Schwer bedrängt

Einheimische Christen in Nordafrika

Wenn Europäer in Nordafrika zum Spielball rachsüchtiger Herrscher werden, geht das harte Los einheimischer Minderheiten vergessen. Vom Sudan über Ägypten und Libyen bis hin nach Algerien und Marokko: Christen leben unter dem massiven Druck ihrer Umgebung, des Staatsapparats und fanatischer Kreise.
Revolution in Nordafrika
…kontrastiert mit der Verachtung einheimischer Christen: Hier Szene einer Demo in Indien.

Auch unter den berechenbareren Regimes nördlich und östlich der Sahara leiden bekennende Nachfolger von Jesus. Im Unterschied zu Libyen, wo der Gaddafi-Clan gar keine christliche Gemeinde von Einheimischen anerkennt, gibt es in Ägypten eine starke koptische Minderheit. Sie lebt unter demütigenden Einschränkungen und leidet zwischendurch Gewalt, protestiert aber auch gegen Einschüchterung und Marginalisierung. Am Nil wie anderswo versuchen die Machthaber die Islamisten zu besänftigen und in der Bevölkerung zu punkten, indem sie den Status der Christen herabsetzen.

Berichte über die Christenverfolgung in Ägypten

Autorität der koptischen Kirche angefochten

Das oberste Verwaltungsgericht in Kairo urteilte am 29. Mai, die koptische Kirche müsse ihren Gläubigen Scheidung und Wiederheirat erlauben. Das Recht, eine Familie zu bilden, stehe als verfassungsmässiges Recht über allen anderen Gesichtspunkten, sagte der Richter.

Das koptische Oberhaupt, Schenuda III., hatte gegen ein Urteil Berufung eingelegt, das einem koptischen Kläger die Wiederheirat erlaubte. Die Kopten halten sich an das Wort der Bibel: Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Die Kirche, die über 10 Prozent der bald 80 Millionen Ägypter umfasst, hat im Staat am Nil ihr eigenes Eherecht. Eine Zivilehe gibt es in Ägypten nicht; die Eheschliessung von Christen geschieht in der Kirche.

Koptischer Protest gegen das Urteil

Ächtung nach dem Übertritt zum Christentum

Einzelne besonders mutige Ägypter, die muslimischen Familien entstammen, kämpfen für das Recht, die Religion zu wechseln. Der bekannteste ist Mohammed Ahmed Hegazy, der 1998 Christ wurde. Nachdem er mehrfach verhaftet und misshandelt worden war, beanspruchte er für sich und seine Kinder, dass die Identitätskarte sie als Christen ausweist. Hegazy wurde im Sommer 2007 schlagartig bekannt, als er es wagte, dieses Recht gerichtlich einzuklagen. Zwei Gelehrte der führenden Al-Azhar-Universität befanden, Konvertiten als Abgefallene zu töten sei legal. Mehrfach versuchten Fanatiker ihn umzubringen. Anwälte zogen sich wegen Morddrohungen von Hegazy zurück.

Der frühere Journalist muss sich versteckt halten und kann nicht mehr arbeiten. Am 27. April schob ein Gericht das Urteil im Fall Hegazy auf, bis sich das Verfassungsgericht über den Religionswechsel geäussert hat. Hegazy (27) fürchtet um das Wohl seiner Kinder. Mariam ist zweijährig, Jusef drei Monate alt. Wenn sie sich schliesslich für Christen entschieden, würden sie als „Abgefallene" angeschwärzt und ihr ganzes Leben verfolgt, sagt Hegazy.

Der Fall Hegazy: Einschüchterung und Druck ohne Ende? 

Unversehens harsche Repression in Marokko

Der neue Innenminister Marokkos fährt einen höchst repressiven Kurs. Über 100 ausländische Christen sind seit März des Landes verwiesen worden, regelmässig unter Verletzung seiner Bestimmungen (Rekursfristen). Im Atlas hatten Christen ein Heim für Waisen und verlassene Kinder aufgebaut und mit ihnen wie Eltern gelebt - sie mussten sie innert weniger Stunden verlassen. Zahlreiche einheimische Christen werden noch verhört und massiv unter Druck gesetzt. Die Geheimpolizei hat sie überwacht; nun greift sie durch. Armut und Ungerechtigkeit lassen Einheimische nach Europa schielen und nach neuen Perspektiven suchen; die Islamisten setzen die königliche Regierung unter Druck, dass sie die zarten Pflänzchen der christlichen Gemeinden niederwalzt.

Marokko: Was wird aus Simo?

Überwachung schüchtert ein

In Tunesien genügt dem früheren Geheimdienstchef im Präsidentenpalast die Überwachung der christlichen Gruppen mit einigen hundert Einheimischen. Der römisch-katholische Erzbischof von Tunis Maroun Lahham sagte der Zeitschrift „New African", nur eine Handvoll Konvertiten komme in seine Kirche. Der grösste Teil schliesse sich evangelischen Gruppen an, da diese nach kurzem tauften. Bei den Katholiken dauert der Unterricht bis zur Taufe laut Lahham zwei Jahre. Tunesien anerkenne allein die katholische Kirche, sagt der Bischof. „Es gibt keine tunesische Kirche. Die Tunesier, die übertreten, sind daher in einer Phase der Identitätssuche." Amnesty International hat am Dienstag gegen die Unterdrückung von Dissidenten im Land protestiert.

Bürgerrechtler in tunesischen Medien angeschwärzt 

Provokation in Algier

In Algerien drängt die auf über sieben Millionen geschätzte Berber-Minderheit auf Eigenständigkeit und findet dafür Anhalt in der vorislamischen, christlichen Epoche. Das Regime versucht dem Autonomiestreben mit erneuten Anläufen zur Arabisierung beizukommen. Algerien hat seit 2006 ein Anti-Missions-Gesetz, das die strenge Kontrolle nichtmuslimischer Gemeinschaften vorschreibt. An einer öffentlichen Tagung mit dem Religionsminister im Februar 2010 forderte der Erzbischof von Algier Ghaleb Bader eine Revision des Gesetzes, das auf „ein Ersticken der Kirche in Algerien" hinauslaufe. Zudem meinte der Erzbischof, die Muslime nähmen doch jene, die vom Christentum zu ihrer Religion überträten, bereitwillig auf. Warum wohl die Christen dies nicht täten? Religionsfreiheit umfasse nicht nur das Recht, seine Religion zu praktizieren, sondern auch, sie zu wählen.

Algerisches Gesetz als Zwangsjacke 

Minderheiten - nicht erwünscht

Der Religionsminister Bouabdellah Ghlamallah entgegnete auf diese Provokation, den Aktivitäten von Predigern und Evangelisten müsse man einen Riegel schieben. Jungen Algeriern verspreche man ein Visum und Geld, wenn sie überträten. Gemäss dem Bericht der Zeitschrift nahm Ghlamallah kein Blatt vor den Mund: „Niemand will, dass es religiöse Minderheiten in Algerien gibt, denn dies kann fremden Mächten als Vorwand dienen, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen, angeblich um die Rechte der Minderheiten zu schützen."

Obama weicht

Der im Exil lebende ägyptische Soziologe Saad Eddin Ibrahim wirft in der Washington Post Präsident Obama vor, die Diktatoren zu hätscheln. Sein Vorgänger habe demokratische Bewegungen im Nahen Osten und Nordafrika unterstützt, Obama sei davon abgegangen. Dass die ägyptische Regierung nun Dissidente ohne weiteres einsperre, dürfe nicht verwundern. „Obama geht mit Tyrannen zu freundlich um." Washington habe kaum reagiert, als der 82-jährige Autokrat Mubarak im Mai die Notstandsgesetze, seit 29 Jahren in Kraft, weiter verlängerte.

Ausnahmezustand in Ägypten verlängert

 

Datum: 17.06.2010
Quelle: Livenet.ch

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