Sie gilt als das Buch der Bücher, doch spielt die Bibel im Alltag der Menschen überhaupt noch eine Rolle? Für diese Untersuchung konfrontierten die Wissenschaftler kirchliche und nicht kirchliche Menschen mit den gleichen Bibelstellen. Die untersuchten Gruppen reichten von einem sozialistischen Jugendclub über Gewerkschafter bis zum Bibelkreis. Wichtigste Erkenntnis der Wissenschaftler: Die Bibel hat eine sehr unterschiedliche Bedeutung, aber als ein Element des kulturellen Gedächtnisses komme niemand an ihr vorbei. Selbst jene, die niemals ohne die Befragung die Bibel gelesen hätten, konnten den beiden vorgelegten Texten – einem Ausschnitt aus der Bergpredigt und einem Wundertext – noch Bedeutung abgewinnen. Die allerdings variierte stark. Gewerkschafter betrachteten Bibeltexte den Angaben zufolge oftmals über einen historisch-kritischen Zugang. So interpretierten sie die Aussage, man solle auch die andere Wange hinhalten, als im Kern zwar unverzichtbar und wichtig, aber auch als Instrument des Machtmissbrauchs und als Appell, dass die Unterdrückten stillhalten sollen. Kirchlich gebundene Leser versuchten den Text im Gesamtzusammenhang der Bibel zu verstehen. Beim Lesen würden ganze Textteile ausgeblendet, andere neu miteinander kombiniert oder eigene, neue Texte eingespielt. Das Ergebnis der Interpretation sei bereits beim Lesen vorgegeben, so die Forscher. Schon bei der Textwahrnehmung würden die Weichen gestellt. Im Kopf der Leser entstehe ein virtueller Text, der sich vom vorliegenden Bibeltext erheblich unterscheiden könne. Für Professor Martin Ebner war der Unterschied zwischen der wissenschaftliche Exegese und der Auslegung im Alltag von Bedeutung. "Wir haben uns gefragt, wie gehen Menschen mit einem Text um? Wie erschliessen sie ihn sich?", erläutert Ebner. Dabei zeigte sich, dass die Laien zumindest im Ansatz wissenschaftliche Ansätze nutzten. Sie fragten nach der Entstehungsgeschichte, gliederten den Text und versuchten ihn in den Gesamtkontext der Bibel einzuordnen. Dass die Menschen dankbar sind, wenn man ihnen die Mittel und Informationen gibt, sich unabhängig von der institutionellen Auslegung mit der Bibel zu beschäftigen, hat Ebner immer wieder festgestellt. "Es besteht ein grosses Interesse daran, sich von der Kirche unabhängig zu machen und die Bibel ohne Vorgaben in den eigenen Alltag zu integrieren", berichtet er. Quelle: epd/Universität MünsterUnterschiedliche Bedeutung
Interpretation vorgegeben
Bedürfnis, die Bibel unabhängig zu studieren
Datum: 16.05.2007