Bewaffnet bis an die Milchzähne

Kindersoldat
Kindersoldat Mädchen
Kindersoldat

Colombo. Die Bemühungen, Kindersoldaten zu demobilisieren, hatten Erfolg, als die Kriegsparteien in Sri Lanka sich über einen von UNICEF geförderten Plan einigten, das Leben der Kinder wieder in die Normalität zurückzubringen.

Während der in Norwegen abgehaltenen Friedensgespräche erklärte sich die Rebellenorganisation ‚Befreiungs-Tiger von Tamil Eelam’ dazu bereit, die Demobilisierung ihrer “Babybrigaden” fortzusetzen. Die Nachricht kam, nachdem UNICEF am 20. Juni dieses Jahres bekannt gegeben hatte, dass die Rebellen gegenüber den Beamten der UNO-Organisation gesagt hätten, niemanden mehr unter dem Alter von 18 Jahren in ihre Streitkräfte zu rekrutieren.

Sieben Jahre alter Rekrut

Als Teil ihrer Kampagne gegen den Einsatz Minderjähriger in Kämpfen veröffentlichte die Organisation am 30. Oktober eine Studie über Kindersoldaten. “Kriege von Erwachsenen, Kinder als Soldaten: Stimmen von Kindern, die in bewaffnete Konflikte in Ostasien und der Pazifikregion hineingezogen werden.” Die Studie stützt sich laut einer Pressemitteilung auf Interviews mit 69 derzeitigen und ehemaligen Kinderkämpfern von sechs Ländern (Kambodscha, Osttimor, Indonesien, Myanmar, Papua-Neuguinea und den Philippinen). Das durchschnittliche Rekrutierungsalter dieser Befragten betrug dreizehn; der jüngste war im Alter von sieben Jahren gewaltsam rekrutiert worden.

UNICEF sagt, dass bis zu einem Viertel der geschätzten 300.000 Kindersoldaten der Welt in Ostasien und der Pazifikregion eingesetzt ist. Bei der Veröffentlichung der Studie sagte der geschäftsführende UNICEF-Direktor Carol Bellamy, dass der Einsatz von Kindern als Soldaten von Regierungen und nicht-staatlichen Armeen als “eine illegale und moralisch verwerfliche Praxis betrachtet werden muss, für die kein Platz in zivilisierten Gesellschaften ist.”

Zwei Millionen Todesopfer unter Kindern

Die Studie fordert die systematische Demobilisierung aller Kindersoldaten. Sie fordert auch, für Unterstützung zu sorgen, um ihnen zu helfen, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern, besonders durch Zugang zu Erziehung und Berufsausbildung sowie psychosoziale Betreuung.

Ein weiterer UNICEF-Bericht, “Keine Schusswaffen, bitte: Wir sind Kinder!”, der im letzten Jahr veröffentlicht wurde, schätzt, dass seit 1990 die Kriege mehr als zwei Millionen Todesopfer unter Kindern mit sich brachten und sechs Millionen schwer verletzte und mehr als zweiundzwanzig Millionen aus ihren Wohnstätten vertriebene Kinder hinterlassen haben.

Im Jahre 1994 bat der UNO-Generalsekretär Graça Machel, den früheren Erziehungsminister von Mosambik, darum, eine Untersuchung über Verstösse gegen die Menschenrechte von Kindern in bewaffneten Konflikten durchzuführen. Das Ergebnisdokument, “Bericht über die Wirkung bewaffneter Konflikte auf Kinder”, wurde 1996 veröffentlicht.

Ein Jahr später ernannte der UNO-Generalsekretär, den Empfehlungen der Studie folgend, einen ‚Sondervertreter für Kinder und bewaffnete Konflikte’. Bald danach begannen die Vereinten Nationen eine Kampagne zur Förderung der Annahme eines freiwilligen Zusatzprotokolls zur Konvention über die Rechte des Kindes. Das Protokoll verbietet die Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter unter 18 Jahren, erlaubt aber die freiwillige Anwerbung nach dem fünfzehnten Lebensjahr. Das Protokoll trat am 12. Februar dieses Jahres in Kraft.

Zusätzlich erklärt das Statut von Rom für den Internationalen Strafgerichtshof, das im Juli dieses Jahres in Kraft trat, die Einberufung, Anwerbung oder den Einsatz von Kindern unter fünfzehn Jahren in Kriegshandlungen zum Kriegsverbrechen.

Landminen legen

Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) bemühen sich ebenfalls darum, dem Einsatz von Kindersoldaten ein Ende zu bereiten. Eine dieser NGOs ist die ‚Koalition zum Stop der Verwendung von Kindersoldaten’, die 1998 von sechs NGOs gebildet wurde. Zusammen mit anderen Gruppen drängt diese Organisation auf ein einheitliches Verbot des Militärdienstes von Kindern bis 18 Jahren. Dies würde die Möglichkeit freiwilliger Rekrutierung beseitigen, die gegenwärtig vom UNO-Protokoll zugelassen ist, sobald Kinder das Alter von fünfzehn Jahren erreicht haben.

Die Koalition erklärt, dass die weit verbreitete Verfügbarkeit von modernen leichten Waffen es Kindern ermöglicht, effiziente Killer im Kampf zu werden. Ausser dem Dienst an der Kampffront werden viele Kinder als Spione, Boten, Wachtposten, Gepäckträger und Diener eingesetzt. Kinder werden oft eingesetzt, um Landminen zu legen und zu beseitigen. Sie werden auch sexuell missbraucht.

Regierungen und bewaffnete Gruppen, stellt die Koalition fest, nehmen Kinder, weil diese leichter dazu abzurichten sind, furchtlos zu töten und ohne zu überlegen zu gehorchen. Zu dieser Methode gehört auch manchmal die Versorgung der Kinder mit Drogen und Alkohol.

Die Kinder lassen sich aus vielerlei Gründen in den Kampf hineinziehen. Einige werden gewaltsam rekrutiert, während andere durch Armut oder Diskriminierung in die Streitkräfte getrieben werden. Einige schliessen sich bewaffneten Gruppen an, weil ihnen dies eine Möglichkeit bietet, sich zur Wehr zu setzen, nachdem sie von staatlichen Behörden schikaniert worden sind.

Myanmar (Birma), der grösste Schuldige

Die ‚Koalition zum Stop der Verwendung von Kindersoldaten’ veröffentlichte in diesem Monat einen Appell, der den Einsatz von Kindern in Myanmar betrifft. Dieses Land, (auch unter dem Namen Birma bekannt), soll mehr Kindersoldaten haben als irgend ein anderes Land. Mehr als 70.000 Kinder dienen allein in der nationalen Armee.

Der Appell erhebt die Beschuldigung, dass die Armee Kinder gewaltsam rekrutiert, die erst elf Jahre alt sind. Seit ihrer Machtergreifung im Jahr 1988 hat die Militärregierung die Grösse der gesamten Armee verdoppelt. Die Zwangsrekrutierung von Kindern wurde 1998 von einer Kontrollkommission der ‚Internationalen Arbeitsorganisation bestätigt.

Einige Kinder gibt es auch in den Streitkräften der Oppositionsgruppen Myanmars. Die vereinigte ‚Wa-State-Army’ hat mit etwa 2.000 den grössten Anteil von Kindersoldaten in ihren Reihen. Ermittler schätzen, dass die vereinigten nicht-staatlichen Armeen 6.000 bis 7.000 Soldaten haben, die noch nicht achtzehn Jahre alt sind.

Kindersoldaten sexuell missbraucht

Ein weiteres Land, das unter Kritik steht, ist Kolumbien. Bewaffnete Gruppen haben dort mindestens 6.000 Kinder rekrutiert, berichtete die kolumbianische Zeitung “El Tiempo” am 4. Dezember.

Das Blatt berichtete über eine gerade erst veröffentlichte Studie der UNICEF und des‚ Büros des Öffentlichen Verteidigers in Kolumbien’, die den Vorwurf erhoben, dass Kindersoldaten in sechzehn Departements des Landes ausgebildet werden. Einige werden gezwungen, als Hausgehilfen zu arbeiten und an Kämpfen und geheimdienstlichen Aufträgen teilzunehmen, während andere für Sprengstoffeinsätze ausgebildet werden.

Das Durchschnittsalter der Kinder ist 13,8 Jahre; einige sind erst sieben Jahre alt. Viele Kindersoldaten werden auch sexuell missbraucht, Mädchen mit zwangsweiser Benutzung von Pessaren. Und im Fall einer Schwangerschaft, werden die Mädchen gezwungen abzutreiben.

Auch in Afrika war der Einsatz von Kindersoldaten weit verbreitet. In Angola zum Beispiel sind auch nach der Beendigung der Kämpfe die Probleme der Kinder noch nicht vorüber, berichtete die “BBC” am 19. November

Während des Bürgerkrieges in Angola zwangen sowohl die Regierungsarmee als auch die Unita-Rebellen regelmässig Kinder, in ihren Reihen zu kämpfen. Aber nachdem der Frieden gekommen war, wurden die früheren Kindersoldaten von den staatlichen Behörden vergessen.

Die Kinder waren ihren Familien entrissen und gezwungen worden, an Kämpfen teilzunehmen, die in ihnen Traumata hinterlassen haben. Um eine Hoffnung zu haben, so etwas wie ein normales Leben wieder aufnehmen zu können, benötigen sie besondere Fürsorge und Unterstützung. Aber die Programme für die gesellschaftliche Wiedereingliederung ehemaliger Kombattanten erwähnen die besonderen Nöte der Kindern mit keinem einzigen Wort.

In einer ähnlichen Situation befinden sich die ehemaligen Kindersoldaten im Kongo, stellte ein Bericht fest, der am 13. November von den ‚Integrated Regional Information Networks” (den integrierten regionalen Nachrichtennetzen), einem Teil des ‚UNO-Büros für die Koordination humanitärer Angelegenheiten’ veröffentlicht wurde.

Eine auf 30.000 geschätzte Zahl von Kindern habe in den Armeen der Regierung und verschiedener Rebellenarmeen gedient. Zwischen 8.000 und 12.000 davon sollen sich in Regierungslagern und der Rest in Rebelleneinrichtungen befinden. Aber nur 207 Kindersoldaten, in den Lagern unter Regierungskontrolle, hätten von einem Pilotprogramm zur Demobilisierung profitiert.

Das Programm, das am 18. Dezember des letzten Jahres begann, gewähre den ehemaligen Kindersoldaten Schulgeldfreiheit. Aber es fehlten Schulmöbel, Schulbusse und Mittel für den Lebensunterhalt. Viele haben den Kontakt zu ihren Familien verloren.

Das jüngste Abkommen in Sri Lanka ist ein Schritt nach vorn, aber das Problem der Kindersoldaten ist weiterhin eine offene Wunde.


KOMMENTAR


Muss man erst erwachsen werden, um töten zu dürfen?


Bruno Graber. Livenet

Die Vereinten Nationen und die UNESCO haben das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zur „Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit für die Kinder der Welt“ erklärt. Tönt für mich etwas zynisch wenn ich die Realität betrachte.

Kinder können leicht dazu gebracht werden, bedingungslos zu gehorchen und alle Befehle auszuführen. Sie sind manipulierbar, weil sie noch kein gefestigtes Werte- und Normensystem haben. Auf der Suche nach Vorbildern haben sie den Wunsch, Erwachsenen zu gefallen. In angespannten Situationen können sie dem Druck weniger standhalten, sie gelten als "schiessfreudiger".

Die Zwangsrekrutierung von Kindern ist vor allem in langandauernden Konflikten vorherrschend, in denen ein akuter Mangel an Soldatennachschub besteht. Manche Kinder melden sich "freiwillig"zum Kriegsdienst. Sie haben miterlebt, wie Familienangehörige ermordet wurden, und wollen sie nun rächen. Das eigene Gewehr und die Zugehörigkeit zu einer bewaffneten Gruppe verschaffen eine gewisse Sicherheit und auch das Gefühl von Macht. Aber der Preis für dieses bisschen Sicherheit ist hoch. Die Mehrzahl der Kinder berichtete, selbst Menschen getötet zu haben.

Allerdings beschleichen mich bei der Auflehnung gegen diese Art des Kindsmissbrauchs zugleich zwiespältige Gefühle: Wenn diese Mordgeschäfte nicht für Kinder taugen und von ihnen ferngehalten werden sollen - weshalb sollen sie dann eigentlich für Erwachsene weniger abscheulich sein? Muss man erst erwachsen werden, um töten zu dürfen?

Im Nahen Osten sind drei vierzehnjährige Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen worden, weil sie sich an eine Siedlung herangerobbt hatten, dilettantisch bewaffnet - aber eben auf Todeskurs. Sie wollten ihre erwachsenen (und doch zum Teil nur ein paar Jahre älteren) Vorbilder nachahmen. Nun entsetzen sich die Eltern dieser Knaben. Hätten sie der Tat eher zugestimmt, wenn die drei noch drei, vier Jahre gewartet hätten?

Wenn also die Klage über den Missbrauch der Kinder nicht zur reinen Heuchelei werden soll, dann sind es zunächst die Erwachsenen, die sich ändern müssen - bevor ihre Kinder so werden. Erwachsen verführen Kinder durch ihr Vorbild zu ihrem Tun.

Jesus warnte vor Verführer: „Es ist unmöglich, dass keine Verführungen kommen; aber weh dem, durch den sie kommen! Es wäre besser für ihn, dass man einen Mühlstein an seinen Hals hängte und würfe ihn ins Meer, als dass er einen dieser Kleinen zum Abfall verführt.“

Quelle: Zenit, Livenet

Datum: 23.12.2002

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