Für Christen ist der Mensch ein Ebenbild Gottes. Im Schöpfungsbericht heisst es: „So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, als Gottes Ebenbild schuf er sie. Als Mann und Frau schuf er sie.“ (Gen 1,27) Selbstverwirklichung bedeutet von daher für Christen, sich als Bild Gottes, das er in uns hineingelegt hat, zu verwirklichen. Auf der Suche nach uns selbst entdecken wir das Gutsein in uns, das Schöne und Kraftvolle, das Liebenswerte und Verständige, unsere Fantasie und Lebendigkeit, unser Engagiertsein und unsere Verpflichtetheit, unsere Lebensfreude und Liebesfähigkeit, unsere menschliche Würde und Unantastbarkeit. Beide Aspekte, das Helle und Dunkle, gehören zu unserm Menschsein. Das Dunkle aber verdeckt und entstellt das ursprünglich in uns angelegte Bild Gottes. Der Weg der Selbsterkenntnis hilft uns, das Dunkle in uns offen und das Helle frei zu legen. Wir sind dann mehr uns selbst, wer wir wirklich sind. Wir leben runder, ganzer. Verantwortete Kurse der Selbsterfahrung und Therapien können uns auf diesem Weg der Selbstverwirklichung unterstützen. Das Besondere der christlichen Selbstverwirklichung ist: Wir können alles Dunkle in uns schonungslos und ungeschminkt aufdecken und vertrauensvoll Gott hinhalten. Wir können darauf vertrauen, dass er uns heil macht, dass das Dunkle in uns das Helle nicht mehr zudeckt und uns niederdrückt. Wir können gewiss sein, dass er das ursprüngliche Bild in uns wieder herstellt. Dass er uns zu denjenigen macht, als die wir gemeint sind, wo immer wir sind. Wir verwirklichen uns so als Bild Gottes, oder besser gesagt: Gott verwirklicht in uns sein Bild.
Wir erfahren aber auch das Dunkle und Böse in uns, das Verkehrte und Verbildete, das Unfertige und Misslungene, das Unsichere und Halbherzige, das Unverziehene und Belastende, das Verletzende und Verfehlte, den Schmerz und die Trauer, die Wut und den Hass, das Elend und die Not.
Datum: 02.09.2004
Autor: Roman Angst
Quelle: Bahnhofkirche Zürich