Wenn ich meinte, ich wüsste mit meiner Leitererfahrung, wie ein Lager abläuft, so hatte ich mich gründlich geirrt. In der Ukraine ist eben alles ein wenig anders, angefangen mit den Vorbereitungen bis hin zum Ablauf des Lagers. Die Vorbereitungen beginnen nicht etwa wie in der Schweiz schon Monate zuvor, sondern sehr kurzfristig. Gleichzeitig wird ein geeigneter Ort (z.B. Schulhaus) gesucht, bei den Behörden eine Bewilligung eingeholt, Kinder eingeladen, Leiter angefragt und um genügend Geld für die Durchführung der Lager gebetet. Einen Tag vor dem Beginn des Lagers haben wir die Schlafräume geräumt und geputzt, Bastelmaterial abgezählt, Namensschilder gebastelt, Papier zugeschnitten und uns zum ersten Mal zur Leitersitzung getroffen. Die Nacht war sehr kurz – wie übrigens alle anderen Nächte auch! Mein Streben nach genauer Planung und Organisation bis ins Detail kam mir zu Beginn ziemlich in die Quere. Im Pavillon aus der Schweiz übernachteten die Kinder auch. Für viele war dies ein einmaliges Erlebnis. Zuerst konnte ich mir zwar nicht vorstellen, wie ich mit zehn Kindern in einem dieser kleinen Zimmer gemeinsam schlafe, aber es klappte bestens. Bis auf die Nacht, in der eines der kleinen Mädchen wegen Platzmangels quer auf meiner Matratze lag, als ich zur vorgerückten Stunde ins Bett gehen wollte! So packte ich den guten alten Schweizer Militärschlafsack und bettete mich neben anderen gestrandeten Leiterinnen im Korridor. Das zweite Lager fand auf einem Schulhausgelände statt. 120 Kinder in neun Gruppen haben das Programm zwischen zehn Uhr morgens und sieben Uhr abends besucht. Neben viel Sport, Spiel und Spass ist die Verkündigung des Evangeliums das wichtigste Ziel dieser Kinderlager. So können die Kinder wahre Hoffnung und Frieden für ihr oft schwieriges Leben finden. In beiden Lagern fiel mir auf, dass das Singen von Liedern, Anspiele und Rollenspiele sowie das Auswendiglernen von Bibelversen einen hohen Stellenwert haben. Nicht alle Kinder können oder dürfen anschliessend die Sonntagsschule besuchen. So erinnern sie sich wenigstens an die gelernten Lieder und Bibeltexte. Bei Lagerbeginn kam eine Ärztin vorbei, welche die Kinder auf Läuse und Krankheiten untersuchte. Dies war Vorschrift; die Beamten vom Gesundheitsamt konnten jederzeit überprüfen, ob alle Kinder vor dem Lager ärztlich untersucht worden waren. Wenn nicht, kann die Behörde die Schliessung des Lagers veranlasssen. Eine Lagerapotheke gab es nicht. Als die Hauptleiterin merkte, dass ich einige wenige Tabletten und ebenso wenig Verbandszeug besass, wurde ich schnell einmal zur Lagerkrankenschwester erkoren. So weit so gut. Nur: was sollte ich mit einer auseinanderklaffenden Wunde machen? Oder wie befestige ich eine Gaze, wenn ich kein Heftpflaster oder Ähnliches mehr habe? Es gab jedoch keine schweren Unfälle oder Verletzungen, was in diesem Land verheerende Folgen haben kann, da die Gesundheitsversorgung schlecht ist. Vieles gäbe es noch zu berichten, so zum Beispiel über die staunenden Gesichter, als wir am letzten Abend am Lagerfeuer «Schoggi-Bananen» brieten, oder über den selbstgebastelten «Petflaschen-Mischwasserhahn» für unsere komfortable Leiterdusche unter dem Sternenhimmel. Nicht so schnell vergessen werde ich den gefrorenen Schweinekopf, der mich anstarrte, als wir in der Tiefkühltruhe nach Fleisch suchten, oder unseren Einkaufsmarathon auf dem Markt in der Stadt, für ein Lager mit über hundert Personen. Die herzliche Gastfreundschaft bewegte mich. Als einzige Schweizerin in einem ukrainischen Lagerleiterteam mitzuarbeiten war für mich zu Beginn eine grosse Herausforderung. Mit Englisch, Russisch und viel Mimik und Gestik haben wir uns jedoch sehr gut verständigen können und ich wurde sofort in alles miteinbezogen und integriert. Am meisten beeindruckte mich, wie Gott wirkte. Ich staunte über das grosse Vertrauen in schwierigen Situationen und die enge Gemeinschaft, welche die Gläubigen zu ihrem himmlischen Vater haben. So hat der Bürgermeister im Ort, wo das zweite Lager stattfand, ein Mann, vor dem viele Menschen Angst haben, seine Meinung über christliche Kinderlager geändert. In vielen Situationen habe ich die Hilfe und Führung Gottes konkret erlebt. So auch im zweiten Lager, als ich eine Kindergruppe mit meinen mageren Russischkenntnissen leitete. Gerade weil vieles nicht vorhanden war, die Vorbereitungen nicht perfekt und einzelne Situationen nicht vorhersehbar waren, hat Gott sich in seiner Grösse und Allmacht zeigen können. Dies hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Ich frage mich, ob ich manchmal nicht zu geplant, zu organisiert und strukturiert bin, so dass Gott gar keine Gelegenheit mehr hat, mein Leben in seine Hand zu nehmen. Für die unvergessliche und gesegnete Zeit in der Ukraine bin ich sehr dankbar. Bestimmt bin ich nicht das letzte Mal in diesem wunderschönen Land gewesen!
Datum: 28.10.2003Spontane Planung
Im Korridor gestrandet
Bibelverse auswendig gelernt
Gesundheitsvorsorge
Herausforderungen auf allen Seiten
Nur Vertrauen hilft
Dieses Jahr hatte die Schweizerin Astrid Staub die Möglichkeit, in zwei christlichen Kinderlagern in der Ukraine mitzuwirken. Hier ihr Bericht, der ursprünglich in der Zeitschrift des Schweizer Missionswerks ‚Licht im Osten’, Rämismühle, erschien (leicht gekürzt).