«Das Potenzial der Kirchgemeinden steigern»
Grössere Gemeinden könnten eher auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Mitglieder eingehen, sagte Kirchenratspräsident Michel Müller im Gespräch mit der Evangelisch-kirchlichen Vereinigung Zürich EKVZ. «Wir wollen Vielfalt und Teamarbeit.» Das Vorhaben mit dem Namen KirchGemeindePlus (KGP) biete die Chance, Kirche noch einmal anders zu denken. Es ist laut Michel Müller notwendig, weil Kirchenmitglieder und Mittel weiter zurückgehen.
«Mehr Mittel, mehr Ansprechpersonen»
Zu viele Erwartungen an die Kirche blieben derzeit offen, sagte Müller der EKVZ, und auch grössere Gemeinden schöpften ihr Potenzial oft nicht aus. Doch «grössere Gemeinden haben mehr Mittel, mehr Ansprechpersonen für die verschiedenen Lebenssituationen, eher differenzierte Angebote für Generationen und Milieus.» Ob damit unter dem Strich mehr Kirche herauskommt? Dies stellt die EKVZ auf ihrer neuen Website evangelisch-zueri.ch mit Pro- und Kontra-Statements zur Diskussion.
Stadtkirche mit 90‘000 Reformierten?
Mit ungewohnter, beinahe unheimlicher Radikalität spielen derzeit die Stadtzürcher Reformierten durch, was Strukturreform bedeuten könnte. Der Vorschlag, aus den 33 Kirchgemeinden der Stadt eine einzige zu machen, wird von Pfarrschaft und Behörden mehrheitlich unterstützt. Die Zahl der Reformierten in der Stadt Zwingli ist unter 95‘000 gesunken; viele Gebäude werden zu wenig genutzt. Aktuell finden in den Stadtteilen neun Aussprachen statt; Anfang Juli entscheidet die Zentralkirchenpflege über das weitere Vorgehen.
«Es braucht richtig gute Gottesdienste»
Statt nur die kleineren Gemeinden zu fusionieren und 17 grössere Gemeinden zu schaffen, würde mit dem radikalen Vorschlag eine «Stadtkirche» entstehen. Dafür sind die rechtlichen Hürden freilich höher – und wie der Zusammenhalt sich entwickeln würde, bleibt offen. Positiv an beiden Reformvorschlägen ist für den Fraumünsterpfarrer Niklaus Peter, dass die Stadt als Ganzes in den Fokus kommt. Der Pfarrer mit der grössten reformierten Predigtgemeinde Zürichs hält zugleich fest, letztlich lebe «die Kirche aus dem Gottesdienst heraus». Für einen Aufbruch der Reformierten in der Zwinglistadt werde es vor allem «richtig gute Gottesdienste und Gemeindearbeit» brauchen.
Mehr als zwei Pfarrer
Kantonsweit peilt der Kirchenrat Gemeinden mit 5'000-7'000 Mitgliedern an. Dies bedeutet das Verschwinden des Einzelpfarramts. Bei 6'000 Mitgliedern hat eine Kirchgemeinde Anrecht auf eine dritte Pfarrstelle; dazu können ein bis zwei Leute in der Sozialdiakonie angestellt werden. Zudem ist damit laut Kirchenratspräsident Michel Müller eine einigermassen professionelle und kostengünstige Verwaltung eher möglich. Die Grösse soll der Vielfalt in der Kirchgemeinde zuträglich sein: «nicht dass zehn Gemeinden je ihr Profil haben, sondern dass grössere Gemeinden Gemeinschaft gestalten. Das wird uns auch vom Glauben nahegelegt: dass wir uns in der Vielfalt von Lebensformen und Ausdruckweisen zusammenfinden.»
Die Hauptsache klarer sehen und Grenzen überschreiten
Wenn der Kirchenrat mit KGP auf Strukturen fokussiert, wünscht Müller zugleich, dass der Kernauftrag der Kirche – Verkündigung des Evangeliums – neu bedacht wird. «Konzentrieren wir uns auf diesen Kernauftrag, können wir präziser fragen, inwiefern die Strukturen der Verkündigung in Wort und Tat dienen.» Die Grenzen der politischen Gemeinden hätten heute nicht mehr die Bedeutung von früher. «Nur noch für eine Minderheit bringt der Wohnsitz Wesentliches zum Ausdruck, stiftet er Identität.»
«Kirchgemeinde lebt nicht aus sich selbst»
Müller unterstrich im EKVZ-Interview, dass Kirche mehr ist als Kirchgemeinde: «Will die Kirchgemeinde ihre Zukunft schaffen, muss sie sich verbinden mit andern und letztlich mit der weltweiten Kirche vernetzen. Vor allem: Kirchgemeinde lebt nicht aus sich selbst, sondern von der Kirche, die aus der Tiefe der Geschichte wächst.» Der Zürcher Kirchenleiter hat nicht nur schwächelnde Kirchgemeinden, sondern auch kränkelnde Kantonalkirchen im Blick. «Das Zeugnis von Gemeinden und Kirchen ist dann fragwürdig, wenn wir einander nicht tragen – nicht dann, wenn einige schwächeln.»
Datum: 05.04.2013
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet / EKVZ