Ein Schweizer Tierarzt impft Kinder
Er ist ein zurückhaltender Mensch. Jakob Zinsstag, Tierarzt und Epidemiologe, schaut schüchtern, spricht schüchtern, tritt schüchtern auf. Er ist Privatdozent an der Universität Basel und Tierarzt am Schweizerischen Tropeninstitut in Basel, einen Katzensprung von der Uni entfernt. Ein wichtiger Mann also, der sich im Umgang mit Menschen versteht.
Seine Schüchternheit bremst ihn dabei keineswegs; im Gegenteil: Sie verhilft ihm zu Diplomatie und überlegten wissenschaftlichen Studien. Ihm gelingen grenzüberschreitende Projekte, wo andere Forscher gar nicht erst anfangen würden. Letztes Jahr wurde das Team von Zinssstag erneut ausgezeichnet. Es gewann den Lombard-Odier-Preis vom Center Suisse.
Einfach helfen wollen
Zinsstag lebte mit seiner Frau, einer Theologin, und seinen Kindern insgesamt acht Jahre lang in zwei verschiedenen Ländern Afrikas. Dort vermutet man die Wurzeln seiner Bescheidenheit. Auf die Frage, ob er stolz darauf sei, dass er in der «New York Times» zitiert wird, meint er lächelnd: „Ja, das ist erfreulich.“ Beim Nachhaken springt ihm auch mal ein „Stolz“ über die Lippen.
Diese Bescheidenheit schürt die Bewunderung für den Mann, der sein Leben der Forschung verschrieben hat. „Ich verbrachte eine wunderbare Kindheit im Wallis. Als siebtes Kind einer zehnköpfigen Familie hatten meine Eltern bei mir schon alle Erziehungsfehler hinter sich und liessen mir viel Freiraum. Das war ein Privileg; ich will den weniger Privilegierten etwas davon weitergeben.“
„Allah sorgt für die Kinder“
Jakob Zinsstag arbeitet im Tschad an mehreren Projekten. Seit 1998 gilt das Interesse dem Gesundheitszustand der Nomaden. Schnell begriffen die Forscher, dass die Tiere der Nomaden besser geimpft waren als die Kinder. Für die einen sorgte der Tierarzt, die Kinder aber „stehen unter dem Schutz von Allah“. So entschloss sich Zinsstag mit seinem Team, Tiere und Kinder zusammen zu impfen und damit die Zoonosen zu bekämpfen. Zoonosen sind Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden: Rindertuberkolose, Milzbrand und Tollwut.
Dass ein Tierarzt Kinder impft, ist in Europa undenkbar, in anderen Kontinenten aber hilfreich. „Eigentlich gibt es nur eine Medizin, wenn man Gesundheit gesamtgesellschaftlich betrachtet, etwas, das gerade bei Hirtengesellschaften vonnöten ist“, so Zinsstag. Mit ihm hat das „One-medicine“-Projekt im öffentlichen Gesundheitswesen und in der Epidemiologie neue Beachtung gefunden.
Sachte zum Erfolg
Heute sind die Forscher viel weiter vorgerückt, und es stellen sich neue Probleme. Die geimpften Nomadenkinder zum Beispiel sind teilweise nicht nicht mehr auffindbar, da sie umherreisen. Mit elektronischen Geräten aber könnte man den Fingerabdruck erfassen und so auch Populationsschätzungen machen.
Voraussetzung dafür ist ein einwandfreies Verhältnis zur örtlichen Regierung und der ansässigen Bevölkerung. Hier setzt Zinsstag mit viel Fingerspitzengefühl an und arbeitet sich zu den wichtigsten Köpfen vor – bislang stets mit Erfolg. „Wichtig ist, dass wir von Anfang an klarstellen, was wir tun und wohin die unsere Gelder fliessen.“ Bedeutend sei auch, dass die Behörden sich mit der Sache identifizieren können und man ihnen Folge leiste. Die ergänzende Ausbildung von technischem wie akademischem Fachpersonal stelle die Arbeit auf ein solides Fundament, erzählt der Forscher.
Diplomatie auch zu Hause
Jakob Zinsstag reist 80 Tage im Jahr um die halbe Welt. „Es war ein Grundsatzentscheid, und meine Frau und die vier Kinder haben sich darauf eingestellt. Auf der anderen Seite schaue ich, dass ich immer zu Hause zu Mittag esse und am Haushalt aktiv teilnehme, wenn ich zuhause in der Schweiz arbeite. Trotzdem ist es ein heikles Gleichgewicht.“
Der Glaube trägt ihn dabei, hilft ihm, die verschiedenen Aspekte immer wieder auszubalancieren. „Ich habe einen Optimismus, der nicht totzukriegen ist“, bekennt Zinsstag. Er wisse, dass er das nicht alleine machen könne. „Was ich hier tue, geht nur aus dem Glauben heraus. Das will ich nicht naiv verstanden wissen. Es geht oft um schwierige Entscheide.“
Das Kreuz befreit zum Dienst
Zinsstag bringt seine Motivation mit folgenden Worten auf den Punkt: „Was Jesus mit seinem Tod am Kreuz für uns getan hat, ist so gross, dass wir Menschen uns nicht mehr mit dem Heil beschäftigen müssen. Das hat Gott für uns erledigt. Wir selber können wirklich für diese Welt arbeiten.“
Durch den Glauben gewinnt Zinsstag einen gesunden Abstand. Er muss nicht an seine Forscherkarriere denken, sondern kann sich wirklich für die Sache einsetzen. Der Erfolg ist ihm gewiss. Gute Quellen zu Forschungsgeldern und mehrere Auszeichnungen sichern ihm und seinem Team den Weg dahin.
Als er nach unserem Gespräch aufsteht, ist er immer noch schüchtern und schüttelt mir herzlich die Hand. Jedem Menschen scheint er seine persönliche Hochachtung zu schenken. Dieser Mann geht schwierige und eigenwillige Wege. Mit seiner Menschenliebe wird er aber jederzeit bei ihnen ankommen.
Datum: 10.05.2006
Autor: Iris Muhl
Quelle: Livenet.ch