Rechte für Juden in der Schweiz

«Die Kippa nicht unter einer Mütze tarnen!»

Seit 1866 dürfen sich Juden in der Schweiz frei niederlassen. Am 14. Januar des gleichen Jahres gewährte ihnen eine Teilrevision der Bundesverfassung die volle Ausübung der Bürgerrechte. Am Sonntag, 17. Januar eröffnete der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) die Feierlichkeiten zu 150 Jahren Gleichberechtigung mit einem Kulturfest in Bern, an dem auch Bundespräsident Johann Schneider-Ammann auftrat.
Juden mit Kippa
1349 kam es in Zürich zu einem Pogrom, die Juden wurden gefoltert, umgebracht, vertrieben
Seit 1866 dürfen sich Juden in der Schweiz frei niederlassen und ihre Bürgerrechte ausüben

Die drei Schweizer Landeskirchen wurden gemäss SIG durch den St. Galler Bischof Markus Büchel, den Ratspräsidenten des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), Gottfried Locher, und den christkatholischen Bischof Harald Rein vertreten. Zu den Landeskirchen pflegt die jüdische Gemeinschaft gute Kontakte. Sie gehört dem Schweizer Rat der Religionen an. Der in den verschiedenen Gremien gepflegte interreligiöse Dialog sei sehr wichtig und funktioniere ausgezeichnet, erklärte Rabbiner David Bollag gegenüber der Agentur kath.ch. Die Gespräche würden helfen, das Verständnis zwischen dem Judentum und den anderen Religionen zu verbessern.

Wanderausstellung und Kulturfest

Am kommenden Berner Festtag werden die geladenen Gäste vor Beginn des öffentlichen Kulturfestes im Kornhausforum Bern an einer Vorbesichtigung der Wanderausstellung «15 Schweizer Juden stellen sich vor» teilnehmen. Diese Ausstellung wird bis Anfang 2017 in verschiedenen Schweizer Städten gezeigt. Die porträtierten Personen geben die Pluralität der jüdischen Bevölkerung in der Schweiz wieder, teilt der SIG mit. Am Kulturfest selber ist auch künstlerische Prominenz angesagt. Neben der Opernsängerin und Jurymitglied der Schweizer Castingshow MusicStar, Noëmi Nadelmann, werden unter anderen der Jazzer Omri Ziegele, der World-Musiker Omri Hason und die SlamPoetin Lea Gottheil auftreten.

Viele Tiefs in der Geschichte

Die Präsenz der Juden in der Schweiz ist durch eine wechselvolle Geschichte geprägt. SIG-Präsident Herbert Winter führte in einer Ansprache an einer Tagung zur Situation der jüdischen Minderheit in der Schweiz, die am 1. Dezember in Bern stattfand, aus, dass die Juden bereits zur Zeit der Römer hierzulande lebten. Archäologische Funde im aargauischen Augst und in Martigny im Wallis zeugten von jüdischer Präsenz auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Im Jahre 1213 ist die Anwesenheit von Juden in Basel bezeugt. Sie liessen sich auch in weiteren Ortschaften auf dem heutigen Gebiet der Schweiz nieder. Sie wurden aber immer wieder massiv verfolgt und schliesslich weitgehend verjagt. Eine Ausnahme bildeten die beiden aargauischen Dörfer Endingen und Lengnau, wo Juden seit dem 17. Jahrhundert Wohnsitz nehmen konnten. Ein kulturhistorisch bedeutender Judenfriedhof zeugt von dieser Präsenz der Juden in der Schweiz.

Zufriedene Bürger ...

Seit 1866 dürfen sich Juden in der Schweiz frei niederlassen und ihre Bürgerrechte ausüben. Die Schweizer Juden sind aber auch heute nicht vor rassistischen Vorfällen gefeit. Der SIG betreibt eine Anlaufstelle für antisemitische Vorfälle. In seinem Berner Vortrag meinte SIG-Präsident Winter zwar, dass die 18'000 Schweizer Juden zufriedene Bürgers des Landes seien, auch wenn die «Säkularisierung» die jüdische Gemeinschaft wie andere Religionsgemeinschaften auch treffe. Die Bedeutung der Religion nimmt nach Winter für viele Juden ab, ebenso wie die Bereitschaft, sich in einer jüdischen Gemeinschaft zu engagieren «und Gemeindesteuern zu zahlen». Die aktuelle Diskussion über ein Kopftuchverbot tangiere ebenfalls die Kopfbedeckung der Juden, die Kippa. Auch die Diskussion über Knabenbeschneidung sei ein «Symptom einer zunehmenden Skepsis gegenüber Religion».

... und doch Ängste

Zehn bis zwanzig Prozent der Schweizer Bevölkerung hätten «ein Problem mit Juden», sagte Winter weiter und verwies dabei auf entsprechende Studien. Ein latentes «Antisemitismuspotential» dringe «in Wellen an die Oberfläche». Unter Juden sei Angst vorhanden, Synagogen und Gemeindehäuser würden besonders geschützt. Der SIG verweist auf seiner Facebook-Seite auf einen Vorfall, der sich erst kürzlich in Zürich abspielte. Nachdem in der Nähe einer jüdischen Schule verdächtige Personen ausgemacht worden seien, habe die Polizei das Gelände gesichert.
Juden sollen in der Schweiz frei und unbeschwert ihren Lebensstil verwirklichen können. «Wir wollen uns nicht verstecken. Wir wollen die Kippa nicht unter einer Mütze tarnen», sagte denn auch Winter.

Integration: «Juden zum Vorbild nehmen»

An der Berner Tagung erhielt er Unterstützung von Bundesrat Schneider-Ammann. Dieser erklärte, die Schweizer Regierung tue alles, um auch die Minderheit der Bürger jüdischen Glaubens zu schützen. «Die Schweiz wäre ohne ihre jüdischen Mitbürger nicht das, was sie heute ist: ein starkes, kulturell vielfältiges, wirtschaftlich erfolgreiches und gesellschaftlich tolerantes Land» hielt Schneider-Amman fest und ermutigte aktuelle Einwanderer, die Juden als Vorbild zu nehmen: sie hätten einen «Willen zur Integration» und lebten die Werte der Schweiz, ohne dabei die eigene religiöse und kulturelle Eigenart aufzugeben: «Wenn die neuen Einwanderer dem Beispiel der Juden folgen, dann kann Einwanderung auch zum Gewinn werden», so der Bundesrat.

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Datum: 19.01.2016
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / idea / kath.ch

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