Die Bibel - Angstlektüre oder Buch der Hoffnung?

Bibel

2003 ist das «Jahr der Bibel». Der Theologe Peter Henning, Rektor des Theologisch-Diakonischen Seminars in Aarau, hat sich unter dem Titel «Die Bibel - Angstlektüre oder Hoffnungsbuch» mit dem Charakter der Bibel auseinandergesetzt.

Tummelplatz für Spekulationen

Die Bibel hat sich in ihrer zweitausendjährigen Wirkungsgeschichte schon einiges gefallen lassen müssen. Für wie viele Ideen und Ideologien, Frömmigkeiten und Glaubensvorstellungen, Sekten und Sondergemeinschaften, Kirchen und Gegenkirchen ist sie nicht schon nach Argumenten und Beweisen, Belegen und Begründungen ausgeschlachtet worden!

Das gilt besonders für die Fragen nach der Zukunft der Erde und der Menschheit sowie nach dem Jenseits. Ausgerechnet dieses Gebiet wurde in der Kirchen-, Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte zu einem Tummelplatz der Spekulationen, der Verführungen und nicht zuletzt der religiös verbrämten Geschäftemacherei.

Wer nur ein wenig die Sorgfalt ausser acht lässt und sich von irgendwelchen mehr oder weniger versteckten Interessen leiten lässt, kann tatsächlich mit einigen aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelstellen Angst und Schrecken verbreiten, um sich dann vor dieser dunklen Folie als Heilsbringer zu empfehlen.

Schreckensbilder aus dem Mittelalter

Solche endzeitlichen Schreckensbilder sind uns schon aus der mittelalterlichen Kunst zur Genüge bekannt. Mit der plakativen Androhung von Gerichts- und Höllenstrafen war die mittelalterliche Kirche nicht gerade sparsam. Und die Angst vor Endzeitkatastrophen, Weltuntergangszenarien, schwersten apokalyptischen Erschütterungen und Heimsuchungen, Fegefeuerstrafen, ewigen Höllenqualen und schrecklichen Gerichtszeiten wurde jahrhundertelang so geschürt, dass die Menschen täglich mit der Frage beschäftigt waren, wie sie dem entfliehen, ausweichen und entkommen könnten. Entsprechend entwickelte sich ein unübersehbarer Markt von frommen Bussübungen, Geisslerwallfahrten, Ablasssystemen und religiösen Leistungskatalogen. Die Angst vor dem unberechenbaren Jenseits trieb die Leute in eine Leistungsreligion, die sie täglich beschäftigte. Niemand geringeres als der Reformator Martin Luther erzählt in einer seiner Tischreden, dass er Christus nur als Richtergestalt fürchten gelernt habe, der mit dem Schwert im Mund jede kleine Sünde strafen würde.

Dies alles ist heute grösstenteils Vergangenheit. Aber der Ruf der Bibel wurde dadurch nachhaltig geschädigt - besonders bei denen, die in einer religiösen Kultur der Angst vor dem Jenseits aufgewachsen sind. Und weil es immer noch Gruppen, Sekten und Sondergemeinschaften gibt, die mit der Bibel in der Hand drohen und ängstigen, bleibt das Image der Bibel angekratzt.

Was ist die Bibel denn nun - Drohbuch oder Gute Nachricht?

Es gibt auch die andere Wirkungsgeschichte der Bibel. Da gibt es unzählige Männer und Frauen in der fast zweitausendjährigen Geschichte der Christenheit, die von einem befreienden, frohmachenden und hoffnungsvoll-zuversichtlichen Glauben berichten, der ihnen aufgrund der Bibel geschenkt worden sei! Als ein Zeuge dafür sei hier noch einmal Martin Luther erwähnt. Mit etwa 30 Jahren entdeckt dieser Mann beim Bibelstudium, dass alle Jenseitsangst verschwinden kann, weil Gott selbst für alle Menschen den Himmel weit geöffnet hat. Und Luther beschreibt Jahre später (1545) seine Entdeckung mit markanten Worten: «Gerechtfertigt zu sein allein durch den Glauben - nun fühlte ich mich ganz und gar wie neugeboren; die Tore hatten sich mir aufgetan; ich war in das Paradies selber eingegangen!»

Die Bibel hat sich bis heute als Trost- und Hoffnungsbuch mehr als bewährt. Es war und ist fatal, wenn Menschen, Theologen und Kirchen die Bibel daran hindern, das zu sagen, was sie sagen will. Dem hat die Reformation vor 500 Jahren das «Allein die Schrift!» gegenübergestellt und damals eine breite Zustimmung erfahren. Und wer heute die Bibel sprechen lässt, begegnet auf Schritt und Tritt der befreienden Botschaft, dass uns Gott aus aller Angst und Furcht herausführen will in die Freude des Glaubens und die Vorfreude einer lebendigen Hoffnung auf ewiges Leben bei Gott! Der weihnachtliche Engelsruf «Fürchtet euch nicht!» gilt gerade auch für die Zukunft der Welt und für mein vergängliches Leben. Das beschreibt die Bibel in vielfältigen Bildern, Gleichnissen und Gedanken: dass Gott für alle, die ihm vertrauen, eine erfüllte Ewigkeit ohne Schmerz, Leid und Not bereit hält! Und das alles, weil Jesus Christus den Sieg über «Hölle, Tod und Teufel» an Ostern errungen hat. Was damals geschehen ist, bleibt für unsere Logik ein letztes Geheimnis. Aber in den Geheimnissen Gottes kann ich voller Vertrauen «wohnen», ohne sie zu begreifen. Wer kann schon Gott begreifen! Aber ich kann mich - wie Martin Luther, Paul Gerhardt oder Dietrich Bonhoeffer - der ewigen Gnade anvertrauen, die mir Gott schenken will.

Gott respektiert den Wunsch nach Gott-losigkeit

Freilich - die Bibel bezeugt tatsächlich, dass unsere Welt an ihrem Ende wieder «aufgerollt» und in eine neue Welt verwandelt wird. Und dazu gehöre auch, dass dann alle Gottlosigkeit, Ungerechtigkeit, Brutalität und Sünde ihrem Gericht und ihrer endgültigen Vernichtung zugeführt werden. Jeder gesund empfindende Mensch wird das als gerecht empfinden: Wer mit seinem Leben bewusst gottlos, ungerecht, unmoralisch, unmenschlich und boshaft handelt, dem geschieht dann nichts Falsches, wenn ihm Gott auch für die Ewigkeit seinen Wunsch nach Gottesferne erfüllt.

Insofern gehört es unabdingbar zur «Guten Nachricht», dass sie gleichzeitig davor warnt, Gottes Gnade, Güte und Barmherzigkeit zu verspielen. Aber Hand aufs Herz: Ist eine Warnung eine Drohung? Ist sie nicht vielmehr ein Akt der Liebe, die Leben bewahren und retten will? Wer also deswegen die Bibel ein Drohbuch nennt, verkennt ihre wahre Absicht.

Vorfreude angesagt

Die Wirkungsgeschichte der Bibel zeigt also, dass man sie sowohl missbrauchen als auch recht gebrauchen kann. Und nach dem lateinischen Sprichwort «Der Missbrauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf!» möchte ich der Bibel als Hoffnungsbuch vertrauen, weil sie mir «das Tor zum Paradies» öffnet! Dass derjenige nicht mehr ins jenseitige Gericht kommt, der an den auferstandenen Jesus Christus glaubt und sich der Gnade Gottes anvertraut, das löst Hoffnung aus! Da gibt es nichts mehr zu fürchten, sondern da ist Vorfreude angesagt!

"Dieser Artikel ist der ANTENNE 1/03 entnommen, der Programmzeitschrift von ERF Schweiz. Ein Probeabonnement der ANTENNE können Sie gleich hier bestellen: www.erf.ch/static.php?url=wir/werbematerial.html ".

Autor: Peter Henning

Datum: 10.09.2003
Quelle: ERF Schweiz

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