Jesus im Blick behalten
Mit Kennerblick prüft Holzschnitzer Chevaro Kharoufeh (28) die dicken Olivenholzäste, die zwei Jahren im Keller seines kleinen Hauses lagern müssen, ehe er sie zum Schnitzen verwenden kann. Sorgfältig sucht er nach einem Scheit, aus dem er eine Höhle schnitzten kann. Chevaro kann sich gut vorstellen, dass Jesus nicht in einem Stall, sondern irgendwo in einer Höhle in der gebirgigen Gegend um Bethlehem zur Welt kam. Natürlich gehört auch der Stall mit Ochs und Esel zum Lieferprogramm des jungen Kunsthandwerkers, genau wie der Stern von Bethlehem oder der Fisch als Symbol für den christlichen Glauben. Aber die Krippe als Geburtshöhle ist sozusagen die Spezialität von Chevaro, der von seinem Vater in die Kunst des Olivenholzschnitzens eingeführt wurde.
Israelisch-palästinensische Realität
Chevaro Kharoufeh gehört zur christlichen Minderheit der rund 120‘000 Christen in Palästina. Ihr Anteil liegt landesweit bei nur zwei Prozent. Am stärksten sind die arabischen Christen im Dreieck von Bethlehem, Beit Sahur und Beit Jala vertreten, wo sie über 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Chevaro wohnt mit den Eltern, einer Schwester, seiner Frau und zwei kleinen Kindern in der 16‘000 Einwohner zählenden historischen Kleinstadt Beit Jala. Die traditionsreiche Ort grenzt unmittelbar an Bethlehem. Vom einzigen grünen Hügel Beit Jalas kann man die Türme der knapp fünf Kilometer entfernt liegenden Stadt Jerusalem sehen.
Schon die Kanaanäer waren in Beit Jala zu Hause und schätzten das Städtchen wegen des grünen fruchtbaren Umlandes, in dem Oliven, Mandeln und Wein gedeihen. Auf aramäisch bedeutete ihr Name „Grassteppich“. Aber die Zeiten, in denen Beit Jala sich durch Grün auszeichnete, sind vorbei: Weil die unverbauten Aussenbezirke bald für die Menschen von Beit Jala nicht mehr zugänglich sein wird, entstehen selbst an den steilsten Hängen im Stadtgebiet neue Flachdachhäuser für die wachsende Bevölkerung: Das fruchtbare Umland verschwindet von Tag zu Tag mehr hinter der über acht Meter hohen Betonmauer, die seit 2002 von den Israelis mit immensen Kosten im Westjordanland gebaut wird.
Unsichere Zukunft
Chevaros Familie gehört nicht zu denen, die durch den Mauerbau altangestammte Olivenhaine oder Anbauflächen verloren haben. Aber die Mauer und die anhaltende Situation von Gewalt, Angst und Unsicherheit prägt auch ihren Alltag. „Wir wissen nie, was kommt“, beschreibt Chevaro die Lage. Wie oft schien der Friede zwischen Israel und Palästina greifbar nahe – und wie oft rückte er wieder in weite Ferne.
Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada im September 2002 und noch einmal seit dem Krieg Israels im Libanon kommen kaum noch Touristen in die Region um Bethlehem. So mussten die meisten Touristenläden in Bethlehem schliessen. Etliche Manufakturen für Holzschnitzerei stehen still. Fremdenführer und Angestellte von Hotels und Restaurants sind arbeitslos. Bei einer Arbeitslosenquote von mehr als 60 Prozent macht sich bei vielen Menschen in der Region Hoffnungslosigkeit breit. Angesichts der innerpalästinensischen Auseinandersetzungen zwischen der neuen Hamas Regierung und El Fatah fragt nicht nur Chevaro sich, ob eine israelische Besatzung unter diesen Voraussetzungen nicht der ohnehin nur auf dem Papier bestehenden Autonomie vorzuziehen sei. Viele Menschen aus Bethlehem und Umgebung jedenfalls ziehen Konsequenzen: Sie wandern aus. In Chile gibt es schon ein zweites Beit Jala. 150‘000 Palästinenser, die aus der Region Bethlehem stammen, leben heute in Südamerika.
Aber Chevaro will bleiben und aushalten. Auch weil er Christ ist. „Wenn wir Christen von hier weggehen, gibt es in der Heimat Jesu bald keine Gemeinde mehr“, fürchtet er. Und so sucht er nach Wegen, um sich und seine Familie irgendwie durchzubringen. Von UN-Hilfsprogrammen und Wohltätigkeit will er sich nicht abhängig machen: „Wir wollen von unserer Hände Arbeit leben“, sagt er.
Ein Traum vom Frieden
Darum freut er sich über seine Arbeit als Torhüter bei der christlichen Schule Talitha Kumi, in der 850 Jungen und Mädchen aus moslemischen und christlichen Familien friedlich miteinander leben und trotz allem für eine Zukunft in Frieden lernen. Auch Chevaro hofft auf den Frieden – und ist froh, dass es ihm bislang nicht ergeht, wie seinem Nachbarn Simon, der seinen Beruf aufgegeben hat.
Auch der war früher Kamelschnitzer und auch er gehört mit seiner sechsköpfigen Familie zur christlichen Gemeinde. Seit etlichen Monaten muss er sein kärgliches Brot in einer Bäckerei in Jerusalem verdienen. Mit dem „Permit“, einem Passierschein, muss Simon den von israelischen Soldaten kontrollierten Checkpoint passieren, um nach Jerusalem zu gelangen. Niemals weiss er, ob er pünktlich zur Arbeit kommt: Denn immer wieder kann der Bus vor neue Strassensperren gestoppt werden und manchmal wird nur quälend langsam abgefertigt. An hohen jüdischen Feiertagen und zu anderen Gelegenheiten ist ganz Palästina abgeriegelt. Dann kommt Simon trotz „Permit“ nicht aus Beit Jala oder Bethlehm heraus – und seine Kinder bleiben ohne Brot.
So ist Chevaro mehr als froh über seinen Arbeitsplatz in Beit Jala. Allerdings brauchte er dringend ein Permit für Jerusalem. Denn eigentlich müsste er Nachschub für sein Olivenholzlager kaufen. Im Jahr zuvor noch gab es reichlich Holz in der Region. Es fiel an, als Olivenhaine entlang der Mauer abgeholzt wurden. Aber dieses Jahr ist der Rohstoff für die Krippenfiguren knapp und teuer. So ist Chevaro auf Holz angewiesen, das ihm aus Israel angeboten wird, ohne dass er es vorher prüfen kann. Chevaro tröstet sich damit, dass er noch Vorrat hat.
Arbeiten, hoffen und träumen
Wichtiger ist ihm, dass er irgendwie verkaufen kann, was er das Jahr über produziert hat. Im letzten Jahr hat er es nach einem nahezu unendlichen Papierkrieg geschafft, seine Krippen in Koblenz auf dem Weihnachtsmarkt anzubieten. Ob er es wieder einmal schafft, nach Deutschland zu kommen, weiss er noch nicht. Er weiss nur eins: „Wenn ich überleben will, kann ich nur arbeiten, hoffen und träumen.“
Wie so viele sehnt er sich nach einer Zukunft, in der endlich Frieden herrscht im oft so unheiligen Heiligen Land. Bis es soweit ist, versucht er „jeden Tag einzeln zu leben und Jesus im Blick zu behalten“. Den Jesus, der vielleicht in einer armseligen Höhle zur Welt kam, der Flüchtlingselend und Unfrieden schon als kleines Kind kennen lernte und dessen Weg zum Glück nicht in der Grabeshöhle endete.
Autorin: Karin Vorländer
Bilder 2+3 von www.amzi.org
Datum: 08.09.2008
Quelle: Neues Leben