Unterschiedliche Ansichten zur Embryonenforschung äussern Vertreter der katholischen und der evangelischen Theologie. Judentum und Islam kommen – theologisch unterschiedlich begründet – zu ähnlichen Einschätzungen, so das Ergebnis eines interreligiösen Gesprächs in Frankfurt. Wenige Tage vor der abschliessenden Beratung des Gesetzes über die Einfuhr embryonaler Stammzellen suchen Befürworter und Gegner, Forscher, Ethiker und Geistliche noch einmal handfeste Argumente. Auch innerhalb der Bevölkerung wird das Thema kontrovers diskutiert. Dabei spielt die Glaubenszugehörigkeit offensichtlich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Umfrage belegt einen konfessionellen Einfluss Untermauert wird dies durch die vergangene Woche vom Meinungsforschungsinstitut dimap veröffentlichte Umfrage unter 517 Frauen und 486 Männern, in der auch die konfessionelle Ausrichtung der 1003 Befragten berücksichtigt wurde: Von den konfessionell Ungebundenen halten 63 Prozent das im Entwurf vorliegende Gesetz, das morgen in 2. und 3. Lesung abschliessend im Bundestag beraten wird, für falsch. Der Unterschied zu den konfessionell gebundenen Befragten macht - je nach Konfession - zwischen sieben und zehn Prozentpunkte aus. Wie unterschiedlich die Positionen der Religionen sind, wurde bei einem interreligiösen Gespräch zum Thema Bioethik in Frankfurt am Main deutlich: Eine klare Absage an jegliche Forschung an embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) erteilte Professor Dr. Dietmar Mieth vom Katholisch-Theologischen Seminar der Universität Tübingen. Aus der Verschmelzungstheorie, also der Menschwerdung des Embryos mit dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, ergebe sich ein Recht auf Schutzwürdigkeit von Anfang an: „Ein Embryo hat bereits alle genetischen Informationen - dies ist der Beginn der materiellen Leiblichkeit“, betonte der Moraltheologe. Er halte den Gesetzesentwurf, der mehr ein Importgesetz als ein Importverbotsgesetz sei, auch für juristisch bedenklich. Mieth: „Da wurde in Bezug auf die Einschränkungen nicht auf die Höhe der Mauer, sondern auf die Grösse der Schlupflöcher geachtet.“ Viel offener geht der Protestantismus mit der Frage des Embryonenschutzes und damit auch mit dem Import von Stammzellen um. Zwar lehne die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Übereinkunft mit der Katholischen Kirche die Stammzellforschung kategorisch ab. Diese Haltung werde, sagte Professor Hartmut Kress von der Universität Bonn, allerdings weniger theologisch denn unter dem moralischen Aspekt begründet.Dennoch gäbe es in den Reihen der Protestanten einen „innerevangelischen Pluralismus“. „Die evangelisch-akademische Ethik artikuliert deutlich ein bedingtes Ja zur Forschung an embryonalen Stammzellen“, betonte der Sozialethiker, der auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer ist. Viel weniger scheinen sich die Gemüter in anderen Religionen zu erhitzen. Aus jüdischer Sicht ist beispielsweise die Forschung an ES-Zellen nicht nur erlaubt, sondern auch unter dem Gebot des Heilens eine Pflicht. Nach jüdischem Recht haben Embryonen ausserhalb der Gebärmutter keinen legalen Status als Mensch. Zudem wird im jüdischen Glauben nur das Leben wahrgenommen, das mit blossem Auge sichtbar ist. „Deshalb war in Israel die Entscheidung eindeutig, dass an überzähligen Embryonen geforscht werden darf“, sagte Dr. Schimon Staszewski, praktischer Arzt aus Langen. Auch der Islam erlaubt die Forschung an embryonalen Stammzellen, allerdings mit anderer religiöser Begründung: Zwar sei ein Eingriff in die göttliche Schöpfung, also zum Beispiel das Klonen, nicht erlaubt. Forschung zu Diensten des Menschen seien aber sogar geboten. Stammzellforschung ist im Islam erlaubt, weil hier die Menschwerdung des Embryos erst mit dem „Einhauchen der Seele“ beginnt. „Der Koran lehrt uns, dass aus der Schöpfung erst Ende des zweiten Schwangerschaftsmonats, ein Mensch wird“, erklärte Dr. Yasan Bilgin. Der Oberarzt am Universitätsklinikum Giessen appellierte an die Politiker, den Diskurs zum Thema Bioethik künftig kulturübergreifend zu führen. „Man hat heute abend gesehen, wie unterschiedlich die Kulturen mit diesem Thema umgehen.“ Im Zeichen eines multikulturellen Europa sollte auch international ein interreligiöser Kompromiss gefunden werden, „damit sich die kulturellen Differenzen nicht weiter verstärken.“
Aus dem „Recht auf Gesundheit“ eines jeden Menschen ergebe sich auch die ethische Pflicht der Ärzte, neue Therapieformen zu erschliessen und anzuwenden. „Gleichzeitig hat sich Deutschland durch die Unterzeichnung verschiedener Menschenrechtskonventionen verpflichtet, sicherzustellen, dass ein jeder Mensch eine ihm individuell mögliche Gesundheit erreichen kann.“ Würde die Forschung an embryonalen Stammzellen unterbunden, stünde dies im Widerspruch dazu.
Datum: 26.04.2002