Die Fackel des Hindu-Fanatismus in Südindien

Die hindu-nationalistische Bewegung „Hindutva“, betont die Einheit von Land, Volk und hinduistischer Religion bzw. Kultur. Ausgehend von radikalen und gewaltbereiten Kräften hat es in den letzten Jahren Anschläge auf Christen und Kämpfe mit Muslimen gegeben.
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Tamil Nadu

Kein Land der Welt weist eine so grosse Vielfalt von Völkern, Kulturen und Religionen auf wie Indien. Und keine traditionelle Religion umfasst so gegensätzliche Lebensformen und Lehren wie der Hinduismus. In Südindien, unter den drawidischen Völkern, stehen andere Hindu-Praktiken im Vordergrund als in der weiten Ebene des Ganges, im nordindischen Kernland des Hinduismus, der wegen der strikten Verehrung der heiligen Tiere auch als ‚Cow Belt‘, als Kuhgürtel bezeichnet wird. Nun breitet sich eine unduldsame Spielart des Hinduismus von Norden nach Süden aus, mit unabsehbaren Folgen für das Gefüge des Riesenlandes.

Seit Jahren geben in Nordindien fanatische Hindus den Ton an. Sie wollen das demokratische, säkulare Indien (der Staat steht gemäss Verfassung allen Religionen grundsätzlich neutral gegenüber) in einen Hindu-Staat mit zurückgesetzten Minderheiten ummodeln. Sie sind Kreuzrittern gleich aufgebrochen, um Indien von islamischen Einflüssen zu reinigen. Sie verlangen ein generelles Verbot des Religionswechsels, schüchtern bekennende Christen massiv ein und fordern die ausländischen Missionare zum Verlassen des Landes auf.

Indische Massen-Organisationen mit Nazi-Vorbild

Die Hindus sind in Massenorganisationen zusammengeschlossen, die zu den grössten der Welt gehören; gesamthaft werden sie als ‚Sangh Parivar‘ (Korps-Familie) bezeichnet. Ihre Führer bedienen sich in Europa altbekannter, faschistischer Methoden: Einschüchterung von Andersdenkenden und Minderheiten über die Medien, emotional aufpeitschende, religiös aufgeladene Grossveranstaltungen, regelmässiger Drill von Jugendlichen, die auch als Schlägertrupps auf die Strasse gehen, massenhafte Verbreitung von Hetzschriften gegen Minderheiten.

Die Hindu-Führer fordern Politik und Justiz immer hemmungsloser heraus. In den letzten Monaten macht nicht so sehr die Mutter der Sangh-Familie, die 1925 gegründete Kaderorganisation ‚Reichs-Freiwilligen-Korps‘ (RSS) Schlagzeilen, sondern ihre usprünglich auf Kulturbelange ausgerichtete Tochter, der Welt-Hindu-Rat (VHP). Die VHP-Spitzenleute verhalfen im Dezember dem Hindu-Politiker Narendra Modi in den Parlamentswahlen des religiös zerrissenen Gliedstaats Gujarat an der pakistanischen Grenze zu einem unerwarteten Triumph. Dabei wurden religiöse Minderheiten, vor allem die Muslime, ständig ausgegrenzt und geschmäht.

Wachsender Einfluss der Scharfmacher

Dass dieses Rezept Modis Hindu-Partei BJP in Gujarat zum Sieg verhalf, bringt gemässigte BJP-Politiker und Strategen ins Schwitzen. Die Hindu-Partei hatte vor Gujarat mehrere schwere Wahlniederlagen erlitten. Die Unionsregierung in Delhi, eine von der BJP dominierte Koalition mit Ministerpräsident Vajpayee an der Spitze, muss sich im nächsten Jahr den Wählern stellen. Sind Intoleranz, Drohungen und forcierte Hinduisierung das Rezept, um die Macht auf Unionsebene zu erhalten?

Die fanatischen Hindus haben ihre Agitation bisher vor allem in den nördlichen Gliedstaaten betrieben und die Atmosphäre in ihren Zentren, namentlich den Millionenstädten der Gangesebene, stark verändert. Zum Beispiel wurden verliebte Paare bedroht, die den Valentinstag (‚ein unindischer Brauch, Import aus dem Westen‘) begingen, und Mädchen in Jeans machte man klar, dass sie einen Sari zu tragen hätten.

Eine Kulturkampfstimmung wurde angeheizt, um Hindus Stolz auf ihre uralte Kultur zu vermitteln und sie auf die Hindutva-Werte des VHP und des RSS zu verpflichten. Sie lassen sich im Slogan „Eine Nation, eine Kultur, eine Religion“ zusammenfassen – eine Losung, die der multikulturellen Realität Indiens völlig widerspricht, ja sie verhöhnt und mit der geltenden Verfassung nicht zu vereinbaren ist.

Agitatoren fahren in Südindien ein

Die Agitation wird von den VHP-Führern neuerdings in die südlichen Gliedstaaten getragen, wo bisher Hindus, Muslime und Christen toleranter nebeneinander lebten. In einem Artikel im Wochenmagazin ‚Outlook‘ werden Massenveranstaltungen aufgezählt. In einer Hindu-Jugend-Konferenz in der Stadt Tiruchi folgten 40'000 Personen während 12 Stunden den Hindu-Rednern. An ihrer Spitze der aus Gujarat stammende VHP-Generalsekretär Praveen Togadia.

Ein Einreiseverbot, das die Behörden des Gliedstaats Karnataka verhängt hatten, weil Togadia die Religionsgemeinschaften gegeneinander aufbringen würde, wurde weggebogen – so kamen am 13. Februar 80'000 Personen nach Mangalore zum 'Hindu Samajotsava'-Festival, an dem neben dem VHP-Chef auch 16 bekannte Hindu-Seher aus verschiedenen Strömungen auftraten.

Im Gliedstaat Tamil Nadu dagegen hat die Regierung die Hindu-Propaganda des VHP ihrerseits gefördert - mit dem gesetzlicher Verbot ‚erzwungener Bekehrungen‘ im letzten Oktober. Dadurch ermutigt, fordert der VHP nun auch ein Gesetz, das die Schlachtung von Kühen verbietet. (Darüber wird in Nordindien seit langem heftig gestritten.) Und der VHP verlangt, dass der Staat die Hindu-Tempel ganz den Hindus überlässt. Die 36'000 Tempel in Tamil Nadu und den anderen südlichen Gliedstaaten werden bisher (im Unterschied zum Norden) staatlich verwaltet.

Arbeitslose Jugendliche zu Tempelwärtern abgerichtet

In zahlreichen Dörfern halten VHP-Aktivisten die Jugendlichen an, die Tempel zu warten und die Rituale streng nach brahmanischen Vorschriften durchzuführen. Wie der leitende VHP-Jugendfunktionär in Tamil Nadu R.R. Gopal sagte, sind die Jugendlichen „arbeitslos und ohne Ziel. Wir sagen den Burschen im Dorf, dass sie mit den Tempeln beginnen sollen. Die Sickergrube muss entschlammt werden. Jeder Tempel muss einen Garten erhalten. Und regelmässig ist das Puja (Opfer-Ritual) durchzuführen.“

Um diese Pflichten den Leuten einzuprägen, habe der VHP 5'000 vollzeitlich beschäftigte Kaderleute in den Dörfern, sagte Gopal. Der Welt-Hindu-Rat baute seit 1995 auch eine Organisation von 20'000 Dorfpriestern auf. Und er führt zahlreiche Camps mit Puja-Unterricht durch, wie das Outlook-Magazin schreibt.

Dabei zielen die Hindus mit der Lehre aus dem Norden auf eine Vereinheitlichung der Rituale im Süden ab. Es gebe 12 verschiedene Typen von Dorfgottheiten und eine grosse Vielfalt von Ritualen, wird vom VHP zugegeben. Die Hindu-Missionare wollen diese auf eine Linie mit nordindischen Vorgaben bringen, die in uralten heiligen Schriften festgehalten sein sollen. Bereits 1994 wurde ein 172-seitiges Handbuch dazu veröffentlicht. Es fordert eine tägliche, konsequente Befolgung ritueller Vorschriften; dies ist nicht der Brauch im Süden, wo die Praktiken der Hindus je nach Jahreszeit variieren.

Der tamilische Akademiker Tho Paramasivan von der Universität in Tirunelveli kritisiert den Zwang zu täglichen Ritualen in den kleinen Tempeln als „brahmanische Proselytenmacherei“, als Durchsetzung von Hindu-Praktiken nach den Vorschriften der seit Urzeiten bestimmenden Priesterkaste. Die Schöpfer des modernen Indien hatten etwas Besseres vor Augen: Freiheit. (Outlook Magazine)

Datum: 26.02.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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