Erwählt und weggeschickt
«Von da an zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht länger mit ihm. Da sagte Jesus zu den Zwölf: 'Wollt vielleicht auch ihr weggehen?' Simon Petrus antwortete ihm: 'Herr, zu wem sollten wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens, und wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.' Jesus antwortete ihnen: 'Habe ich nicht euch, die Zwölf, erwählt? Und einer von euch ist ein Teufel.' Er sprach von Judas, dem Sohn des Simon Iskariot; denn dieser sollte ihn ausliefern, einer von den Zwölf» (Evangelium des Johannes, Kapitel 6, Verse 66-71).
Zwölf ist die Zahl von Gottes Erwählung. Im Alten Testament wählt Gott zwölf Stämme, die Söhne Jakobs, als sein Volk. Da wären auch andere, die Gott wählen könnte: Lot, Ismael, Esau. Sie sind nicht schlechter als Abraham, Isaak und Jakob oder gar als die Söhne Jakobs. Und genau Juda – der Erwählte unter den Erwählten, der Stammvater von Jesus – ist es, der Josef verkauft, seinen eigenen Bruder (Die Bibel, 1. Buch Mose, Kapitel 37, ab Vers 26). Zwölf Apostel sind es auch im Neuen Testament. Sie gehen in die Rabbinerschule bei Jesus von Nazareth. «Apostel» sind Gesandte, Missionare: Sendboten, die im Auftrag ihres Herrn eine Botschaft ausrichten.
«Wollt vielleicht auch ihr weggehen?»
… fragt Jesus. Er fragt nicht irgendwen. Die lockeren Anhänger und Zaungäste sind schon gegangen. Die Botschaft von Jesus war wörtlich «unerträglich». Seine Aussagen wirken schon etwas abstossend: «Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm». Jesus macht sich nie abhängig von der Meinung der Menschen. Er hat seine Botschaft auszurichten und seine Mission zu erfüllen. Sein Erfolg hängt nicht davon ab, wie viele Jünger er hat. Wichtig ist Qualität, nicht Quantität.
Jesus leistet sich eine ganz unübliche Aufforderung am Ende seiner Predigt, im kleinen Kreis. «Geht nur weg, wenn ihr wollt! Ihr seid frei.» – Das scheint «un-evangelistisch», überhaupt nicht «missional», «einladend» oder «ansprechend».
Seine Worte gehen ans Herz
Petrus antwortet gleich für alle: «Wir können nicht gehen! Ja, wir möchten tatsächlich gehen, deine Worte sind unerträglich, auch für uns. Es sind nicht die Worte, die wir selber wählen würden. Aber wir sind von diesen Worten ergriffen. Sie gehen uns ans Herz, sie spenden Leben.»
Jesus wird immer etwas nachdenklich, wenn Petrus so begeistert redet. Spricht Petrus wirklich für alle zwölf? Im Kreis der Jünger gibt es auch Anhänger, die weiter ihre Eigeninteressen verfolgen, etwa Judas. Er ist vielleicht sogar der motivierteste Jünger. Er will unbedingt dabei sein. Er will sein Stück Segen, dafür leistet er auch Einsatz als Kassier. Die Haltung von Petrus kann er nicht verstehen. «Wir sind doch alle freiwillig hier», würde er antworten.
Petrus spricht als ein Erwählter, seine Begeisterung kommt von Be-GEIST-erung. Es sind die Erwählten, die Petrus-ähnlichen Jünger, die Jesus später aussendet «wie Schafe unter die Wölfe» (Matthäusevangelium, Kapitel 10, Vers 16). Gottes Worte und Wege sind manchmal unerträglich. Die Jesusjünger haben diesen Weg nicht selber ergriffen, sie sind von Gott ergriffen worden. Aber sie sehen keinen anderen Weg, als Gott die Treue zu halten: «Du hast Worte ewigen Lebens.»
Datum: 02.02.2013
Autor: Giancarlo Voellmy
Quelle: wort+wärch