Wachstum kann einsam machen
«Du bist aber gross geworden.» Praktisch alle erinnern sich an diesen Satz aus ihrer Kindheit. Und daran, wie die Oma, der Onkel, die Freundin der Mutter oder der Nachbar ihn sagten. Wahrscheinlich erinnerst du dich auch noch gut daran, wie unangenehm sich das für dich angefühlt hat. Spulen wir ein paar Jahre vor. Längst bist du «gross», aber natürlich entwickelst du dich immer noch weiter. Du lernst Dinge dazu, erweiterst deine Kompetenzen. Bei der Arbeit macht sich das vielleicht in der nächsten Gehaltsabrechnung bemerkbar. Aber auch im Glauben gehst du voran und erlebst das, was man Glaubenswachstum nennt. Und wahrscheinlich erfährst du damit etwas beinahe Schizophrenes: Glaubenswachstum scheint immens wichtig zu sein und viele Christen reden davon. Wenn es allerdings passiert, dann verliert keiner mehr ein Wort darüber. Im Gegenteil: Manchmal wird es fast als Angriff empfunden. Warum ist das so? Und wie kannst du mit deinem Wachstum und dem von anderen umgehen?
Kein Platz für Understatement
Nicht nur Wachstum ist ein christlicher Wert, sondern auch Demut. Doch Demut bedeutet nicht, dass du nicht darüber reden dürftest, was du kannst oder was Gott durch dich tut. In Norddeutschland gibt es eine typische Antwort auf Lob oder Dank: «Da nicht für.» Was auf den ersten Blick zurückhaltend und vielleicht sogar demütig aussieht, hat ganz andere Auswirkungen. «Oh, das ist doch nichts Besonderes», sagst du und machst dich, dein Wachstum und letztlich sogar Gott kleiner damit.
In der Bergpredigt bringt Jesus das zur Sprache. Er sagt: «So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.» Willst du das herunterspielen? «So gut waren die Werke ja nun auch nicht.» «Tut mir leid, dass ich es nicht vollkommen geschafft habe, aber ich übe noch.» All das hat hier keinen Platz. Genauso wenig übrigens die superfromme Variante: «Das habe gar nicht ich gemacht, das war alles Gott in mir.» Was steckt hinter einem solchem Understatement? Oft ist es das heimliche Suchen nach stärkerem Applaus («Doch, das hast du wunderbar gemacht.»); der Zweifel daran, dass du selbst genügst; die Angst, nicht genug gewachsen zu sein. Tatsächlich ist es gesund und richtig, wenn du nicht nur mit Wachstum in deinem Leben rechnest, sondern es auch wahrnimmst – so wie andere, die dein «Licht leuchten sehen».
Und wenn die Zustimmung ausbleibt?
Was ist nun, wenn du durchaus siehst, dass du dich weiterentwickelt hast, das aber andere stört? Das ist eine der bitteren Erfahrungen, die du im Zusammenleben mit Menschen machen kannst – auch mit anderen Christen. Sie ermuntern dich voranzugehen, Veränderung zuzulassen und dich weiterzuentwickeln, aber wenn du es tust, dann erntest du Misstrauen, Neid und Zweifel, ob das alles richtig oder nötig wäre. Manchmal steckt dahinter das Problem, dass du zwar einen Schritt vorangegangen bist, der andere aber noch nicht. Und bevor er nun ein Fragezeichen an seinen eigenen Stillstand macht, stellt er lieber dein Vorwärtskommen infrage. Manche können nicht gut damit umgehen, dass andere mehr im Glauben erleben oder sie sogar überflügeln.
Einmal lädt Jesus drei seiner Jünger ein, mit auf einen Berg zu kommen. Dort zeigt er sich ihnen in seiner Herrlichkeit – den anderen Jüngern nicht. Sollen sie verschweigen, was sie erlebt haben, weil die anderen denken könnten, sie wollten etwas Besseres sein? Es war doch Jesus, der sie dazu eingeladen hat. Tatsächlich gehört es zu den traurigen Tatsachen, die auch du erleben wirst: Auch wenn du wächst, werden nicht alle applaudieren. Warte nicht darauf. Gott wartet auch nicht, bis der Letzte damit einverstanden ist, dass er dich segnet und voranbringt – er tut es einfach.
Wachstum ist gut
Wenn du reifer wirst in deinem Glauben, wenn deine Liebe für Gott und die Menschen, die dich umgeben, zunimmt, wenn dein Charakter mehr und mehr von Gott und seinem Wesen geprägt wird, dann ist das echtes Wachstum. Und dieses Wachstum ist gut und richtig. Du brauchst dich dafür weder zu schämen noch zu entschuldigen. Was du aber auf jeden Fall tun solltest, ist, dieses Wachstum auch im Leben anderer zu suchen und zu finden – und es fröhlich zu unterstützen. Ein tolles biblisches Beispiel hierzu findest du in der Apostelgeschichte. Da ist von einem Gemeindeleiter die Rede, der vorbildlich lebt: Barnabas. Dieser holt Paulus zu sich und investiert in den für viele eher verdächtigen Mann – immerhin hat er früher Christen verfolgt. Aber Barnabas fördert ihn und sieht sein Wachstum. Als die beiden zur ersten Missionsreise ausgesandt werden, heisst es noch: «Sondert mir Barnabas und Saulus aus zu dem Werk, zu dem ich sie berufen habe!» Kurz darauf ändert sich die Reihenfolge. Paulus wird der Chef im Ring und das ändert sich auch nicht mehr. Für Barnabas ist es völlig in Ordnung, dass ihn sein «Schüler» überflügelt. Er feiert das Wachstum anderer – ein wunderbares Vorbild.
Geistliches Wachstum kann solche Unterstützung erfahren, es kann aber auch sein, dass du ein Stück weit einsam wächst. Dann wirst du mit dem Unverständnis von Menschen konfrontiert. Aber auch damit, dass Gott etwas Neues und Gutes in dein Leben hineingelegt hat. Dein Wachstum bleibt sein lohnendes Geschenk an dich.
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Datum: 11.08.2025
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet