«Der Geist gibt die Lieder»

Chinesische Christin ist Autorin von 2000 Worship-Songs

Lü Xiaomin
Lü Xiaomin hat nie eine formale Musikausbildung erhalten. Aber ihre Lobpreislieder haben sie unter den Millionen Christen in Chinas Kirchen zu einer bekannten Persönlichkeit gemacht.

Jeden Tag um 5 Uhr morgens kniet Lü Xiaomin in einem schwach beleuchteten Zimmer in ihrer Wohnung im Norden Chinas auf dem Boden. Sie singt laut ein Lied, liest eine Passage aus der Heiligen Schrift und betet zu Gott. Manchmal trifft sie sich online oder persönlich mit anderen Gläubigen, um gemeinsam Gottes Wort zu lesen. Nach dem Frühstück und einem kurzen Spaziergang ist ihr Tagesplan mit Gemeindearbeit ausgefüllt, mit Gesprächen oder mit der Vorbereitung eines Bibelstudiums.

Lüs Lebensstil verkörpert den charakteristischen Lobpreis-Song, den sie Anfang der 1990er Jahre komponierte: «Five O’clock in the Morning in China» (Fünf Uhr morgens in China). In einer beschwingten Melodie verkündet der Song:

«Um fünf Uhr morgens in China
hört man Menschen beten.
Gebete bringen Erweckung und Frieden.
Sie bringen Einheit und Sieg…
Sie erheben sich über Seen und Berge,
Sie lassen die kältesten Herzen schmelzen.»

Lü hat über 2000 Lieder geschrieben, von denen viele Hits unter Chinas Christen sind. Diese Leistung mag überraschend erscheinen, da sie nie eine formale Musikausbildung genossen hat und das Schreiben chinesischer Schriftzeichen beim Schafehüten aus einem Wörterbuch lernte. Aber ihre Lieder haben sie unter chinesischen Christen weltweit zu einer bekannten Persönlichkeit gemacht – «Schwester Xiaomin». «Ich verstehe nicht wirklich viel von Musiktheorie, aber ich weiss, dass der Heilige Geist mir die Lieder schenkt, und ich schreibe sie einfach auf, wenn ich sie empfange», sagt Lü. «Ich bin eine einfache Frau, eine bodenständige Frau, die vom Heiligen Geist erfüllt ist.»

«Ich kannte den Schöpfer nicht»

Lü wurde 1970 in einer nichtchristlichen Familie der Hui-Minderheit in Fangcheng, einem Landkreis im Norden Chinas, geboren. Ihre Eltern wollten sie im Alter von zehn Tagen an eine andere Familie weggeben, aber am Tag, an dem dies geschehen sollte, kam es zu einer grossen Überschwemmung. «Das war Gottes Segen für unsere Familie», sagte ihre Mutter später.

In der Mittelstufe litt Lü an einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung und fühlte sich ständig schwindelig und übel. Sie beschloss, die Schule abzubrechen und begann, als Bäuerin zu arbeiten. Weil sie mit ihrer schlechten Gesundheit zu kämpfen hatte, ermutigte ihre Tante sie, in eine Kirche zu gehen, und sagte ihr, dass Gott sie heilen würde.

«Oft sass ich da und schaute in den Himmel, auf die Vögel, die Blumen, die Bäume, das Gras und die Felder», sagte Lü. «In meinem Herzen wusste ich, dass all dies das Werk eines Schöpfers war, aber ich wusste nicht, wer er war und wie er hiess».“

Nach dem Gespräch mit ihrer Tante erkannte Lü, dass Gott der Schöpfer war, nach dem sie gesucht hatte. Sie eilte zu ihrer Tante nach Hause, unterbrach ihr Abendessen und bat sie, sie sofort in die Kirche mitzunehmen. Noch in derselben Nacht nahm die damals 19-Jährige Christus an. Und sie wurde gesund.

Mitten in der Nacht

Im folgenden Jahr schloss sich Lü der Fangcheng Fellowship an – einem der grössten Hauskirchen-Netzwerke in China – und wurde Laienevangelistin. Eines Nachts, nachdem sie während einer Erweckungsversammlung einer ländlichen Hauskirche dem Heiligen Geist begegnet war, fühlte sie sich unruhig und konnte nicht schlafen. Plötzlich stieg mitten in der Nacht die Melodie und der Text eines Liedes in ihr auf, und sie brach in spontane Anbetung aus.

Diese Melodie wurde zu ihrem ersten selbst komponierten Kirchenlied: «Bring Your Joy» (Bring deine Freude), das die Gläubigen dazu ermahnt, ihre Lasten abzulegen und gemeinsam das Evangelium zu leben. Dieses Lied war auch der Auslöser für eine Bewegung namens Canaan Hymns: eine Sammlung von mehr als 2'200 Liedern mit eingängigen, umgangssprachlichen Texten, unterlegt mit emotional bewegenden Melodien im Stil chinesischer Volkslieder.

Zeit des Aufbruchs

Lüs erste Lieder fielen in die Zeit der Wiederbelebung des Christentums in China zwischen 1989 und 1998. In dieser «goldenen Zeit» breitete sich der Glaube von den ländlichen Gebieten aus, da die Gläubigen trotz aller Leiden mit grosser Hingabe an der Verbreitung der Guten Nachricht arbeiteten.

Hunderte von Gläubigen aus dem ganzen Land besuchten Lü für Erweckungsversammlungen und zum Gebet, Diese Treffen waren oft sehr lebhaft und von der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt, erinnert sich Lü. Die Besucher nahmen Kassetten mit Aufnahmen von Lüs Liedern mit nach Hause, um sie mit ihren Gemeinden zu teilen. Wanderprediger brachten ihre Lieder auch in andere Teile Chinas, wie Yunnan und Xinjiang. Viele dieser Prediger hatten wenig oder gar keine finanzielle Unterstützung. Wenn sie sich trafen, sangen sie oft das Lied «Herr, halte unsere Hände» mit Tränen in den Augen, während sie Gott laut um Kraft und Ausdauer baten. Lü selbst verbrachte 1992 und 1998 längere Zeiten wegen ihres Glaubens im Gefängnis, wo sie weiter Dutzende von Liedern schrieb.

Mit der Zeit gehen

In den frühen 2000er Jahren entwickelten sich Lüs Lieder von Texten, die um göttliche Intervention und Gnade flehten, zu Texten, die Gottes bedingungslose Liebe bekundeten, während die Kirche reifer wurde. Das Lied «Es gibt wirklich einen Gott, der dich liebt» bekräftigt beispielsweise, dass Gott uns jeden Tag Atem schenkt und uns vergibt. Im Jahr 2002 schuf der chinesisch-kanadische Komponist An-lun Huang formale Partituren für diese Songs und verhalf ihnen so zu grösserer Bekanntheit in Kirchen in ganz China und der chinesischen Diaspora.

Ab etwa 2009 entwickelten sich die chinesischen Kirchen von ländlichen Haus- zu mehr städtischen Grossgemeinden. Das gab Spannungen, und Lü setzte alles daran, Lieder zu schreiben, die die Einheit und die gemeinsame Mission der Christen fördern sollte. Es waren Zeiten von Spannungen, auch Angriffen in ihrem Leben; sie erkannte irgendwann, dass ihre rastlose Aktivität und eiserne Disziplin auf ihren Ehemann viel Druck ausgeübt hatte, was sie zu einer deutlichen Veränderung in Richtung Dankbarkeit und Demut bewegte.

Für eine neue Generation

Ihre Lieder finden auch Kritiker – den einen sind sie zu china-lastig, den anderen zu altmodisch und einfach. Sie weigert sich aber, ihre Songs zu sehr zu «polieren» –sie will ihre Ursprünglichkeit nicht verlieren. Junge Christen bringen Lüs Lieder in modernerer Form heraus, gerade weil sie sie immer noch ansprechen: «Wir lieben Canaan Hymns, weil sie unsere Seelen tief berühren, unabhängig vom Alter», sagte Yao, eines der Bandmitglieder. «Wir machen daraus Musikvideos und möchten, dass [ihre Songs] so die junge Generation des digitalen Zeitalters erreichen, da viele von ihnen in Isolation und Depressionen versunken sind.»

In den letzten Jahren haben Lüs Lieder einen mehr prophetischen Ton erhalten, sie ermahnen, in chaotischen Zeiten wachsam zu bleiben.

Mehr als drei Jahrzehnte, nachdem sie ihren ersten Song geschrieben hat, steht Lü weiterhin jeden Tag um 5 Uhr morgens auf, um zu beten, die Bibel zu lesen und Lieder für die chinesische Kirche zu schreiben – ein neues Lied alle zwei oder drei Tage. Ihr grösster Wunsch ist es, dass Menschen Jesus näher kennenlernen. «Ich muss weiter lernen – die Heilige Schrift, Anbetung, Dienst –, nicht um irgendjemandem zu gefallen, sondern um der Eingebung des Heiligen Geistes zu folgen», sagte sie.

Hier ein Beispiel eines Liedes von Lü Xiaomin:

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Datum: 21.12.2025
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Christian Today / Livenet

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