Wenn Autoren Christen werden

C. S. Lewis
Alfred Döblin
Tatjana Goritschewa

Ganz harmlos beginnt der Dramatiker Botho Strauß sein Werk "Niemand anderes" mit der Feststellung, dass die Menschen sich manchmal doch ein bisschen verändern möchten. Wenn man aber in der Literatur über Bekehrungen zum christlichen Glauben spricht, dann treten Erfahrungen, Verhaltensweisen und Einsichten aufgrund dieses tiefen Einschnitts zurück, Neues durchdringt alle Bereiche des menschlichen Daseins.

Manfred Hausmann: Wie vom Blitz getroffen

Das geistlich-theologische Phänomen der Bekehrung ist so facettenreich, wie Menschen verschiedene Temperamente und Lebenserfahrungen haben. Der Kunsthistoriker und Schriftsteller Manfred Hausmann (1898-1986) erinnert sich, wie er 1921 als 22jähriger Student seinen Eltern zuliebe in Göttingen den Gottesdienst der evangelisch-reformierten Gemeinde besuchte: "Ich kam aus München, wo ich germanistischen, kunstgeschichtlichen und philosophischen Studien obliegen sollte, in Wirklichkeit aber einer mehr oder weniger fragwürdigen politischen Tätigkeit nachging. Das Studium betrieb ich nur beiläufig, und mein wirres, darum um so leidenschaftlicher politisches Freibeutertum als Hauptfach. Ich marschierte in jedem Demonstrationszug hinter der roten Fahne her, sang aus hingebungsvollem Herzen das 'Bruder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder, zum Lichte empor'...

Aus dieser gärenden und widerspruchsvollen Welt kam ich also, als ich am Sonntag die Kirche betrat ... Statt des mir vertrauten Gemeindepfarrers hielt ein anderer den Gottesdienst, ein Fremder, der den Predigttext auf eine so ungewohnte Weise anging, dass ich sofort, ob ich wollte oder nicht, gepackt war. Das Gepacktsein steigerte sich im Verlauf dieses Gottesdienstes zu einem Aufgewühltsein, einem Um- und Umgekehrtsein, zu einer Erschütterung, die bis in die tiefsten Tiefen meines Wesens drang

Ich verliess die Kirche als einer, der nicht wusste, wo er bleiben sollte. Der Blitz war nicht neben mir niedergefahren, sondern mitten in mich hinein. Hier war die Revolution, von der ich die ganze Zeit über etwas geahnt hatte, dunkel nur und unklar, aber doch unabweisbar, die Revolution, die nicht die Dinge, sondern erst einmal den Menschen veränderte. Denn hier war vermittels dieses merkwürdigen Pfarrers einer am Werke, von dem ich mir bislang eine grundfalsche Vorstellung gemacht, dessen Existenz ich bezweifelte, mit dem ich mich nicht weiter eingelassen hatte. Aber jetzt hatte Er sich mit mir eingelassen. Jetzt wurde alles anders. Von meinem Vater erfuhr ich, dass der Fremde Karl Barth hiess, aus Basel stammte, Professor der Theologie war und hin und wieder in unserer Kirche predigte."

C. S. Lewis: Schachmatt

Der Oxforder Professor für mittelalterliche Literatur Clive Staples Lewis (1898-1963) ist als Fantasy-Autor, klug beobachtender Essayist und Prosaschriftsteller durch Millionenauflagen international bekannt. Er hat als C. S. Lewis mehr Menschen von der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens überzeugt als alle Theologischen Fakultäten - so wird es jedenfalls immer wieder geschrieben.

Jahrzehnte seines Lebens war der in Belfast geborene Lewis Atheist, der in einem langen Weg von der Philosophie zum christlichen Glauben fand. Im Sommer 1922 wurde er durch die Begegnungen mit einem Kommilitonen und einem Buch des spritzigen Romanciers und Schöpfers der Father-Brown-Geschichten, Gilbert Keith Chesterton, zu einer verblüffenden Entdeckungsreise animiert: "Er hiess Nevill Coghill. Zu meinem Entsetzen entdeckte ich bald, dass er, der bei weitem Intelligenteste in der Klasse, Christ war und durch und durch ein Offenbarungsgläubiger

Dann las ich Chestertons 'Everlasting Man' und sah zum erstenmal die christliche Darstellung der Geschichte in einer Form, die mir vernünftig zu sein schien. ... Ich hatte (das Buch) noch nicht lange ausgelesen, als mir viel Beunruhigenderes geschah. Anfang 1926 sass der hartgesottenste Atheist, den ich je gekannt hatte, in meinem Zimmer und bemerkte, dass der Beweis für die Historizität der Evangelien wirklich überraschend triftig sei ... Das seltsame war, ehe Gott in mich eindrang, wurde mir tatsächlich geboten, was jetzt wie ein Augenblick freier Wahl erscheint ... Ich konnte die Tür öffnen oder sie geschlossen lassen ... Obwohl ich wusste, dass die Tür zu öffnen ... das Unberechenbare bedeutete. Keine Wünsche oder Ängste trieben mich. Ja, eigentlich trieb mich nichts. Ich wählte, aber das Gegenteil zu tun schien gar nicht möglich zu sein ..."

Alfred Döblin: Ich blickte nach dem Kruzifix

Unbestritten gilt Alfred Döblin (1878-1957) als einer der wichtigsten Romanautoren der klassischen Moderne. Er hat nicht nur das Bild des literarischen Expressionismus, sondern zugleich die Romangattung des 20. Jahrhunderts entscheidend mitgeprägt. Er stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie, war Facharzt für Nervenkrankheiten in Berlin, zeitweise politisch in der USPD, der linken Abspaltung der SPD, tätig und bereits 1926 Mitglied der Preussischen Akademie der Schönen Künste. In dem verfilmten Grossstadtroman "Berlin Alexanderplatz" (1929) aus dem zwielichtigen Milieu der Proleten und Verbrecher lässt Döblin uns vorweg einen Blick in den Warteraum des Glaubens tun, indem er uns an der fortschreitenden Wandlung des Ganoven Franz Biberkopf zu einem "neuen Menschen" teilhaben lässt. "Berlin Alexanderplatz" gibt die Geschichte einer Umkehr wieder, die sich nicht in der Klosterzelle, im stillen Kämmerlein, ereignet, sondern unter Zuhältern, Verbrechern, Dirnen, lichtscheuem Gesindel - also unter Sündern. Es ist keine Rede von Frömmigkeit, Gott, Kirche. Biberkopf fasst wieder Fuss, nachdem er alle möglichen Höllen durchmessen hat, er ist nicht mehr der 'alte'. Im Zuchthaus, in der geistigen Umnachtung ist Biberkopf gestorben und wieder erstanden, er wird anders leben als bisher.

Bereits 1933 emigrierte Döblin nach Paris, wo er im französischen Informationsministerium tätig war. Seine Autobiografie "Schicksalsreise" ist nur vordergründig ein Bericht über eine qual- und gefahrvolle Flucht mit seiner Frau und dem jüngsten Sohn aus Nazideutschland über Frankreich, Spanien und Portugal nach Amerika: "Es war keine Reise von einem Ort zum anderen, sondern eine Reise zwischen Himmel und Hölle."

Der körperlich und seelisch Geschundene nutzt Gelegenheiten, als Ruheort in der Kathedrale seiner südfranzösischen Fluchtstation Mende zu verweilen, um sein Leben zu reflektieren und die ungewisse Zukunft zu bedenken. Es ist der 25. Juni 1940 und Döblin bereits 62 Jahre alt. "Ich sitze in Sichtweite des Kruzifixes. Wenn ich die Augen schliesse, fühle ich das Kruzifix oben rechts als eine strahlende Wärme. Und da hängt die schmerzgewundene Menschengestalt. Wer ist Jesus? Eine geschichtliche Figur? Lässt es sich denken, der ewige Urgrund nähme sich, gewissermassen ausser der Reihe, noch besonders der Menschen an und rede in seine eigene Schöpfung hinein? Es liesse sich argumentieren: Entweder ist er Gott, hat die Welt geschaffen und sie vollkommen herausgestellt, und so steht sie nun da - oder sie steht nicht so da, und dann ist er nicht Gott. Jesus auffassen als einen geschichtlichen Gott, einen Zusatzgott? Die Figur eines historischen Jesus, der ein palästinensischer Mensch wie Tausende seines Volkes war, bedeutet nicht viel. Wenn ich mich frage: 'Warum blicke ich auf ihn', so lautet die Antwort: Weil ich hören will: Er ist Gott. Es kommt nicht auf menschlichen Zuspruch an, sondern auf die Feststellung eines Tatbestandes ... 'Jesus' sagt: Wir sind unterwegs, und er gibt das Licht der freien Durchfahrt. Es ist unmöglich, den 'Ewigen Urgrund' zu empfinden. Es muss, damit es ganz an uns herankommt, das Wort 'Jesus' hinzutreten."

Um den 65. Geburtstag Döblins zu feiern, trifft sich am 14. August 1943 in der Nähe von Los Angeles ein Kreis intellektueller Prominenz aus dem deutschen Exil. Bert Brecht und Helene Weigel, Fritz Kortner, Heinrich und Thomas Mann, Hanns Eisler, Arnold Schönberg. Der Jude Döblin, der sich schon am 30. November 1941 in einer katholischen Kirche taufen lassen und seine spirituelle Erfahrung noch nicht öffentlich kundgetan hatte, nutzte die Gelegenheit. Seine Rede ist nicht überliefert, wohl aber ihre Wirkung: Brecht äussert sich in seinem "Arbeitsjournal": "Und am Schluss hielt Döblin eine Rede gegen moralischen Relativismus und für feste Massstäbe religiöser Art, womit er die irreligiösen Gefühle der meisten Feiernden verletzte." Brecht beschrieb seine Abscheu über die fromme Wende seines Kollegen in dem hämischen Gedicht "Peinlicher Vorfall".

Tatjana Goritschewa: Von Yoga zu Jesus

Tatjana Goritschewa, 1947 in Leningrad geboren, studierte Philosophie und Radiotechnik. Mit 26 wurde sie, in der sowjetischen Eiszeit, Christin, gründete mit Leningrader Frauen die erste nichtkommunistische Frauenbewegung in der Sowjetunion, organisierte religiöse Seminare und veröffentlichte im Untergrund zwei Zeitschriften. Nach vielen Verhören und Verhaftungen wurde sie 1980 ausgewiesen. Goritschewa lebt heute in Paris und St. Petersburg als Schriftstellerin und begehrte Rednerin. Sie hatte eine glänzende Karriere vor sich und wäre doch an der eigenen Lebenslüge fast zerbrochen. Die kommunistische Jugendführerin und Philosophiedozentin flüchtet in ein ausschweifendes Leben, begeistert sich für westliche und östliche Philosophien, befasst sich mit Yoga, bis sie, in einer Meditation des Vaterunsers den Glauben findet, der ihr Leben verändert: "Wenn ich gefragt werde, was mir die Hinkehr zu Gott bedeutet, was mir durch diese Bekehrung erschlossen wurde und wie sich mein Leben verändert hat, kann ich ganz einfach und kurz darauf antworten: alles. Alles hat sich in mir und um mich verändert. Um es noch genauer zu sagen: Erst als ich Gott gefunden hatte, fing mein Leben an." - Eine Erfahrung, die vielen modernen Literaten zu wünschen wäre.

Autor: Hans Steinacker

Datum: 17.09.2002
Quelle: idea Deutschland

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