Wenn alles anders kommt

Den Kinderwunsch loslassen – (wie) ist das möglich?

Trauriges Ehepaar auf dem Sofa
Der unerfüllte Kinderwunsch ist für viele Paare ein enorm grosser Schmerz, der nicht leicht zu verarbeiten ist. Dr. med. Ute Buth gibt hilfreiche Anregungen zum Loslassen, wenn sich der Kinderwunsch womöglich nicht erfüllen wird.

Was macht den Abschied vom Kinderwunsch so schmerzhaft?
Ute Buth:
 Es geht dabei meist um den eigenen Lebensentwurf und um so viele damit verbundene Wünsche und Lebensträume. Betroffene haben oft ausserordentlich viel investiert, sehr viel Kraft, Hoffnungen und Anstrengungen, teils auch sehr viele Ersparnisse. Sie sind so manche Extrameilen gegangen und mussten sich in Tiefen überwinden, doch weiterzugehen. Und wenn nach langer Zeit das zutiefst ersehnte Kind immer noch nicht da ist und da nur der Schmerz steht und all das, was man eingesetzt hat, dann ist es mehr als verständlich, dass die Frage des Loslassens so extrem herausfordernd ist.

Vor welchen konkreten Herausforderungen stehen Paare in diesem Prozess?
Frauen, die noch ihre Tage haben, befinden sich in einer Art «Zwischenzeit» – auch wenn die Chancen schlecht stehen, könnten sie ja noch fruchtbar sein. Das macht es schwierig, innerlich Abschied vom Kinderwunsch zu nehmen.

In einer Partnerschaft sind beide Individuen, mit eigenen Gedanken, Bedürfnissen und Empfindungen – natürlich auch zum Thema Kinderwunsch. Daher ist es wahrscheinlich und ganz normal, dass auch ein eventueller Abschied unterschiedlich angegangen wird und anderen Zeitgesetzen folgt. Erleben beide Partner es als stimmig, fast zeitgleich Abschied nehmen zu können, ist dies als besondere Gnade zu verstehen, und keinesfalls als Selbstverständlichkeit!

Wichtig ist auch, sich auf einen Prozess von Innehalten, Aussprechen und Anerkennen einzustellen, der seine ihm eigene Zeit haben darf. Manchmal kann es auch sehr entlastend sein, punktuell oder für eine Wegstrecke Hilfestellung in einer Beratung anzunehmen.

Ute Buth

Was kann Paaren beim Abschied nehmen helfen?
Wichtig ist erst mal, sich selbst die Erlaubnis zu geben, die eigenen Gefühle nicht verstellen zu müssen. Zwar kann ich den Wunsch selbst nicht wegwünschen, aber ich könnte vielleicht prüfen, ob ich noch aktive Schritte gehen will. Und selbst wenn ich mich irgendwann dazu durchgerungen habe, diese loszulassen, darf ich das weiterhin traurig, schmerzhaft, ungerecht, ärgerlich, … finden.

Loslassen im eigenen Tempo bedeutet nur das loszulassen, was gerade auch möglich ist. Manch einem hilft als Erstes ein Loslassen von besonders belastenden Gegenständen, wie beispielsweise des geschenkten Babybetts, das nun schon seit Jahren mahnend auf dem Dachboden steht …

Es kann helfen zu überlegen, ob es Lügen im eigenen Leben gibt, wie z. B. die, dass man ohne Kinder nicht glücklich werden kann – und diese konsequent zu verabschieden bzw. gegen die Wahrheit auszutauschen.

Man darf trauern um die Kinder, die man nie geboren hat, die man nicht ins Leben rufen konnte. Mitunter braucht diese Trauer einen bewusst dafür geschaffenen Freiraum im Leben. Und gleichzeitig ist es die Herausforderung, sein tatsächliches Leben nicht von dem Schmerz und der Trauer abwerten oder kleinreden zu lassen.

Auch wenn diese Entwicklung nie der Plan war und ungefragt mein Leben bestimmt hat, kann es aus Gründen der Selbstfürsorge ratsam und hilfreich sein, damit irgendwann einen Friedensvertrag zu schliessen.

Und irgendwann ist man dann vielleicht auch bereit, ganz allmählich einem neuen Kapitel im Leben Raum zu geben und über alternative Lebenskonzepte nachzudenken: Was ist jetzt dran, für mich, für uns. Und welchen, wie auch immer gearteten «Plan B» gibt es für unser Leben?

Kann man durch das bewusste Loslassen wieder Frieden mit sich selbst und mit Gott finden?
Schritte des Loslassens können Betroffenen helfen, Stress und Anspannung zu reduzieren. Sie sind zugleich kein Garant, dass man dann doch das ersehnte Kind erhält oder nun endlich schon fast automatisch mit der Situation oder mit Gott versöhnt ist. Das Umgehen mit dem unerfüllten Kinderwunsch und ein eventuelles Loslassen sind ein sehr persönlicher Prozess, den einem buchstäblich niemand «vorschreiben» kann, auch nicht in einem Artikel. Stattdessen gilt es, seinen eigenen hilfreichen Weg zu suchen und aktiv zu gestalten: Was von all den genannten Punkten spricht mich an? Wo resoniert mein Herz? Was liegt oben auf? Und sich dann auf diesen Weg einzulassen – vielleicht unterwegs auch mit einem Lotsen, zum Beispiel in der Beratung, der schwierige Wegstrecken begleiten kann –, bis man getrost wieder allein oder als Paar unterwegs sein kann. Dazu mache ich von Herzen Mut.

Dr. med. Ute Buth ist Frauenärztin, Sexual­beraterin nach DGfS und Fachberaterin beim Weissen Kreuz Deutschland e. V. Die Autorin u. a. von «Ich warte noch auf dich» (Hänssler) leitet die Beratungsstelle herzenskunst in Bochum. Ähnliche Impulse gibt es im Magazin JOYCE. Infos zum günstigen Jahresabogutschein des Magazins findest du hier.

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Datum: 06.10.2025
Quelle: Magazin Joyce 03/2025, SCM Bundes-Verlag

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