„Recht, nicht Rache“: Simon Wiesenthal 95 Jahre alt

Simon Wiesenthal

Wohl kein Ermittler wurde mit so vielen Ehrungen ausgezeichnet. Der Öffentlichkeit ist er vor allem als "Nazi-Jäger" bekannt. Doch Simon Wiesenthal ging und geht es um mehr als die Ahndung von Nazi-Verbrechen. Seit seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen Ende des Zweiten Weltkriegs kämpft er auch gegen die Verdrängung des Holocaust aus dem öffentlichen Bewusstsein und gegen die Verjährung von Schuld.

Über tausend Täter des Dritten Reichs hat er nach eigener Einschätzung enttarnt und vor Gericht gebracht. Am Mittwoch wurde Simon Wiesenthal 95 Jahre alt.

Wahnsinn und Wunder - in beinahe einem Lebens-Jahrhundert ist Wiesenthal den Extremen begegnet. Der 1908 in Galizien geborene Sohn einer bürgerlichen jüdischen Familie arbeitete bis zu seiner Festnahme 1941 als Architekt in Lemberg. "Wie durch ein Wunder" überlebte er verschiedene Konzentrationslager. Nach seiner Befreiung fand er seine Frau Cyla wieder - wie er selbst auch sie einzige Überlebende einer weit verzweigten jüdischen Familie. Gemeinsam gründeten sie 1947 in Linz das erste Institut zur Dokumentation der Schicksale von Juden und ihrer Verfolger.

Ab diesem Zeitpunkt widmete sich Wiesenthal ganz der Jagd auf NS-Verbrecher. Seinen Ruhm als "jüdischer James Bond" begründet die Hilfe bei der Ergreifung von Adolf Eichmann, der seit der Wannsee-Konferenz 1942 mit der "Endlösung der Judenfrage" betraut gewesen war. Nach dessen Aufsehen erregender Festnahme in Argentinien und der Verurteilung in Israel Anfang der 60er Jahre gründete Wiesenthal in Wien ein neues Jüdisches Dokumentationszentrum, das er bis heute leitet.

Moralische Autorität

"Recht, nicht Rache" - der Titel eines seiner Bücher soll als Leitmotiv seiner Ermittlertätigkeit verstanden werden. Er begreift das Fahnden nach den NS-Tätern nicht nur als Vergangenheitsbewältigung, sondern auch als Zukunftsdienst: Wenn Menschen noch nach Jahren für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen würden, sei dies auch "eine Warnung für potenzielle Mörder von morgen". Wiesenthals Engagement ist mit zahllosen Ehrendoktorwürden, Preisen und Auszeichnungen hoch gelobt und hoch dekoriert. Nach den Worten von Altbundeskanzler Helmut Kohl ermahnt Wiesenthal die Deutschen zu Wachsamkeit. Er sei eine "moralische Autorität".

Dennoch blieb er nicht unumstritten. Gerade in seiner Heimat Österreich rief Wiesenthal heftige Kritik hervor. In den Rängen der SPÖ hatte er zahlreiche Altnazis ausgemacht und ferner einen möglichen Koalitionspartner des ehemaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky (SPÖ) der Zugehörigkeit zu einer Waffen-SS-Einheit beschuldigt, die an Judenerschiessungen beteiligt gewesen war. Daraufhin warf Kreisky Wiesenthal "Selbstjustiz" und "mafiaähnliche Methoden" vor. Das Dokumentationszentrum zur Klärung von Kriegsverbrechen bezeichnete er als "Mafianetz".

Fährten in Brasilien und in den USA

Die Affäre um Kreisky führte dazu, dass Wiesenthal die Suche nach österreichischen Kriegsverbrechern aufgab. Die Fährten anderer Täter verfolgte er aber mit Erfolg. Er sorgte für die Verhaftung des Kommandanten von Treblinka, Franz Paul Stangl, in Brasilien. Ebenso für die des stellvertretenden Kommandanten des Konzentrationslagers Sobibor, Gustav Wagner. In den Vereinigten Staaten spürte er die ehemalige SS-Aufseherin im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, Hermine Braunsteiner, auf.

Erfolglose Fahndung nach Mengele

Heute überlässt Wiesenthal die aktive Suche den nach ihm benannten Zentren in Wien, Los Angeles, Paris und Jerusalem. Rund 6.000 Fälle seien auf Grund seiner Hinweise untersucht worden, sagt er. Und trotzdem: Viele Schuldige blieben unbestraft. Einen der für ihn "wichtigsten Täter" konnte Wiesenthal nicht fassen. Jahrelang hatte er erfolglos nach dem KZ-Arzt Josef Mengele gefahndet. Der war bereits 1949 aus Deutschland geflüchtet und dreissig Jahre später in Brasilien gestorben.

Autorin: Maria Büche

Datum: 10.01.2004
Quelle: Kipa

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