Weisheit am Ende

«…wenn diese Werte die Herzen erreichen»

Glaube und handfeste Liebe strahlen dort, wo die Hoffnung auf den gesellschaftlichen Fortschritt sich verloren hat. Der Bieler Theologe Walter Dürr wartet auf eine Renaissance des Wortes Gottes und rät Christen, sich in den Erschütterungen auf Jesus auszurichten.
Walter Dürr
Was nun? Wandbild in Zürich-West (2007).

Walter Dürr umreisst in seinem Buch «Christen im Umbruch», was die tiefe Erschütterung des Fortschrittglaubens seit 1970 und das Hinterfragen der Vernunft bedeuten. «Unsere Gesellschaft glaubt immer weniger an den Fortschritt. Sie ist tendenziell hoffnungslos», sagt Dürr im Gespräch mit der Zeitschrift idea Spektrum Schweiz. Finanzkrise, soziale Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung verstärkten die Hoffnungslosigkeit. Die Neigung, sie mit Konsum zu verdrängen, sei verbreitet. «Wir sind happy, wenn wir ein neues technisches Spielzeug haben oder wenn die nächsten Ferien gebucht sind. Und daneben kann die Welt kaputt gehen.» Christen fühlten sich zunehmend überfordert oder würden unpolitisch.

Traditionelle Werte verkünden genügt nicht

In die säkulare Wertedebatte versuchen Gläubige christliche oder biblische Werte einzubringen. Sie hätten grosse Bedeutung, doch mahnt Walter Dürr nüchtern: «Der wiederholte Bezug auf die Vergangenheit reicht nicht, um unsere Gesellschaft heute zu prägen. Das gelingt nur, wenn diese Werte auch die Herzen der Menschen erreichen.» Was im christlichen Abendland gegolten habe, sei neu auf die Bibel zu beziehen. Wer Gottes Segen auf der Schweiz sehe, müsse doch eingestehen, «dass es bei uns Banken gibt, die nicht nur anständige Geschäfte machten».

Neue Antworten suchen

Der gesellschaftliche Umbruch verändert die Kirche tiefgreifend. Was tun? «Den Kopf in den Sand zu stecken oder aber die Flucht nach vorn zu ergreifen, … wären kaum biblisch orientierte Wege. Der dritte Weg besteht darin, sich mit den Fragen und Problemen der Gegenwart noch einmal dem Wort Gottes auszusetzen, um daraus Antworten für unsere Zeit zu finden.» Dürr, langjähriger Leiter der Bieler landeskirchlichen Gemeinschaft Jahu und Mitbegründer des Instituts für Biblische Reformen (1997-2010), warnt davor, Gottes Reich im eigenen Wohlstand zu erwarten. Es sei vielmehr als kraftvolles Wirken Gottes zu verstehen – und dies auch wenn der gesellschaftliche «Einfluss der Kirchen am Verdampfen ist». Je mehr sich Christen in Erschütterungen «auf Jesus ausrichten lassen, umso mehr können wir auch auf das Reich Gottes hoffen».

Den Glauben mit Liebe leben

Walter Dürr glaubt, dass überzeugtes Christsein in der gesellschaftlich akzeptierten Vielfalt der Lebensstile «eigentlich einfacher geworden ist». Zur Evangelisation meint er, viele Schweizer liessen sich heute von Informationen oder Proklamationen nicht mehr bewegen. Sie informierten sich im Internet und wollten gelebtes Christsein sehen. «Es genügt nicht mehr, Bibelsprüche zu wiederholen.» Dürr gibt zu bedenken, dass das Wort Gottes in zeitgemässen Formaten zu den Menschen gebracht werden soll, dass sie aber gleichzeitig zu ihm hinzuführen sind.

Woher Erneuerung kommt

Der Bieler Theologe fordert zur ‚Stillen Zeit‘, zum regelmässigen individuellen Studieren der Bibel auf: «Mit unsern gesellschaftlichen Problemen kommen wir immer mehr an die Grenzen der menschlichen Weisheit. Darum müssen wir ganz neu auf das Wort Gottes hören lernen. Wir brauchen eine Renaissance des Wortes Gottes.» Ohne erneuerte christliche Gemeinden werde es keine Erneuerung der Schweiz geben. Dafür gilt es von Jesus zu lernen: «Wenn wir unsern Glauben als Weg zur Veränderung und zum Wachstum verstehen, dann wird Jüngerschaft nicht einfach Programm, sondern Lebensstil sein.»

Gemeinsam unterwegs

Christen sind gerufen, miteinander zu leben und nicht bloss ans eigene Glück zu denken. Das Jahu Biel übt dies seit den 1970er Jahren als Kommunität. Die Erfahrung lässt Walter Dürr träumen: «Würde die christliche Gemeinde den Versöhnungsauftrag, wie ihn auch Paulus im Epheserbrief lehrt, vermehrt leben, dann könnte die Gemeinde ein Stück Himmel auf Erden sein! Wenn Arme und Reiche, Frau und Mann, Schwarz und Weiss, Juden und Araber in Christus versöhnt leben würden, dann hätte dies nicht nur grosse spirituelle, sondern auch soziale Auswirkungen. Wird Versöhnung bewusst erarbeitet und in der Gemeinde gelebt, werden die Auswirkungen für alle sichtbar.»

Das ganze Gespräch mit Walter Dürr lesen Sie in der Zeitschrift idea Spektrum Schweiz.

Buch zum Thema:
Walter Dürr: Christen im Umbruch

Datum: 03.09.2012
Quelle: Livenet / ideaSpektrum Schweiz

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