Neue Enzyklika von Papst Franziskus fordert mehr Menschlichkeit
Der aktuelle Aufruf gilt vermehrt dem Zwischenmenschlichen, gerade in Zeiten, in denen ein Zusammenspannen unabdingbar ist. Die Quelle von Papst Franziskus bleibt stets die göttliche Liebe.Corona-Pandemie, Flüchtlingsströme und Klimakatastrophen zeigen, dass die globalen Weltenbürger alle im selben Boot sitzen.
Die Enzyklika «Fratelli tutti» wurde am 3. Oktober vom Pontifex in Assisi unterschrieben. Mit dem Untertitel «Über Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft» zupft er schon deutlich den Grundton an, welcher in den folgenden 287 Artikeln und mehreren Gebeten weiterklingt.
Und es kommt nicht von ungefähr, dass die Schrift an dem Ort eröffnet wurde, wo Franz von Assisi Brüder- und Schwesterlichkeit in Reinkultur lebte.
Menschliche Brüderlichkeit vs. nationalen Egoismus
Hauptinspiration boten die Schriften des heiligen Franz von Assisi, der an «alle Brüder» schrieb, die auf den guten Hirten schauen sollten, und der gleichzeitig in seinem «Sonnengesang» die Geschwisterlichkeit mit allen Geschöpfen bildhaft und in poetische Worte kleidete. So entstand nun die Enzyklika «Fratelli tutti», wobei das italienische Fratelli für Geschwister steht.
Der Papst selber bezeichnete insbesondere die Unsichtbaren, die er in Lampedusa umarmt hatte, als Brüder; die Migranten, beim ersten Besuch seines Pontifikats. So betont er, solange in den Herkunftsländern die Bedingungen für ein Leben in Würde fehlten, gelte es, «das Recht eines jeden Menschen zu respektieren, einen Ort zu finden, an dem er nicht nur seinen Grundbedürfnissen und denen seiner Familie nachkommen, sondern sich auch als Person voll verwirklichen kann».
«In verschiedenen Ländern geht eine von gewissen Ideologien durchdrungene Idee des Volkes und der Nation mit neuen Formen des Egoismus und des Verlusts des Sozialempfindens einher, die hinter einer vermeintlichen Verteidigung der nationalen Interessen versteckt werden», schreibt Papst Franziskus weiter.
Bereits im vergangenen Jahr entstand mit Regierungsvertretern ein Dokument über die «menschliche Brüderlichkeit», die, so der oberste Kirchenführer, «aus dem Glauben an Gott geboren ist, der Vater Aller und Vater des Friedens ist».
Corona führt zu Co-Existenz
«Keiner rettet sich allein», predigte Papst Franziskus vor einem halben Jahr in die Corona-Krise hinein. Alleine im Regen, stand er auf dem leeren Petersplatz und erinnerte die Zuschauer vor den Fernsehern in 180 Ländern daran, dass die globale Gemeinschaft zusammen gegen dieses kleine Virus ankämpfen sollte – wir alle im selben Boot.
«Jahrzehntelang schien es, dass die Welt aus so vielen Kriegen und Katastrophen gelernt hätte und sich langsam auf verschiedene Formen der Integration hinbewegen würde», schreibt nun der Papst und erwähnt Rückschritte: «Unzeitgemässe Konflikte brechen aus, die man überwunden glaubte. Verbohrte, übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen leben wieder auf.»
Dazu äusserte sich auch Bischof Sorrentino von Assisi: «Während die Welt unter einer Pandemie leidet, die so viele Völker in Schwierigkeiten bringt und uns Geschwister im Schmerz fühlen lässt, können wir nicht umhin, die Notwendigkeit zu spüren, vor allem Brüder in Liebe zu werden.» Und weiter: «Diese Geste des Papstes Franziskus gibt uns neuen Mut und neue Kraft, um im Namen der Bruderschaft, die uns alle verbindet, 'neu zu beginnen'.»
Menschen guten Willens für mehr Moral
Papst Franziskus will die Förderung zum «Dialog mit allen Menschen guten Willens» und, dass die Würde jedes Menschen mehr Anerkennung gewinnt, also mehr Menschlichkeit.
Und doch zielt die Sozial-Enzyklika auch stark auf das globale Gemeinwohl, er wolle «bei allen ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit zum Leben erwecken… und mehr Gerechtigkeit und Ethik in der Politik und unter den Menschen». Zudem wendet er sich gegen einen zu grossen Einfluss der Wirtschaft und nannte ausdrücklich Migranten und Ältere als Gruppen, die besser akzeptiert und integriert werden sollten.
Überdenken von Lebensstil und Lebenssinn
Das Werk «Fratelli tutti» gilt als aktuelles Grundsatzpapier an die 1,3 Milliarden Katholiken weltweit und an die Kirchenoberen, welche unter Kritik wegen Finanzskandalen und Verzögern der Aufarbeitung ihrer Missbrauchsfälle standen; plus natürlich an die gesamte Weltgemeinschaft.
Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, wertete sie als «Weckruf», um Lebensstile, Beziehungen, die Organisation der Gesellschaft und vor allem den Sinn unserer Existenz zu überdenken.
Mit den Enzykliken vom Antrittsjahr 2013 «Lumen fidei – Licht des Glaubens» und 2015 die «Umwelt-Enzyklika» zum Klimaschutz «Laudato si – Über die Sorge für das gemeinsame Haus», liess der Papst der Armen bereits zwei Haupt-Botschaften um die Welt gehen, die ihm besonders am Herzen liegen.
Bedingungslose Liebe fordert heraus
Kirchliche Hilfswerke werteten die Sozial-Enzyklika als Rückenwind für Menschen, die gegen allein an Profit und Wachstum orientierte Wirtschaftssysteme kämpfen.
Die bedingungslose Liebe, welche der 83-Jährige anstrebt, verlangt einiges ab. Denn sie soll nicht nur Gleichgesinnten dienen, sondern gerade den Ausgestossenen, denjenigen mit einem gesellschaftlich schweren Stand. Auch besonders zwischen Christen und Muslimen wird diese Liebe und vermehrter Dialog gefordert.
Aber wer den obersten Katholiken etwas verfolgt, kennt auch seine Kompromisslosigkeit. Er ist ein durchaus kritischer Zeitgenosse, der Unwahrheit und Ungerechtigkeit anprangert.
«Wer meine, die globalen Probleme nach der Corona-Krise mit den alten Systemen lösen zu können, ist auf dem Holzweg», so Franziskus, der seinem Namensgeber alle Ehre machen will; dem Heiligen Franz von Assisi, der damals «alle Brüder» aufrief, auf den guten Hirten zu schauen. «Dieser nahm die Passion des Kreuzes auf sich, um seine Schafe zu retten.»