Fehler in guten Zeiten
Bei der letzten Leichtathletik-Weltmeisterschaft habe ich bei einem Tippspiel mitgemacht – aber nicht gewonnen. Oft habe ich den Sieger oder die Siegerin einer Disziplin falsch getippt, weil ich unterschätzt habe, wie schwer es ist, einen Titel zu verteidigen. Dieses Kunststück ist nur relativ wenigen Athleten gelungen, obwohl die letzte Weltmeisterschaft erst ein Jahr zurückliegt. Warum bleiben sie nicht erfolgreich? Vielleicht schleicht sich eine gewisse Nachlässigkeit im Training ein, wenn alles perfekt läuft und man die Beste der Welt ist. Das kann wohl uns allen passieren.
Dann kam der Absturz
Der gleiche Effekt ist auch in anderen Sportarten und ausserhalb des Sports zu beobachten. In Zeiten des Erfolgs neigen wir offenbar dazu, nicht ideale Entscheidungen zu treffen.
Wie fast jeder hatte auch ich in den 2000er-Jahren ein Nokia-Handy. Ich hatte ein 3310, was gefühlt jeder hatte. Nokia hatte einen weltweiten Marktanteil von über 50 Prozent (zum Vergleich: iPhones haben heute einen Marktanteil von ca. 16 Prozent). 13 Jahre lang war Nokia unglaublich erfolgreich. Doch dann stürzte der Marktanteil innerhalb von nur fünf Jahren auf 3 Prozent ab. Eine Mischung aus Überheblichkeit, Nachlässigkeit und fehlender Dringlichkeit führte dazu, dass in den guten Zeiten schlechte Entscheidungen getroffen wurden.
An dieser Stelle liessen sich Hunderte von bekannten und weniger bekannten Geschichten von Unternehmen, Sportvereinen, politischen Parteien und Kirchen erzählen, die alle in Zeiten des Erfolgs schwerwiegende Fehlentscheidungen getroffen haben, die später ihren Untergang besiegelten.
Nur nicht nachlassen
Das Gleiche gilt auch für Paarbeziehungen. Auch dort werden die entscheidenden Fehler oft nicht in der Krise, sondern in den guten Zeiten gemacht. Wenn es keine Probleme gibt und man gut miteinander auskommt, ist die Gefahr am grössten, schlechte Entscheidungen zu treffen. Wertvolle Gewohnheiten wie regelmässige ungestörte Austauschzeiten werden dann allzu leicht aufgegeben – sie scheinen ja nicht mehr nötig zu sein. Oder auch wertschätzende Worte oder das ernsthafte Interesse an der Veränderung des Gegenübers verabschieden sich gerade in guten Phasen schnell durch die Hintertür. Es ist ja alles in Ordnung, warum sollte ich mich da noch besonders um die Beziehung kümmern?
Gerade in guten Zeiten bietet sich die Chance, die eigene Beziehung auf ein solides Fundament zu stellen, das auch Stürmen standhält. Natürlich wissen wir, dass das wichtig wäre. Aber weil es fast nie dringend ist, versäumen wir es trotzdem. Denn im Gegensatz zu Kindern schreit eine Paarbeziehung lange nicht so laut, wenn ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden.
Deshalb gilt für frischgebackene Leichtathletik-Weltmeister ebenso wie für Paare, bei denen es «eigentlich ganz gut» läuft: Angesichts unserer Neigung, in erfolgreichen Phasen weitreichende Fehler zu begehen, lohnt es sich, gerade in diesen guten Zeiten besonders wachsam zu sein und die Weichen so zu stellen, dass wir unsere Ziele auch in Zukunft erreichen.
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Datum: 01.12.2025
Autor:
Marc Bareth
Quelle:
Magazin Family 05/2025, SCM Bundes-Verlag