Wie die Kirche mutiger werden kann
Der Gottesdienst ist ein Kernstück der Kirche. Daher setzte Pfarrer Jonas Goebel hier den Hebel an. Der gebürtige Hamburger hat nach Ausflügen in die Welt des Journalismus Theologie in Hamburg, Greifswald und Berlin studiert. Seit April 2019 ist er Pfarrer der evangelisch-lutherischen Auferstehungsgemeinde Hamburg-Lohbrügge. Das Konzept des «neuen Gottesdienstes» ist radikal: Nicht jeden Sonntag einen anderen Gottesdienst feiern. Nicht auf Menschen fokussieren, die oft da sind, sondern stärker auf viele Menschen, die seltener kommen. «Wir haben uns auch vom liturgischen und agendarischen Gottesdienst verabschiedet. Wir bieten unsere Gottesdienste so an, wie ein Theater üblicherweise seine Stücke anbietet», erklärt der junge Pfarrer Jonas Goebel. Das bedeutet: Die Kirche plant «Spielzeiten» über drei Monate. In diesem Zeitraum gibt es nicht mehr zwölf verschiedene Gottesdienste: Statt zwölf Gottesdienste mit zwölf Abläufen und zwölf Predigten gibt es nur noch vier verschiedene Gottesdienste, Abläufe und Predigten. Das Konzept kommt gut an: Im vergangenen Jahr hat die Kirche ihre Gottesdienstbesucher um 15 Prozent von 3871 auf 4458 gesteigert.
Kirche wird zu einem echten Piratenschiff
«Oh Gott, Herr Pfarrer: Oster-Gottesdienst mit dem ‘Fluch der Karibik’ in Hamburg», titelte die Schleswig-Holsteinische Zeitung (SHZ). Der Kirchenraum ist mit dekorierten Stühlen so in Szene gesetzt, dass sie die Form eines Ruderboots ergeben. Der Altarraum bildet mit Holzbrettern und Paletten das Hauptschiff - dazu gibt es Masten und Kanonen. Und: Ein Papagei fliegt durch die Luft. 150 Plätze für Gottesdienstbesucher stehen zur Verfügung. Ob das ausreicht, davon lässt sich Jonas Goebel überraschen. Bei den sechs Harry-Potter-Events 2024 wurde es jedenfalls eng. «Bei diesen Veranstaltungen kamen mehr Menschen als sonst zu den Gottesdiensten. Und es waren viele jüngere dabei», erzählt der 36-Jährige der SHZ. «Der Beruf des Pastors macht mir Spass, und ich kann dabei kreativ sein», erzählt er weiter. Die Kirche sollte seiner Meinung nach dynamischer und bedürfnisorientierter sein. Das Thema Piraten bietet viele Ansatzpunkte zum Glauben: Dabeisein, wenn es um Mut, Freiheit und Vertrauen geht. Entscheidend ist das Gemeinschaftsgefühl, das man sowohl unter Christen als auch unter Seemännern spürt. Oder die Suche nach dem Schatz – nicht dem berühmten Piratenschatz, sondern dem Schatz des Glaubens. Im besonderen Gottesdienst werden Lieder aus dem Film auf der Orgel gespielt, ein Chor gibt typische Seemannslieder zum Besten. Für das karibische Flair sorgen exotische Snacks. Wer möchte, kann verkleidet als Seemann oder Pirat kommen.
Kirche funktioniert nicht einseitig
Jonas Goebel geht gern ungewöhnliche Wege. Die Vorliebe seines «Jesus für Craft-Beer» ist für ihn ein schönes Bild für die Erneuerung der Kirche. Dank Craft-Beer sei die Bierkultur vielfältiger geworden und manches schmecke unerwartet neu. Viele liebten das traditionelle Pils. Doch andere wollten es gern bunt gemixt. Auch die Gottesdienste könnten vielfältiger sein: andere Wochentage, aktuelle Musik und eine neue Art der Kommunikation. Für Jonas Goebel funktioniert Kirche nicht einseitig: Er fordert seine Kirchgemeinde jede Woche aufs Neue heraus, den Gottesdienst und sogar die Predigten nach ihren Wünschen mitzugestalten. Er möchte mit den Menschen in Kontakt treten, sich mit ihnen austauschen und sie – auch an der Erstehung seiner Predigten – teilhaben lassen. Dazu wählt er teils ungewöhnliche Wege: Bevor er im Gottesdienst seine Predigt hält, lässt er sie vorab von Testlesern bewerten und arbeitet das Feedback ein. Als Predigth@ppchen veröffentlicht er die Zusammenfassungen im Internet und auch bei Ebay versteigerte er schon einmal ein Thema für seine Sonntagspredigt. Er postet in den sozialen Medien und verbreitet sie als Podcast. Schon vor seinem Antritt als Pfarrer ist er als Teil der Popupchurch mit anderen Vikaren im Talar auf dem Weihnachtsmarkt oder dem Hamburger Dom aufgetreten, um dort in Gespräche über den Glauben zu kommen, wo die Menschen sind. Oder stellte mit der Christuskirche in Eidelstedt ein Musiktheater auf die Beine.
Meckerecke und Meckerbox
Jonas Goebel will nicht um jeden Preis auffallen. Es geht ihm um die Profilschärfung der einzelnen Kirchen – dass nicht jede das gleiche anbietet, sondern das macht, hinter dem sie mit voller Überzeugung steht. Ein Positivbeispiel für ihn: Die Kirche St. Johannis in Eppendorf. «Die feiern einen traditionell geprägten, lutherischen Gottesdienst aus tiefstem Herzen», sagt er. «Man weiss dort, woran man ist, und der Laden ist voll.» Der Pfarrer muss auch Tiefschläge einstecken: Manche Gottesdienste werden von 20 und andere von 120 Menschen besucht. Es ist im Voraus oft kaum ersichtlich, welche Angebote gut ankommen und welche nicht. In seiner Kirche hat er auf der Homepage eine «Meckerecke» und im Eingangsbereich des Gemeindezentrums eine «Meckerbox» eingerichtet: Wem etwas nicht gefällt oder eine schlechte Erfahrung gemacht hat, darf hier Dampf ablassen. Der Kirchengemeinderat befasst sich einmal monatlich mit allen Anliegen. Kirchgemeinden, die anfangen, an ihrem Gottesdienstkonzept zu schrauben, empfiehlt er: Mit Hoffnung starten! Veränderung ist möglich.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Dienstagsmail.
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Datum: 21.08.2025
Autor:
Markus Baumgartner
Quelle:
Dienstagsmail