Gelebter Glaube

Die Frau war erschüttert. Die Diagnose Krebs hatte ihr den Boden unter den Füssen weggezogen. Auch wenn im Anfangsstadium ihre Chancen auf Heilung gut standen, war für sie nichts mehr wie vorher.

Erstmals war auch ihr Glaube in Frage gestellt. Nie hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren könnte. Ausgerechnet ihr, die kaum einen Gottesdienst ihrer Gemeinde versäumte! Sie hatte bisher die zeitweilige Arbeitslosigkeit ihres Mannes insgeheim seinem mangelnden Glauben zugeschrieben, da er sie nie zu ihren Gottesdiensten begleitete. Jetzt, durch ihre Situation, wurde ihr beschämend bewusst, wie sehr sie ihm damit Unrecht getan hatte.

Monate später berichtete die Frau strahlend, wie ihr Mann in dieser schwierigen Zeit zu ihr gestanden sei, sie in allem unterstützt, mit ihr gebetet und sie sogar in Gottesdienste begleitet habe. Sie hatte erfahren, dass sein Glaube stärker war als der ihre. Sein Glaube hatte ihnen – trotz der immer wiederkehrenden Zweifel und Ängste - jeden Tag neu Kraft und Mut gegeben. Sie hatte sich getragen gefühlt von seiner unerschütterlichen Gewissheit, in Gottes Hand geborgen zu sein, was immer geschieht. Auch wenn ihre Krankheit noch nicht geheilt war – ihr Glaube hatte sich geändert. Sie wusste nun, dass das Entscheidende nicht das Festhalten an irgendwelchen Inhalten und Formen ist, sondern der gelebte Glaube.

Denn Glaube ist eine Haltung, eine Lebenshaltung. Weil Gott zu uns hält in jeder Lebenslage, weil er in seiner Liebe immer an uns festhält, wächst in uns die Haltung des Glaubens, die Gewissheit, von Gott gehalten und getragen zu sein. Im Glauben sind wir darum auch befähigt, zu Gott zu halten, zu uns selbst und zu unsern Mitmenschen.

Glaube ist darum immer konkret, ist lebendiger Vollzug. Beim Glauben ist es wie mit einem Brunnen. Wird er immer wieder gebraucht, fliesst das Wasser reichlich und kraftvoll. Wird er nicht gebraucht, verschmutzt er zunehmend und verstopft schliesslich. Unser Glaube gewinnt seine Stärke und Kraft, wenn wir ihn leben, wenn wir aus ihm heraus unsern Alltag gestalten, wenn wir uns auch in unserm täglichen Sorgen, Mühen und Freuen immer wieder neu als von Gott Gehaltene wissen.

„Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern. Wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ (Joh 6,35)

Datum: 19.07.2005
Autor: Roman Angst
Quelle: Bahnhofkirche Zürich

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