«Gezielter Terrorfeldzug»

Syrische Christen vor beschleunigter kultureller Auslöschung

Richard Ghazal mahnte vor Gleichgültigkeit gegenüber der Auslöschung der syrischen Minderheiten.
Radikale Dschihadisten und andere extremistische Gruppen haben brutale Massaker und weitere Menschenrechtsverletzungen an Syriens religiösen Minderheiten verübt. Menschenrechtsorganisationen fordern zum Handeln auf.

Morhaf Ibrahim, Präsident der Alawiten-Vereinigung der USA, betont, dass die Angriffe auf christliche, alawitische und drusische Gemeinschaften in Syrien keineswegs zufällige Gewaltausbrüche seien. «Es handelt sich um einen gezielten Terrorfeldzug», erklärte Ibrahim unlängst bei einer Pressekonferenz auf dem Capitol Hill, bei der die Gräueltaten gegen Syriens ethnisch-religiöse Minderheiten thematisiert wurden.

Seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 seien die religiösen Minderheiten Syriens zunehmend Gewaltakten durch ausländische Dschihadisten, Assad-Anhänger und von Syriens neuem Machthaber Ahmed al-Sharaa entfesselte Milizen ausgesetzt, so Ibrahim.

Nachdem das islamistische Bündnis Hayat Tahrir al-Sham – bestehend aus ehemaligen Kämpfern des Islamischen Staates und Al-Qaida – Präsident Bashar al-Assad abgesetzt hatte, wuchsen die Befürchtungen um die Sicherheit der Christen und anderer Minderheiten.

Barbarische Gewalt

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass sunnitische Kämpfer nach einem Aufstand Assad-treuer Milizen Anfang März fast 1’500 Alawiten an der Mittelmeerküste Syriens massakrierten. Der Bericht hob die extreme Brutalität hervor – etwa den Fall eines Mannes, dessen Herz aus der Brust gerissen und auf seinen Körper gelegt wurde, damit es sein Vater finden konnte.

Ibrahim verurteilte auch andere Gräueltaten, darunter die Entführung von Frauen und Mädchen, die anschliessend in die sexuelle Sklaverei verkauft oder zu Zwangsehen gezwungen würden.

Am 22. Juni starben bei einem Anschlag auf die Mar-Elias-Kirche in Damaskus mehr als zwei Dutzend Menschen. Der Attentäter trug eine Sprengstoffweste, betrat während des sonntäglichen Gottesdienstes die Kirche und eröffnete das Feuer auf die Gläubigen.

Existenzielle Krise

«Syrische Christen, die über Jahrhunderte politische Unterdrückung und konfessionelle Gewalt überlebt haben, stehen nun vor einer existenziellen Krise», erklärte Richard Ghazal, Geschäftsführer der Organisation «In Defense of Christians», die sich für den Schutz der Christen im Nahen Osten einsetzt.

Der Anschlag sei Ausdruck einer «ernüchternden Realität». «Mit jedem Selbstmordanschlag, jeder entweihten Kirche, jeder fliehenden Gemeinde rückt Syrien näher an den Verlust einer 2000 Jahre alten spirituellen und kulturellen Säule», so Ghazal.

Vor Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 stellten Christen rund zehn Prozent der syrischen Bevölkerung – etwa zwei Millionen Menschen – und lebten weitgehend friedlich mit ihren muslimischen Nachbarn zusammen. Heute sind weniger als 300’000 Christen im Land verblieben.

Hier wurden Christen erstmals als solche bezeichnet

Die antike Stadt Antiochia sei der Ort, an dem die Anhänger Jesu erstmals «Christen» genannt wurden, erinnerte Ghazal. Auf dem Weg nach Damaskus sei der Apostel Paulus – damals noch Saulus – nach einer Begegnung mit Christus erblindet, was seine Bekehrung vom Christenverfolger zum Nachfolger Christi markierte.

Der Juni-Anschlag sei daher nicht nur ein weiterer Terrorakt, sondern «ein Signal der beschleunigten kulturellen und religiösen Auslöschung», warnte Ghazal.

Er hob hervor, dass Christen, Alawiten und Drusen in Syrien stets eine «moderierende Kraft» gewesen seien; dies durch Mitgefühl, Friedfertigkeit und das Beispiel des Zusammenlebens. Ihre Vernichtung würde «zu einer Verengung von Ideen, Identitäten und Überzeugungen führen» und extremistischen Ideologien den Weg zu bislang gemässigten muslimischen Gemeinschaften ebnen.

Verlust von Ost-West-Brücke

Das Auslöschen des Christentums in Syrien würde zudem, so Ghazal, «den Verlust einer entscheidenden Brücke zwischen Ost und West» bedeuten: «Das syrische Christentum hat einzigartigen Zugang zur Denkweise, Kultur und Weltsicht Christi und der Apostel eröffnet, die Theologie der frühen Kirche geprägt und die westliche Tradition mit ihren semitischen Wurzeln verbunden», erklärte er. «Sein Verlust würde ein wesentliches Glied des gemeinsamen kulturellen Erbes kappen.»

Angesichts des wachsenden sunnitischen Radikalismus und der Gewalt anderer Gruppen forderte Ghazal die USA auf, die syrische Übergangsregierung zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Täter von Übergriffen auf ethnisch-religiöse Minderheiten zu drängen. Doch diese Übergangsregierung ist, wie er einräumte, eine Koalition islamistischer Fraktionen. «Jegliche diplomatische Normalisierung muss strategisch so ausgestaltet werden, dass Leitplanken für das Verhalten der Übergangsregierung und Mechanismen für Rechenschaftspflicht geschaffen werden», mahnte Ghazal.

Und Morhaf Ibrahim ergänzte: «Der Schutz von Alawiten, Christen, Drusen, Kurden und allen Minderheiten ist kein moralisches Luxusgebot. Er ist die Grundlage für dauerhaften Frieden im Nahen Osten.»

Richard Ghazal hielt fest: «Weltpolitiker und Entscheidungsträger müssen über blosse reaktive Verurteilungen hinausgehen und proaktive Strategien entwickeln, um das religiös vielfältige Erbe Syriens zu bewahren – in Anerkennung seiner bleibenden Bedeutung für die Weltzivilisation.» Und er warnte: Die Folgen der Gleichgültigkeit würden nicht an Syriens Grenzen Halt machen.

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Datum: 05.10.2025
Autor: Samantha Kamman / Daniel Gerber
Quelle: Christian Post / gekürzte Übersetzung: Livenet

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