Jetzt hör mir mal zu!

Die Technik des aktiven Zuhörens

Einander zuhören kann in manchen Fällen schwierig sein. Wie findet man die richtige Lösung? (Symbolbild)
Wer nicht richtig zuhört, gerät schnell in Konflikte und Missverständnisse. Die Technik des aktiven Zuhörens hilft, das zu vermeiden.

Wir haben echtes Zuhören verlernt. Werfen wir heutzutage einen bewussten Blick in unsere Gesellschaft, fallen uns in Gesprächen schnell verschiedene Un­arten auf: Wir fallen einander ins Wort. Wir überbieten uns bei dem, was wir an Erlebnissen und Erfahrungen gemacht haben. Wir sind nicht bei der Sache oder hören wortwörtlich nur mit halbem Ohr hin. All diese Negativ-Beispiele lassen sich in einem einfachen Prinzip zusammenfassen: Wir sind gedanklich nicht bei unserem Gegenüber, wir sind bei uns selbst!

Zuhören bedarf Haltung und Technik

In Seminaren, die ich leite, beobachte ich: Häufig wirkt die Technik des aktiven Zuhörens, die sensibilisieren und Abhilfe schaffen soll, auf Teilnehmende unnatürlich, sperrig oder überzogen. Das liegt meiner Meinung nach nicht an der Methode, sondern an unserer Gesellschaft: Wir sind echtes Zuhören nicht gewohnt. Zuhören ist zu einem täglichen Standard geworden, den wir nicht mehr bewusst reflektieren. Die Folgen davon ziehen sich vom Smalltalk auf der Strasse bis in die Debatten des Bundestages, quer durch alle Altersklassen und sozialen Schichten. Doch richtig zuzuhören ist etwas, das man lernen kann. Es bedarf in erster Linie einer Haltung – und dann der richtigen Technik.

Schritt 1: Aufmerksamkeit beim Gegenüber

Zuhören bedeutet, alle Aufmerksamkeit auf unseren Gesprächspartner zu richten und uns nicht auf Antworten und schon gar nicht auf Lösungen vorzubereiten. Es bedeutet, alle anderen Beschäftigungen beiseitezulegen und ein Verständnis für die Gefühlswelt unseres Gegenübers zu entwickeln. Erst, wenn wir diese zugewandte Haltung einnehmen, die das Fundament bildet, können wir über weitere Schritte des aktiven Zuhörens nachdenken. Jeder der nachfolgenden Schritte greift nämlich auf diese von uns wegschauende Haltung zurück.

Schritt 2: Paraphrasieren

Beim aktiven Zuhören spiegeln wir unserem Gesprächspartner, was wir verstanden haben, ohne unsere eigene Meinung einzubringen. Dazu nutzen wir die sogenannte Paraphrase, also die Wiedergabe des Gesagten in unseren eigenen Worten. Dies kann durchaus so weit gehen, dass wir auch uns unbequeme oder widerstrebende Haltungen und Meinungen zunächst wiedergeben. Dieser Schritt ermöglicht, dass beide Gesprächsparteien vom gleichen Gesprächsanliegen ausgehen.

Schritt 3: Fokussieren

Bestätigt unser Gesprächspartner diese Paraphrase, hilft uns ein Zwischenschritt, den Fokus weiter zu schärfen und sachlicher zu werden. In der Regel ist das anfangs Geschilderte nämlich von Emotionen begleitet und noch etwas unstrukturiert. Mit der Frage: «Was ist dir daran am wichtigsten?» kristallisiert sich der Gesprächsgegenstand klar heraus. Auch dieser dritte Schritt zeigt, dass das Augenmerk weiterhin nur beim Erzähler verbleibt.

Schritt 4: Lösungsfindung

Der nun folgende Schritt lenkt das Gespräch auf die Lösungsmöglichkeiten. Anders, als wir es intuitiv oft tun, reagieren wir jedoch nicht selbst mit Vorschlägen und Antworten, sondern bleiben mit geeigneten Fragestellungen weiterhin ganz bei unserem Gegenüber. Die Fragestellungen könnten je nach Situation sein: «Was erwägst du nun zu tun?», «Kann ich bei diesem Thema etwas tun?» oder «Wünschst du dir in dieser Sache etwas von mir?»

Schritt 5: Weitere Anliegen

Wurde Klarheit über das Anliegen hergestellt, sollten wir abschliessend fragen, ob es weitere Punkte gibt, die der Erzähler besprechen möchte. Erneut sind wir als Zuhörer herausgefordert, nicht direkt von uns und der eigenen Sichtweise zu sprechen, sondern immer noch bei den Bedürfnissen des Erzählers zu verharren. Klar ist aber auch: Treffen zwei Personen mit einer zuhörenden, von sich wegschauenden Haltung aufeinander, wechseln spätestens an dieser Stelle die Redeanteile.

Zuhören – ein Gewinn

Betrachten wir die fünf Schritte noch einmal im Überblick, fällt uns auf, dass die Technik zunächst einen grossen Mehrwert für die erzählende Person aufweist. Die Person erhält unser volles Augenmerk, wenn es auch in diesem Fall besser «Ohrenmerk» heissen müsste. Das allein sollte genügen, denken wir an die enorme Wertschätzung, die wir damit zum Ausdruck bringen. Da Kommunikation, wie wir wissen, keine Einbahnstrasse ist, sind aber auch die Effekte und Vorteile guten Zuhörens vielseitig. Alle Gesprächsparteien können daraus einen Nutzen ziehen. Allerdings können wir, wie so oft, nur bei unserer eigenen Einstellung ansetzen. Eine fast 2000 Jahre alte biblische Weisheit betont: «Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn!» (Jakobus Kapitel 1, Vers 19)

Zorn entsteht häufig, wenn wir uns nicht gesehen oder gehört fühlen, wenn es einen schnellen Schlagabtausch oder Missverständnisse gibt. Die Ursachen hierfür liegen wiederum sehr häufig beim mangelnden Zuhören. Führe ich mir die prägnante Weisheit bewusst vor Augen, bewundere ich die Aufforderung, «schnell zum Hören» zu sein. Ich verbinde Schnelligkeit vor allem mit Dingen, die aktiv in Bewegung sind: «schnell fahren», «schnell rennen», ja sogar «schnell reden». Und dann fällt mir erst auf: Zuhören ist nichts Passives, nichts zum Zurücklehnen, es ist pure Aktivität. Echtes Zuhören ist aktives Zuhören. Und derjenige, der die Vision des aktiven Zuhörens prägte, ist wohl schon älter, als ich dachte. In diesem Sinne: Machen wir diese Vision doch heute zu unserer eigenen und schenken unserem nächsten Gesprächspartner Zeit, ungeteilte Aufmerksamkeit und unser ganzes Gehör.

Jonas Georg ist Trainer für Kommunikation und BeratungÄhnliche Impulse gibt es im Magazin FAMILY. Infos zum günstigen Jahresabogutschein des Magazins findest du hier.

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Datum: 10.11.2025
Autor: Jonas Georg
Quelle: Magazin Family 05/2025, SCM Bundes-Verlag

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