Apokalypse: Grandioses Einsiedler Welttheater

Während die Bettlerin klagt…
…sucht die Reiche ihren Vorteil.
Prozession der Lebenslust
Das Ende ist da…
…der Klosterplatz von Toten übersät.

So unverrückbar das Einsiedler Kloster den weiten Platz zu beherrschen scheint, ergreift doch Angst die Menschen, wenn der „Endwind“ einfährt – Angst, dass alles an ein Ende kommt. Das Welttheater 2007 zeigt ebenso differenziert wie drastisch den Umgang mit der Angst.

Im neuen Stück lässt Thomas Hürlimann das Ende in Windstössen näher rücken. Erscheint bald die sagenhafte Mater apocalyptica, die schwarze Endmutter mit dem weissen Lamm? Die sechs Figuren, deren Weg durchs Leben der spanische Barockdichter Calderon im Welttheater nachgezeichnet hat (der König, die Schönheit, der Reichtum, der Bauer, die Weisheit und die Bettlerin) sind bei Hürlimann moderne Schweizer – allerdings in einer Welt, die sich jetzt verflüchtigt. Denn der ‚Endwind’ kündigt unabweisbar an, dass diesen Zuständen das Ende bevorsteht.

Unbelehrbar

Trotzdem geht der Alltag weiter – die Lust zu leben vor düsterem apokalyptischem Horizont, das eitle Verlangen nach Reichtum und Genuss steigert sich gar noch. Es wird gefeiert und getanzt, die arme Bettlerin mit ihrem Kind mag klagen, wie sie will („Es stirbt mein Kind, es stirbt die Welt“). Der Mönch aus dem Kloster ruft zur Busse – vergeblich. Unbelehrbar steuern die Menschen auf ihr Verderben zu. „Ihr Menschen habt die Gabe, die Gott selbst war, versaut!“ Mit gewaltigen Schaufeln (auf einem Laster über den Klosterplatz gefahren) soll die Kraft des Windes zu Energie werden. Statt seine Seele zu retten, ertränkt sie der Bauer im Kirsch…

Hürlimann und sein Regisseur Volker Hesse zeigen auch das Inferno, das am Ende über die bei allem Leiden heimelige Gemeinschaft hereinbricht: Während unheimlich die apokalyptischen Reiter einziehen und hinter der Kirche das Feuer lodert, stürzen Menschen von den Klostertürmen und auf dem weiten Platz kommen Flüchtende massenhaft zu Tode. Einzelne stehen noch auf und erinnern sich vergangenen Glücks: «Weisch no, a dem Abig, mier elei i de Badi?»

Grandiose Szenen auf weitem Platz

Das 100-Minuten-Freilichtspektakel, das in diesen Wochen vor der imposanten Klosterkulisse gegeben wird, lebt von Kontrasten auf dem weiten Platz, von fein choreografierten Massenszenen (350 Laienschauspieler!) und einer Handlung, in der die sechs Hauptpersonen (und ihr Alter Ego, mit Riesenkopf, schweigend mittrottend) Grundsituationen des Lebens bedenklich-prägnant durchspielen. Vor sieben Jahren konfrontierten Thomas Hürlimann, selbst Zögling der benediktinischen Klosterschule, und Regisseur Volker Hesse das Einsiedler Publikum mit der provokanten These «Gott ist tot». Ist er 2007 zurück? Nicht der Vater im Himmel, sondern eine unfassbare überweltliche Macht geht daran, die selbstbewussten Geschäftemacher und gewitzten Lebenskünstler namens Kälin das Fürchten zu lehren.

Wo ist Heil?

Während die Erwachsenen in Angst und Lebensgier dem Ende entgegendriften, spielen Kinder – in einer unerwarteten Einlage – die Kreuzigung des Jesus. Wie sich ihr naives Spiel und das Gesamtgeschehen zueinander verhalten, lässt das Stück offen. Ohne sich in oberflächlichen Bezügen zur Aktualität zu verheddern, fährt das Welttheater 2007 mit berührenden und drastischen Schicksalen ein und aktualisiert die barocke Frage, was das Leben in seiner Flüchtigkeit soll. Anders als im 17. Jahrhundert meinen wir feststellen zu müssen, dass wir auf die Winde des Himmels Einfluss nehmen…

Einsiedler Welttheater : Aufführungen bis 8. September, jeweils um 20.45

Quelle: Livenet, Bilder: C Einsiedler Welttheater

Datum: 04.07.2007
Autor: Peter Schmid

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