Sehnsucht nach dem geistlichen Durchbruch
Auf der grünen Wiese bei Wiesendangen nordöstlich von Winterthur, wo vor Wochen das kantonale Turnfest abging, stehen Hunderte von Zelten. Daraus ragen weiss das Hauptzelt, der Turm und die weiteren Zelte hervor, in welchen rund um die Uhr gesungen und gebetet, gelehrt und gegessen, verkauft und geplaudert, Seelsorge und Gebet für Heilung angeboten wird. Kleinkinder, Kids, Teenies und junge Erwachsene haben in gesonderten Zelten eigene Programme mit mehreren Bands, viel Spiel und kreativem Treiben.
Die Leviten waren im alttestamentlichen Volk der Israeliten der Stamm, der, dem Tempeldienst verpflichtet, Gott vollzeitlich pries und sein Heiligtum pflegte. Am Samstag Abend strömen die Leviten des Jahres 2005 zum ersten Mal zusammen, um mit der Reithalle-Band Jesus Christus zu begrüssen und ihm zu klatschen: «Gross bist Du, Herr, allmächtig und stark.»
Offen werden für Gott
Danach eröffnet Pfr. Geri Keller, Leiter der Winterthurer Stiftung Schleife, das Camp, das zweite nach 2001 (in Frauenfeld). Die Verantwortlichen der Stiftung schätzen die Zahl der Personen im Zelt auf 4000. Mit Tagesgästen hoffen die Veranstalter für die nächsten Tage auf gegen 6000 Besucher pro Tag.
Am Sonntag Morgen leitet der weltweit bekannte Lobpreismusiker Don Potter im schwach erhellten Zelt den Lobpreis – intensive, rockige Lieder, die Gott in seiner Grösse und Barmherzigkeit besingen und die Anwesenden aufrufen, ohne Vorbehalte in seine Gegenwart zu kommen. „Come, come, come“ ein Dutzend, zwei Dutzend mal. Hunderte stehen vor der breiten Bühne, heben die Hände, klatschen, singen – einige mit Hörschutzpfropfen in den Ohren.
Was liegt in der Luft?
Don Potter sagt zwischendurch lächelnd, dass er bei der Ankunft in der Schweiz eine neue geistliche Entschlossenheit verspürt habe – „a new determination“. Der deutsche Bibellehrer Christoph Häselbarth spannt in seiner Predigt den Faden weiter: „Ich glaube, dass wir in unseren Ländern vor einem Durchbruch von Vollmacht stehen. Etwas liegt in der Luft – eine neue Ausgiessung von Gnade und Kraft.“
Doch dies werde nicht einfach „über uns kommen“, sagt Häselbarth so ruhig wie bestimmt. Die Christen, die Gott einbeziehen wolle in sein Handeln, müssten diese Kraft ergreifen. „Gott will uns mit einer neuen Leidenschaft für sein Reich ausrüsten, in eine neue Dimension hineinführen. Sind wir offen? Begehren wir es, suchen wir es?“
Sehnsucht nach mehr von Jesus
Eindringlich ermahnt er den einzelnen Leviten und die Levitin, als der neue Mensch zu leben, zu dem Christus ihn und sie gemacht hat: „Sag zu dir: Ich bin diese neue Kreatur. Sage: Himmel wohnt in meinem Herzen. Dann wächst etwas – eine Sehnsucht nach mehr von Jesus.“
So werde auch das Lieben des unbequemen Nachbarn und Mitmenschen allmählich leichter fallen. Christen sind nach Häselbarth Menschen, die nicht mehr auf ihr Recht pochen – weil Jesus ihnen alles gibt, was sie wirklich brauchen. „Durch Jesus in dir kommt alles zur Ruhe, beginnt eine neue Zeit. Die Liebe von Jesus nimmt in dir zu.“
Die Kraft mit guten Worten zur Entfaltung bringen
Christoph Häselbarth, der an Schleife-Veranstaltungen seit vielen Jahren über Heilung gelehrt hat, erzählt von einem Mann aus seinem Team, der durch monatelanges Bekennen von Gottes heilender Kraft einen Diabetes überwinden konnte. „Wir alle können diese Kraft in uns zur Entfaltung bringen.“
Christen sollen durch das, was sie sagen, Gott nicht Grenzen setzen, sondern im Glauben an sein Wirken Gutes vorwegnehmen. Und in einem gewissen Sinn in den Spuren des Propheten Hesekiel gehen, der über Totengebeinen Leben proklamierte – und dann sah, dass Gott sie zusammenfügte und erweckte.
Die Reinheit der Männer
Allerdings fordert Gottes neues Wirken von seinem Bodenpersonal Entschlossenheit und – Reinheit. Häselbarth wendet sich an die Männer im Zelt, die Pornos konsumieren und unreine sexuelle Phantasien hegen: „Werde mit dir selber ehrlich.“ Er gibt Ratschläge – vom Gang zum Seelsorger bis zum Wegstellen des Fernsehers und zum PC-Filter.
Nach einem Lied erhält Jobst Bittner aus Tübingen das Mikrofon. Er spricht darüber, was Gott hier und in fernen Ländern tut. Draussen verziehen sich die Wolken. Die Sonne wärmt. Gegen zwölf können die Eltern die Kinder abholen – Zeit fürs Picknick im Zelt oder für einen Snack bei den Jahrmarktständen.
Treffen der neocharismatischen Bewegung
Die Veranstalter haben am Freitag die Medien informiert. Das Fernsehen meldet sich an. Der Reporter, den die ‚Neue Zürcher Zeitung’ am Samstag vorbeischickt, hört sich im Camp um. Andrea Ardioli aus Ziefen (BL) sagt, sie finde es toll, mit so vielen anderen Gläubigen die Nähe Gottes zu erleben. Der Glaube sei für sie der wichtigste Lebensinhalt. Sie probiere deshalb, nahe am Wort Gottes zu leben.
Rebecca Ritter erzählt dem Journalisten von ihrer Liebesbeziehung mit Gott und dass Jesus zu ihr spreche. Und der Religionswissenschaftler Prof. Georg Schmid zerstreut Bedenken: Er bezeichnet das Camp als typisch für die neocharismatische Bewegung. Dazu gehöre, dass es das «Gemeinsam sind wir stark»-Feeling hervorrufe und Gottesdienste mit Pop-Worship verbinde.
Datum: 26.07.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch