Clint Eastwood und die Frage nach dem Jenseits
Mit «Hereafter» hat er sich nun tatsächlich dem Jenseits gewidmet. Sein Versuch allerdings, bei diesem künstlerisch riskanten Thema die schwierige Balance zwischen Möglichkeit und Behauptung zu halten, ist nicht ganz geglückt.
Was er aber nicht verlernt hat, ist seine erzählerische Ruhe und stilistische Zurückhaltung. Und so konzentrieren er und sein Drehbuchautor Peter Morgan sich zunächst ganz diesseitig auf drei sehr verschiedene Menschen und ihre Schicksale, die sie parallel schildern, aber über die meisten der 129 Minuten nicht verknüpfen.
Wie ist das Jenseits?
Aus jeder einzelnen dieser drei Geschichten hätte durchaus ein eigenständiger Film werden können – vielleicht wären es drei viel stärkere Filme geworden. Denn in jeder Teilhandlung stecken spannende Fragen; jede lässt zunächst mehr oder weniger offen, ob das Jenseits jeweils nur ein Abbild der Lebenden ist oder eine eigenständige Realität.
Auch die Nahtod-Visionen von Marie könnten ebenso gut Gespinste des menschlichen Gehirns vor dem Ende sein. So fallen die wenigen bildlichen Eindrücke von der anderen Seite nicht sonderlich spektakulär aus. Sie zeigen lediglich altbekannte Motive: ein Tunnel mit hellem Licht, Schattenbilder, die sich nähern, und so weiter.
In die Esoterik abgeglitten
Über weite Strecken wirkt «Hereafter», als würde er sich jede grosse esoterische Geste verkneifen, um nicht allzu angreifbar zu sein und nicht in den puren «Mystery»-Bereich zu geraten. Doch dann scheint die Kontrolle über die eine und andere Argumentationskette zu entgleiten, so dass das eindeutig Übernatürliche einspringen muss. Absurde Antworten auf kluge Fragen bleiben uns da leider nicht erspart.
Eine besonders undankbare Rolle fällt Marthe Keller zu, die als Leiterin eines Hospizes der ratsuchenden Marie erklärt, dass Nahtod-Erlebnisse eindeutige und von der Wissenschaft nur unterdrückte Beweise für die Existenz des Jenseits seien, und zwar «absolut zweifelsfrei». Marie schreibt also einen Bestseller mit dem Titel «Hereafter», der auf angeblich bahnbrechende Weise mit dem Tabu des Übersinnlichen bricht. Mit anderen Worten: eines von jährlich Tausenden Büchern, die ähnliche esoterische «Aufklärung» betreiben.
Wenig Tiefgang
Auch ein paar ironische Dialoge retten da leider nicht mehr viel: «Hereafter» zwingt seine drei Handlungen krampfhaft zusammen, schleift sie durch höheren Blödsinn und steht am Ende knietief im Esoterikkitsch. Das Jenseits und die Toten erfüllen dabei nur die sehr irdische Funktion, den Lebenden die Angst zu nehmen und beim Leben zu helfen.
Ein wirklich kluger Film müsste das hinterfragen, statt unsere Sentimentalität zu füttern. Ein grosser, in sich stimmiger Film ist «Hereafter» nicht geworden. Allenfalls aufwendig gedrehter esoterischer Humbug. Das Jenseits hätte eine bessere Abbildung verdient.
«Hereafter»
Regie: Clint Eastwood
Besetzung: Matt Damon, Cécile de France, Bryce Dallas
Howard, Jay Mohr, Richard Kind.
Verleih: Warner Bros. Pictures.
Kinostart: 27. Januar 2011
Webseite:
www.hereafter.ch
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Fragen zu Tod und Jenseits
Datum: 27.01.2011
Quelle: Livenet / epd