«Meine Freundin hat abgetrieben»
Livenet: Kürzlich entschied sich Ihre Freundin, die Schwangerschaft in der fünften Woche abzubrechen. Was bewog sie dazu?
Sarah (Name geändert): Meine Freundin hat bereits zwei Kinder. Das eine schläft noch nicht durch und fordert sie sehr stark. Ausserdem hatte sie zwei schwierige Schwangerschaften. Eine dritte wollte sie vermeiden.
Das war auch für Sie als Freundin eine schwierige Situation?
Ja, ich wollte meiner Freundin beistehen, sie richtig beraten. Ich habe selber vier Kinder und weiss, wie das ist, wenn ein Schwangerschaftsbericht überfordert.
Ich weiss aber auch, dass sich das Ganze ins Positive wandeln kann. Mit meiner vierten Schwangerschaft war ich ja ebenfalls überfordert, und trotzdem wurde unser jüngster Sohn zum Sonnenschein für uns alle. Es hatte mich anfangs viel Kraft und Opfer gekostet, aber ich konnte diese Situation gut überwinden, daran wachsen. Heute kann ich es geniessen. Das wollte ich ihr deutlich machen.
Wie reagierte sie?
Sie hörte kaum hin. Sie meinte immer wieder, sie wolle dieses Kind nicht. Ich sagte ihr klar und deutlich, für eine Abtreibung würde ich nicht mitkommen. Für erste Abklärungen ging ich dann aber mit ins Krankenhaus und wollte ihr als Dolmetscherin helfen.
Was geschah im Krankenhaus?
Am Ultraschallgerät schauten wir uns mit der Oberärztin zusammen den fünf Wochen alten Embryo an. Die Ärztin erklärte, dass sie für eine Entscheidung noch zehn Tage Zeit habe. Bis dann könne die Schwangerschaft noch mit der Abtreibungspille „unterbrochen“ werden – oder eben die Entscheidung für das Kind fallen. Sie ermutigte meine Freundin, länger darüber nachzudenken. Die sagte aber immer nur: «Ich will diese Tablette.» Sie war darauf fixiert.
Weshalb?
Offenbar hatte ihr eine Frau erzählt, sie müsse nur das besagte Mittel einnehmen, und das ganze „Problem“ sei schnell gelöst.
Wie ging es weiter?
Der Assistenzarzt brachte Formulare über Familienberatung und Adoption. Paradoxerweise füllte er aber die Formulare für eine Abtreibung weiter aus. Er erklärte ihr dann klar und deutlich, dass sie mit dieser Pille das Kind töten werde. Sie verstand alles. Er sagte auch, dass er selber mit einer Abtreibung Mühe habe, und sprach über die vielen Symptome, die nach einer Abtreibung auftreten.
Ich wollte meine Freundin dazu überreden, die Formulare mit nach Hause zu nehmen und alles nochmals zu überdenken. Der Arzt liess uns allein, damit wir uns ungestört unterhalten konnten. Es half leider alles nichts. Sie wollte auf der Stelle abtreiben.
Was ging dabei in Ihnen vor?
Ich fühlte mich total ohnmächtig. Es war ein furchtbares Gefühl. Als Christin glaube ich daran, dass auch das Leben ihres Kindes eine Zukunft haben durfte. Ich war auch bereit, meine Freundin zu unterstützen, wo ich nur konnte. Eigentlich wollte ich nur noch heimgehen, weil ich es kaum mehr aushielt. Meine Freundin aber war in einem schrecklichen Zustand. Ich konnte sie nicht allein lassen. Ausserdem hoffte ich immer noch, dass sie einlenken würde.
Was geschah weiter?
Eine Schwester brachte widerwillig das Medikament. Meine Freundin packte es selbst aus und nahm es zögernd ein. Zwanzig Sekunden später brach sie zusammen. Der Arzt meinte, es sei ein psychischer Kollaps, denn das Medikament habe nicht so schnell wirken können. Man legte sie auf ein Bett.
War Ihre Freundin mit der Entscheidung überfordert?
Ganz bestimmt. Als sie wieder zu sich kam, begann sie sich ins Gesicht zu schlagen. Sie hasste sich und weinte jämmerlich. Immer wieder meinte sie: «Ich will nur noch sterben.» Eine Schwester versuchte sie zu beruhigen und erklärte ihr, dass sie jetzt zu ihrem Entscheid stehen müsse. Dann probierte sie die Tabletten zu erbrechen. Sie kniete sich über die Toilettenschüssel und steckte sich den Finger in den Hals.
So verzweifelt hatte ich sie noch nie gesehen. Leider konnte sie nicht erbrechen. Die Tabletten waren bereits aufgelöst.
Ich sprach noch kurz mit dem Arzt. Ich sagte ihm, es sei doch wichtig, die Frauen mit allen Unterlagen erst noch einmal nach Hause zu schicken, damit sie sich in Ruhe entscheiden könnten. Er nickte nur geistesabwesend. Die Schwestern, die Ärzte, meine Freundin und ich, wir waren alle sehr mitgenommen nach dem Vorfall. Dann verliessen wir das Krankenhaus.
Macht sich Ihre Freundin immer noch Vorwürfe?
48 Stunden später nahm sie zu Hause die zweite Dosis ein, um den getöteten Embryo auszustossen. Kurz darauf fiel sie in eine schwere Depression. Sie sass nur noch herum und ass und sprach nicht mehr. Sie konnte auch ihre zwei Kinder nicht mehr betreuen. Zudem machte ihr Mann ihr Vorwürfe, obwohl er sich zuvor für die Abtreibung ausgesprochen hatte. Ich ging jeden Tag vorbei und versuchte meine Freundin und ihre Kinder zu unterstützen.
Wie geht es ihr heute?
Sie leidet auch heute noch unter starken Gefühlschwankungen und macht sich grosse Vorwürfe. Kürzlich meinte sie: „Alle Frauen, die abtreiben wollen, sollten wissen, was tatsächlich auf sie zukommen kann.“
Zahlen zur Abtreibung
Das Schweizerische Bundesamt für Statistik meldet für das Jahr 2004 insgesamt 10'910 abgetriebene Kinder. Vergleicht man diese Zahl mit den Geburten im selben Jahr, dann zeigt sich, dass auf 1000 Geburten 151 Abtreibungen kommen.
Da aber manche Abtreibungen von den Krankenhäusern auch als Totgeburten eingetragen werden, sind die Statistiken ungenau. Die tatsächliche Zahl dürfte höher sein.
Nach der Einführung der Fristenregelung im Jahre 2002 nahm die Zahl der Abtreibungen nicht ab. 96 Prozent der Abbrüche fanden innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen statt. Gemäss der Fristenregelung von 2002 ist die Abtreibung später nur dann zulässig, wenn „besondere Indikationen“ vorliegen.
Weiterführende Links:
Der einfache Griff zur «Pille danach»
Die Abtreibungspille ist da!
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Mutter mit 16 – wie andere auch ...
Sandra P.: «Schwanger – da drohte er mir»
Schweizerische Stiftung für Mutter und Kind
Schweizerische Vereinigung ‚Ja zum Leben’
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Datum: 02.03.2007
Autor: Iris Muhl
Quelle: Livenet.ch