«Jesus würde heute Filme machen»
Jahr für Jahr bringt das Zurich Film Festival ZFF Weltstars nach Zürich. In den letzten Jahren waren Schauspielerinnen und Schauspieler wie Pamela Anderson, Johnny Depp, Richard Gere oder Kate Winslet zu Gast. Anfangs hagelte es Verrisse. Die Zürcher Politik wollte nichts mit dem ZFF zu tun haben. Nach 20 Jahren spielt das ZFF in der Topliga der Filmfestivals. Das Filmgeschäft ist ein »People’s Business« – persönliche Beziehungen sind entscheidend. Der künstlerische Direktor Christian Jungen ist daher über drei Monate pro Jahr im Jahr im Ausland unterwegs. Er sieht sich jedes Jahr hunderte von Filmen an. Und er bezeichnet sich als gläubigen Christen. Verträgt sich das mit dem Glitzer und Glamour der Filmwelt? «Das ist kein Gegensatz. Das Kino kommt von den Jahrmärkten. Man musste immer die Aufmerksamkeit wecken, um die Leute ins Kino zu locken. Genauso sollten die Kirche und die Gläubigen auf den Glauben aufmerksam machen. Das Beste ist es, einfach ein authentisches Vorbild zu sein. Das finde ich überzeugender als blosses Predigen», sagte er zum «goMagazin».
Wieso macht der christliche Glaube Sinn? «Das Leben ist einfacher, wenn man einen Glauben hat. Natürlich kann auch ein Humanist einen Wertekanon entwickeln. Doch ohne Hoffnung auf das ewige Leben wird es irgendwann trist.» Er bedauert, dass der Glaube plötzlich Privatsache geworden und ziemlich mit Scham behaftet ist: «Trotzdem spielt er eine grosse Rolle im Alltag der Menschen.»
Wie würde sich Jesus heute mitteilen?
Auf der Landingpage «Filmpreis der Kirchen» erläutert Christian Jungen weiter: «Das Kino wie auch die Kirche arbeiten mit Bildern, erzählen Gleichnisse, die den Menschen viel zu sagen haben. Der Unterschied zwischen Filmen und biblischen Geschichten ist nicht so gross. Ich habe das Gefühl, wenn Jesus heute auf die Welt käme, würde er Filme machen.» Er ist überzeugt: «Jesus würde nicht nur in Parks predigen, sondern versuchen, seine Botschaften auf digitalen Kanälen an die Leute zu bringen und mit Bewegtbildern arbeiten.» Zum einen schätzt er den traditionellen Gottesdienst in den Kirchen. Zum anderen findet er, dass die Kirche die heiligen Gemäuer verlassen und auf die Leute zugehen muss: «Die meisten Leute haben in den letzten zwölf Monaten nie eine Kirche von innen gesehen, ausser bei einem Anlass.»
Jesus möchte die Leute emotional ansprechen, erklärt Christian Jungen: «Kirchen nutzen alle Kunstformen: Zuerst das Wort, die Schriftlichkeit, denn ‘am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott’. Natürlich nutzen Kirchen auch die Kunst: Biblische Geschichten werden illustriert, unterdessen auch in reformierten Kirchen. Ausserdem die Musik: Wir singen in der Kirche, es gibt Kirchenchöre und Orchester.» Aber was ist mit dem Film? Warum nutzt die Kirche das bewegte Bild nicht? «Es spielt heute im Leben der Menschen eine überragende Rolle. Jugendliche verbringen bis zu sechs Stunden pro Tag auf Tiktok, Instagram und YouTube. Warum sind die Kirchen dort nicht stärker präsent?» Er fragt weiter: «Warum in einer Predigt nicht einmal Bezug auf einen Film nehmen? Die Leute dort abholen, wo sie stehen. Das hat für mich nichts mit Anbiederung zu tun. Sondern mit Nähe zu den Menschen und ihren alltäglichen Themen.»
Schon als Teenager im Kino
Christian Jungen ist in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er einmal Kulturchef der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) würde. Was ihm immer geholfen hat, waren seine Neugier und seine Begeisterungsfähigkeit. Er wurde 1973 in Winterthur geboren und hat als Teenager als Kassierer im Kino gearbeitet und konnte Filme gratis sehen. Er liess sich zum Kino-Operateur ausbilden. Später studierte Christian Jungen Filmwissenschaft und schrieb eine Dissertation über das Verhältnis von Hollywood und dem Filmfestival Cannes. Nach einigen Jahren als Filmjournalist und Kulturchef der »NZZ am Sonntag«, übernahm er 2020 die künstlerische Leitung des Zurich Film Festivals und ist heute Gesamtleiter. Christian Jungen ist verheiratet und Vater einer Tochter.
Filmtipps des Direktors
Im «goMagazin» gibt Christian Jungen auch Filmtipps: Wie wäre es mit «Before Sunrise», einer Romanze zum Entspannen? Oder «Spotlight» oder «Conclave». Dabei geht es um Leute, die der Wahrheit auf der Spur sind. In «Spotlight» recherchieren Journalisten zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. Ralph Fienes und Edward Berger stellten «Conclave» am letzten ZFF vor. Fiennes spielt einen Zweifler, der die Konklave im Vatikan leitet und kritische Fragen stellt. Eine Figur, die nicht alles weiss, aber versucht, es herauszufinden. «Dagegen scheint es mir, dass wir in der Schweiz etwas wohlstandsverwahrlost sind. Viele leben vom Wohlstand, den unsere Eltern erarbeitet haben. Doch der Biss und der Ehrgeiz sind verloren gegangen. Mich inspiriert deshalb das amerikanische Kino, das die alten, puritanisch-protestantischen Werte von ‘Hard Work’ und ‘You can get it, if you really want’ hochleben lässt.»
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Datum: 08.10.2025
Autor:
Markus Baumgartner
Quelle:
Dienstagsmail Nr. 892