Christliche Drohnenbauer

«Wir nennen sie Olena»

Olena, die Drohne, die während dieses Interviews gebaut wurde. Rechts: Vitali
Dima (27) und Vitali (24) sind ukrainische Christen – und sie bauen Drohnen für die Front. Ein Gespräch über das Leben im Krieg, Ängste, über wackelnde Wände. Und über das biblische Gebot der Feindesliebe.

Kyiv, Zentrum. Ich passiere eine Treppe und stehe in einem düsteren Vorhof. Es ist Mitte April und erstaunlich warm für diese Jahreszeit. Vor zwei Tagen bin ich in Kyiv angekommen. Eine Bekannte hatte mir eine Telefonnummer und einen Standort zugeschickt. Hier würden Freunde von ihr Drohnen für den Krieg bauen.

Ich bin nervös, prüfe mindestens drei Mal die Namen auf dem Türschild, drücke die Klingel. Die Tür öffnet sich und ein junger Mann, Anfang zwanzig, rotes T-Shirt, steht lächelnd vor mir und bittet mich, ihm zu folgen.

Dima und Vitali, ist es für Sie in Ordnung, wenn ich unser Gespräch veröffentliche, oder bringe ich Sie damit in Gefahr?
Dima: Moment, haben Sie einen russischen Pass? (lacht)
Nein, solange Sie keinen russischen Pass haben, können Sie das Gespräch gerne veröffentlichen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Russen sowieso bereits wissen, was wir machen. 

Wir wollen heute eine Drohne bauen. Wofür genau werden sie eingesetzt?

Dima baut eine Drohne

Unsere Soldaten nutzen die First-Person-View-Drohnen (FPV), um das Land zu verteidigen. Jede dieser Drohnen wird mit einem Sprengkörper bestückt. Sobald der Sprengkörper angebracht ist, startet der Frontsoldat die Drohne und versucht, das Zielobjekt zu eliminieren.

Sie sprechen von den Kriegsgeschehnissen, als ob Sie genau wissen, wie sich das anfühlt. Wie ist Ihr Alltag in Kyiv, wie erleben Sie den Krieg?
Sie müssen wissen, zurzeit haben wir ungefähr einmal pro Woche einen massiven Raketenangriff in Kyiv. Manchmal ist es sehr herausfordernd. Wir wissen nie, was als nächstes passiert. Manche Menschen gehen in einen Bunker, um sich zu schützen. Ich nicht. Ich bin nicht lebensmüde – auf keinen Fall – aber die Nacht im Bunker zu verbringen, bedeutet gleichzeitig, nicht zu schlafen. Es ist kein Zustand, dauerhaft müde zu sein. Das geht jedoch nicht ohne Risiko einher. Einmal traf eine Rakete ein Gebäude in der unmittelbaren Nachbarschaft. Es war drei Uhr nachts, als die Explosion uns aus dem Schlaf riss. Im ersten Moment hatten wir keine Ahnung, was los war. Wir spürten nur, wie unsere Wände wackelten. Doch mit den Jahren haben wir uns daran gewöhnt.

Fürchten Sie sich noch, wenn die Sirenen in der Nacht Alarm schlagen?
Nein. Ich hatte noch nie Angst davor. Mich beunruhigt nur eines: Der Moment, wenn der Luftalarm ertönt, aber keine Explosion folgt. Die Ungewissheit beunruhigt mich.

Wieso haben Sie nicht einfach das Land verlassen, als der Krieg begonnen hat, sondern sind hier geblieben? Sind Sie hier geblieben, um Drohnen zu bauen?
Ich wollte die Ukraine nie verlassen. Als noch kein Krieg war, fand ich die Ukraine zu schön, um sie zu verlassen. Seitdem Krieg ist, ist es für mich als Mann prinzipiell schwieriger geworden, das Land zu verlassen. Allerdings möchte ich es auch nicht.

Dima hält kurz inne. Er muss sich konzentrieren, um den nächsten Lötpunkt richtig zu setzen. Er blickt zu mir herüber und fragt mich, ob ich es auch einmal ausprobieren möchte. Ich willige ein. Unbeholfen versuche ich, die Anweisungen Dimas umzusetzen. Es will mir nicht so ganz gelingen, bei Dima sah alles viel leichter aus. Denn das, was ich gerade fabriziert habe, ähnelt eher einer Miniversion des Mount Everest als einem Lötpunkt einer filigran gebauten Drohne. Ich gebe auf und gebe Dima den Lötkolben wieder zurück. Plötzlich beschleicht mich ein Gedanke: Ich habe gerade dabei geholfen, eine Drohne zu bauen, eine Kriegswaffe. Was passiert, wenn diese Drohne einen russischen Soldaten tötet? Klebt damit auch Blut an meinen Händen? Ich versuche den Gedanken beiseite zu drängen und konzentriere mich auf unser Gespräch.

Bauen Sie seit der Invasion 2022 Drohnen?
Nein. Tatsächlich machen wir das erst seit einem Jahr. Begonnen hat alles mit meinem Geburtstag letztes Jahr. Ich hatte keine Lust auf Geschenke, also habe ich kurzerhand beschlossen, ein Fundraising zu starten.

Was meinen Sie damit?
Wir sammeln in der Ukraine Geld für verschiedene gemeinnützige Zwecke. Zurzeit gibt es viele Nöte in der Ukraine. Manche Menschen sammeln Geld für Militärfahrzeuge, andere für Waffen und wiederum andere für Drohnen.

Und Sie haben für Drohnen gesammelt.
Genau. Am Ende hatten wir so viel Geld zusammen, dass wir drei Drohnen bauen konnten. Kurzerhand dachten wir: Wir probieren, sie einfach selbst zu bauen. Wie Sie sehen, hat es geklappt. Es hat uns allerdings mehr als lange Monate gekostet, bis wir wussten, wie wir eine funktionsfähige Drohne bauen können. Mittlerweile haben wir mehr als 90 Stück fertiggestellt.

Wie läuft das ab?
Wie so oft, beginnt es auch bei uns mit dem Geld. Zwischen 300 und 350 Dollar pro Drohne werden für die einzelnen Komponenten benötigt. Ist das Geld vorhanden, bestellen wir die Einzelteile bei Ali-Express. Wir setzen die Bauteile zusammen, bespielen den Chip mit einer Software, testen am Ende noch die Funktionalität der Motoren und schicken die fertige Drohne dann weiter. Die Drohnen werden anschliessend an entsprechende Organisationen geschickt, dort mit Akkus ausgestattet und geprüft, ob sie das Gewicht eines Sprengkörpers tragen können. Das ganze Konzept basiert zu 100 Prozent auf Spenden. Übrigens ein interessanter Fakt. Jede Drohne hat auch einen eigenen Namen. Meistens sind es die Namen von Menschen, die in dem Krieg gegen Russland zum Opfer gefallen sind. Sobald die Drohnen auf ihre Funktionalität geprüft wurden, gehen sie direkt an die Front.

Sind Sie immer nur zu zweit, oder ist Ihr Team grösser?
Wir haben regelmässig Menschen bei uns. Wir bringen Ihnen bei, Drohnen selber zu bauen.
Letzten Sonntag haben wir uns nach der Kirche hier mit Menschen aus der Gemeinde getroffen, um an den Drohnen weiterzubauen. 

(Alles Handarbeit: Präzision ist der Schlüssel, um die Lötpunkte richtig zu setzen.)

Sind Sie gläubig?
Exakt. Ich glaube an Jesus Christus. Ich bin bei Campus Ukraine, einer missionarischen Studentenorganisation, zum Glauben gekommen.

Ich habe oft in ukrainischen Gemeinden zwei Stimmungen wahrgenommen: Eine kleinere Gruppe ist pazifistisch und lehnt jegliche Form der Gewalt ab. Die andere Gruppe sieht es als ihre Verantwortung, das Land und die Menschen mit Waffengewalt zu schützen. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Für mich persönlich ist die grösste Herausforderung, zu sehen, dass unschuldige Menschen sterben müssen. Ich frage mich und Gott: «Wo ist der Sinn?» Oftmals gibt uns Gott keine klare Antwort auf diese Fragen. In diesen Momenten beginnen in mir viele Zweifel zu wachsen. Das ist sehr herausfordernd. Ich kann nicht verstehen, warum Gott das alles zulässt. Warum müssen Eltern ihre Kinder durch einen Raketenangriff verlieren?

Sie bauen jede Woche Drohnen, die das Ziel haben, Menschen zu töten. In der Bibel sagt Jesus in Matthäus 5,44 «Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.» Ist dieser Vers für Sie ein Irrtum Jesu?

Die Drohnenproduktion haben Vitali und Dima selbst erlernt

Ich glaube, wenn Jesus sagt, dass wir unsere Feinde lieben sollen, gibt es eine Voraussetzung: Dass wir zuerst die lieben sollen, die uns nahestehen. Meine Nächsten leben zurzeit in der Ukraine. Meinen Nächsten zu lieben, bedeutet für mich, meine Feinde zu stoppen. Meine Feinde zu hindern, unsere Freunde, unsere Familie zu töten. Aktuell fokussiere ich mich darauf, meine Freunde und Familie zu lieben.

Ist es generell möglich, seine Feinde zu lieben?
Ich glaube, solange ich leben werde, wird es für mich unmöglich sein, meine Feinde zu lieben. Ich weiss, dass das für viele befremdlich klingt. Vor dem Krieg war es für uns einfach, von der Feindesliebe zu predigen. Jetzt verstehen wir, dass wir die lieben müssen, die uns am nächsten sind.

Wird Vergebung irgendwann möglich sein?
Ich weiss es nicht. Ich weiss nicht, ob ich dazu jemals in der Lage sein werde. Der Schmerz ist zu gross. Vielleicht, wenn sehr viel Zeit vergeht. Vielleicht wird es unseren Kindern möglich sein. Aber Vergebung braucht immer auch Bereitschaft zur Busse.

Beten Sie für Busse oder Vergeltung?
Busse der Russen? Ich glaube nicht daran. Sie beten in den Kirchen dafür, dass Raketen unsere Kinder töten. Ich glaube nicht, dass sie jemals Busse tun werden. Vielleicht wird sich unser Gebet in der Zukunft verändern.

Haben Sie Angst, selbst in den Krieg gehen zu müssen?
(Vitali, der die meiste Zeit still war, meldet sich zu Wort.)

Vitali: Ich habe Angst, wenn ich ehrlich bin. Ich glaube, jeder fühlt diese Angst in Zeiten dieser Ungewissheit. Ich werde bald 25 – das ist genau das Alter, in dem ein Mann in die Armee eingezogen wird. Aktuell habe ich noch die Wahl: Ich kann mich freiwillig zur Armee melden und mir dadurch die Einheit und den Ort aussuchen, wo ich eingesetzt werden soll. Aber wenn ich warte und vom Staat eingezogen werde, habe ich mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Mitspracherecht. Ich muss dann dorthin gehen, wo jemand gebraucht wird.
Ich versuche gerade herauszufinden, was ich machen soll. Die Unsicherheit belastet mich sehr stark. Aber besonders in dieser Situation versuche ich, Gott und seine Führung für mein Leben zu suchen.

Haben Sie Angst, Dima?
Dima: Bei mir ist die Ausgangssituation eine andere. Meine Nieren sind nicht gesund, weswegen ich nicht zur Armee muss.

Dima ist erneut dabei, konzentriert ein weiteres Bauteil an der Drohne anzubringen. Mittlerweile sieht das Karbon-Elektro-Konstrukt vor uns tatsächlich schon aus wie eine richtige Drohne.

Was liegt Ihnen noch auf dem Herzen?
Ich möchte den Menschen, die das lesen, sagen, dass die Situation, in der wir leben, sehr herausfordernd ist. Wir denken nicht an das nächste Jahr. Wir denken nur an morgen und wie wir überleben können. Manche Menschen denken, dass etwas mit uns nicht stimmt. Sie haben vollkommen recht. Es ist nicht gut, unter diesen Umständen zu leben. Aber es ist die Realität, der wir uns täglich stellen müssen. Übrigens ist die Drohne fast fertig. Wie wollen wir sie nennen?
Die Frage überfordert mich. Welchen Namen soll man einer Drohne geben, die zum Töten und Zerstören gebaut wurde? Ich schaue den Hund vor mir an und frage, wie er heisst, aber Dima sagt, dessen Name sei schon vergeben. Es fällt mir schwer, einen Namen zu wählen. Etwas in mir will verhindern, dass er zu viel mit mir zu tun hat. Erneut schaue ich Dima an, frage, wie denn seine Mutter heisse. «Olena», antwortet er. «Gut», sage ich. Dann nennen wir sie Olena.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Pro Medienmagazin.de.

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Datum: 21.08.2025
Autor: Christian Biefel
Quelle: Pro Medienmagazin

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