März, 20.15 Uhr im Ersten (ARD) gezeigt. Direkt im Anschluss an den Film widmet sich die ARD in einer «Hart, aber fair»-Sendung dem Thema. Auch der SWR zeigt heute um 23 Uhr die Dokumentation: «Bis nichts mehr bleibt - wie Scientology Menschenleben zerstört».
Quellen: epd / ARD
Datum: 31.03.2010