Ultraorthodoxe spalten Gesellschaft in Israel

Der Taxifahrer flucht so laut, dass die Passanten sich umdrehen: «Ein nutzloses Volk», zetert er und drückt auf die Hupe. Ein geparktes Auto versperrt die Strasse im Jerusalemer Viertel Mea Schearim, überall wimmelt es von schwarz gekleideten Fussgängern, Kinderwagen - kein Durchkommen möglich. «Guckt euch nur die vielen Kinder an - diese Frommen bringen uns an den Rand des Ruins. Kein Militärdienst, keine Arbeit: Sie leben von meinen Steuern!»
Ultra-orthodoxe Juden schauen über den Gazastreifen

Der Fahrer ist mit seiner Wut nicht allein: Mehr als die Hälfte der säkularen Israelis befürchtet laut einer neuen Umfrage der Organisation «Gesher» (Brücke), dass die ultraorthodoxen Juden irgendwann die Mehrheit im Land stellen werden. 57 Prozent der Säkularen gaben an, sie fürchteten in einem solchen Fall um die Existenz des Staates Israel. 12 Prozent erklärten, sie würden bei einer Übermacht der «Charedim» (Gottesfürchtigen) das Land verlassen.

Umstrittenes Eigenleben

Die strenggläubigen Juden führen in Israel seit der Staatsgründung 1948 ein umstrittenes Eigenleben. Um ihnen die Zustimmung zum neuen Israel abzuringen, gestand Ministerpräsident David Ben Gurion ihnen Privilegien zu: So erlaubte er religiösen «Jeschiwa»-Studenten, sich vom Militärdienst befreien zu lassen, versprach die finanzielle Unterstützung des religiösen Privatschulwesens und Sozialhilfe für jene, die ihr Leben dem Thorastudium widmen.

Was damals dazu gedacht war, einen Riss zwischen religiösem und säkularem Judentum in dem jungen Staat zu verhindern, entpuppt sich mittlerweile als massive Belastung des Sozialwesens. Denn 1948 galten die Zugeständnisse nur wenigen tausend Orthodoxen - heute gehören mehr als 20 Prozent der israelischen Schüler einer der verschiedenen orthodoxen Strömungen an. Tendenz steigend: Während säkulare Paare im Schnitt 2,6 Kinder zur Welt bringen, sind es bei den streng Religiösen 6,9.

Ultraorthodoxe gegen Staat Israel

Die Entwicklung lässt den Unmut in der Bevölkerung wachsen. Zumal besonders die Ultraorthodoxen traditionell gegen den Staat Israel sind: Ihrer Auffassung nach verhindert der «menschengemachte» Staat das Kommen des Messias, der das wahre Israel gründen soll. So werden am Unabhängigkeitstag in Vierteln wie Mea Schearim aus Protest israelische Fahnen verbrannt. Auch der Militärdienst ist für sie tabu.

Die Ablehnung des Staates Israel hindert die Antizionisten jedoch nicht daran, Geld von Staat zu nehmen. Gleichzeitig bekämpfen die Ultraorthodoxen jegliche «Modernisierung» im gesellschaftlichen Leben - diese Woche erst kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Polizisten, die den Körper eines unter ungeklärten Umständen gestorbenen Kindes zur Obduktion mitnehmen wollten. Obduktionen gelten den Ultraorthodoxen als Schändung.

Besiedlung als religiöse Pflicht

Aber damit ist das Bild des religiösen Judentums in Israel längst nicht komplett: Viele der orthodoxen Gruppen sind einander spinnefeind. Hinzu kommen die Nationalreligiösen: Für sie ist die Besiedlung der 1967 eroberten Palästinensergebiete als «Kern des gelobten Landes» eine religiöse Pflicht. Um dieses Land zu «erlösen», machen sie den palästinensischen Dorfbewohnern rundherum das Leben zur Hölle. So brannte erst Anfang dieser Woche eine Moschee in der Nähe von Nablus ab - es war wohl Brandstiftung. Die als gewalttätig geltenden radikalen Siedler bereiten mittlerweile sogar dem israelischen Militär Kopfzerbrechen, das eigentlich auch zu ihrem Schutz im Westjordanland operiert.

Konflikt auch für Nationalreligiöse

Das Militär tut sich umso schwerer mit dem Vorgehen gegen die Radikalen, als dass sich viele der Nationalreligiösen für längere Zeit in der Armee verpflichten und dadurch höhere Ränge erreichen. In israelischen Medien wurde diesen Monat etwa darüber diskutiert, dass einzelne Offiziere der Armee sowie des Geheimdienstes Schin Bet in illegalen «Aussenposten» von Siedlungen lebten - solchen, die sie eigentlich zu räumen verpflichtet wären. Diese Entwicklung beunruhigt vor allem jene in Israel, die für einen Ausgleich mit den Palästinensern eintreten. Denn die Nationalreligiösen sind zumeist jung - und auch sie haben viele Kinder.

Datum: 27.05.2010
Quelle: KIPA

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