Wie glauben 17-Jährige?
Livenet: Andi Bachmann-Roth, die Jugendstudie zu den Haltungen der 17-jährigen schildert diese als höchst konformistisch und angepasst. Erleben Sie die christlichen Jugendlichen in diesem Alter auch so?
Andi Bachmann-Roth: Von DER christlichen Jugend zu sprechen ist problematisch. Auch in christlichen Kreisen gibt es verschiedene Milieus, die man nicht einfach in einen Topf werfen kann. Jugendliche aus dem bürgerlich-konservativen Milieu bilden in den traditionellen Freikirchen sicher die grösste Gruppe. Bei dieser Gruppe sehe ich die Ergebnisse der Studie durchaus bestätigt. Rollenbilder sind meist sehr klassisch, die finanzielle Situation ist in Ordnung und die Schweiz bietet viel Raum für vielseitige Freizeit- und Spassangebote sowie Entwicklungsmöglichkeiten. Man ist im Allgemeinen sehr zufrieden. Wieso also etwas ändern?
Würden Sie sich manchmal etwas mehr Rebellion wünschen?
Unbedingt. Rebellion hat natürlich einen unguten Beigeschmack. Gewalt und Hass lösen keine Probleme. Ich wünsche mir aber, dass Jugendliche sich wieder für Gutes, Wertvolles und Heiliges engagieren. Dabei dürfen sie ruhig auch mal ungemütlich werden. Es ist die Jugend, welche die Kraft für Veränderung und frische Sichtweisen einbringen kann. Die Ansprüche der Ausbildung und die Aktivitäten der Kirche oder Freizeit nehmen sie derart in Beschlag, dass kaum Zeit für grosse soziale Aktionen bleibt. Ich habe den Eindruck dass manchmal vergessen geht, dass wir in der Schweiz auf einer Insel der Glückseligkeit leben. Nicht weit von hier sterben Menschen im Meer, wird Krieg geschürt und die Umwelt verpestet. Mich stimmt hoffnungsvoll, dass Hunderte von jungen Christen jedes Jahr die Angebote von Hilfs- und Missionsorganisationen nutzen (www.mission.ch) und sich den Nöten in der Welt in Kurzzeiteinsätzen stellen. Diese Jugendlichen kommen verändert zurück. Ansonsten geht es den Jungen wohl wie uns allen: Gegenüber dem geballten Elend der Welt fühlt man sich hilflos.
Erleben Sie die 17-jährigen in den Gemeinden eher als Mitläufer oder als engagierte Christen?
Das hängt wohl stark von den lokalen Strukturen ab. Gibt es positive, engagierte Vorbilder? Haben Junge die Möglichkeit zu Mitgestaltung und Mitverantwortung? Was für eine Fehlerkultur herrscht in der Kirche? Engagiertes Christsein würde ich jedoch nicht mit engagierten Mitarbeitern in der Kirche gleichsetzen. Aus meiner Sicht braucht es nicht nur junge engagierte Christen in der kirchlichen Jugendarbeit, sondern auch im Beruf, der Politik oder in Vereinen. Dort haben sie die Gelegenheit, die Gesellschaft zu transformieren.
Fast 30% der Befragten sprach sich für die traditionelle Familie mit arbeitendem Vater und Mutter zuhause aus. Überrascht Sie das?
Das überrascht mich wirklich. Ich selber arbeite 60%. Zwei Tage pro Woche widme ich mich ganz dem Vatersein. Meine Frau arbeitet auch 60% und leitet ihr eigenes Unternehmen. Das finde ich super. Ich kann so ganz nahe bei der Entwicklung meiner Tochter mit dabei sein. Zudem bietet die Hausarbeit eine gute Abwechslung zum kopflastigen Job. In meiner Generation sind wir damit eher eine Ausnahme. Ich wusste schon, dass die Schweiz in Sachen Rollenbilder sehr konservativ ist. Ich hoffte jedoch, dass neue Rollen- und Arbeitsmodelle für junge Menschen selbstverständlich sind. Ich bin ehrlich gesagt etwas schockiert von diesen Resultaten. Wollen all die top ausgebildeten Frauen mit Uni-Abschluss und hochwertigen Berufslehren tatsächlich zurück an den Herd? Schade, wenn die vielfältigen Gaben aufgrund eines engen Rollenbildes nicht zur Entfaltung kommen können.
Wie erleben Sie die Haltung bezüglich der Rolle von Frau und Mann in der Gemeinde?
Das ist ein Thema, unter welchem ich echt etwas leide. Die reformierte Landeskirche, die ich besuche, ist diesbezüglich viel weiter als viele Freikirchen. In einigen Punkten kann ich der reformierten Kirche bezüglich Mann und Frau hingegen nicht folgen (Stichwort Gender-Diskussion). In der Freikirche erlebe ich, ganz ähnlich wie in der Berufswelt, sehr konservative Werte. Frauen stehen in christlichen Veranstaltungen kaum auf der Bühne. Sie dürfen Kuchen backen oder Kinder erziehen. Je nachdem wo ich versuche, die Rolle der Frau zu stärken, stosse ich auf viel Widerstand oder Gleichgültigkeit. Viele junge Frauen trauen sich selbst aber auch nicht viel zu und nehmen sich zurück, vor allem wenn es um Rollen in der Öffentlichkeit geht. Vielleicht, weil es immer noch viel zu wenige Frauen gibt, die als Leiterinnen eine Vorbildfunktion einnehmen. Ich bin stolz auf meine Frau, die hier für viele jüngere ein tolles Beispiel abgibt. Zu erwähnen ist hier zudem der Blog von Doris Lindsay.
Was kann man von einer so angepassten Generation erwarten?
Die Ergebnisse der Studie stimmen mich positiv. Die 17-Jährigen sind politisch interessiert und offen für einen Dienst an der Gesellschaft. Ich halte wenig von einem Gejammere über «die heutige Jugend». Meist verklären ältere Semester dabei ihre Vergangenheit.
Herausforderungen für ein engagiertes Christsein gibt es genug. Kann man ihnen diese aufzeigen und sie dafür mobilisieren?
Ja, zum Beispiel die Einwanderung und das Asylwesen. Diese Themen sind für 17-Jährige die grössten Probleme. Dies ist ernst zu nehmen. Ich hoffe und bete jedoch, dass diese Sorgen nicht zu Ängsten werden, die sich dann in Rassismus und Fremdenfeindlichkeit äussern. Ich hoffe, dass wir Christen den Fremden mit Nächstenliebe und Respekt begegnen können.
Jugendliche werden heute derart mit Informationen zugedröhnt, dass sie auch über Online-Medien schlecht zu mobilisieren sind. Zudem ist ein «Gefällt mir» auf Facebook kein wünschenswertes Engagement. Zentral bleiben aus meiner Sicht persönliche Begegnungen mit überzeugenden Persönlichkeiten und Erfahrungen. Wer einmal einen Slum besucht oder ein Bachbett vom Abfall befreit hat, geht danach anders mit diesen Themen um.
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Datum: 02.07.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet