Prophetisch leben

Eine soziologische Studie* vermeldet: In der Bevölkerung herrscht ein ausgeprägtes Bewusstsein über das zunehmende soziale Gefälle in unserm Land, das sich zwar häufig in Unmut und Empörung äussert, aber die Menschen kaum zum Handeln bewegt.

‚So kann es nicht weitergehen’, ist die Haltung biblischer Propheten wie Amos und Micha. Sie wettern gegen die Habsucht der Reichen und klagen die Ausnutzung der Armen an (Amos 4 - 5). Nach ihrem Verständnis misst sich die Qualität einer Gesellschaft am Umgang mit ihren schwächsten Mitgliedern.

Weil für die Propheten die Menschen nicht auf eigene Faust leben, sondern im Angesicht ihres Schöpfers, mischen sie sich in das Weltgeschehen ein, treten sie als Warner und Mahner auf für einen Gott, der auf der Seite der Gerechtigkeit steht.
Denn Propheten sind nicht nur Seher, die Zusammenhänge durchschauen, weil sie dafür hellsichtiger sind als andere. Sie reden auch darüber. Sie sprechen offen aus, was ist, damit sich etwas ändert. Sie sind Träger der Hoffnung da, wo niemand mehr an eine Besserung glaubt. Für sie sind gerade in der oft ungerechten und gewalttätigen Welt noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die Gott in seiner Schöpfung angelegt hat.

„Ihr tut gut daran, auf das prophetische Wort zu achten; denn es ist wie ein Licht, das in der Dunkelheit brennt, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns eure Herzen erhellt,“ heisst es im zweiten Petrusbrief (1,19).

Wir sind wahrscheinlich ja keine Propheten. Aber wir haben die Erfahrung der vielen Dunkelheiten unseres Lebens genauso wie die vielfältigen Erfahrungen des Lichts – der richtungweisende Rat eines Freundes zum Beispiel, die erhellenden Zeilen eines Buches, die helfende Tat eines unbekannten Menschen.

Wir kennen auch die Botschaft Jesu. Wir versuchen, die prophetischen Worte der Bibel aus unserem Leben heraus zu vernehmen und zu verstehen. Aber es ist nicht immer leicht, sie auch zu leben und für sie einzustehen.
Es ist darum gut zu wissen, dass wir dabei nicht nur auf uns selbst und auf die eigenen Kräfte angewiesen sind. Gott hat uns seinen Geist zugesagt – den Geist, der uns wacher und hellsichtiger macht, der uns auch den Mut und die Kraft gibt, prophetisch zu leben.

(* Stamm/Lamprecht/Nef, Soziale Ungleichheit in der Schweiz)

Datum: 27.05.2004
Autor: Roman Angst
Quelle: Bahnhofkirche Zürich

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